„Zuerst dachten wir, Israel greift nur das Regime an“

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Auf den Straßen raus aus Teheran bilden sich seit Sonntagabend kilometerlange Staus. Wer es sich leisten kann, verlässt die iranische Hauptstadt Richtung Kaspisches Meer. Dort haben viele Teheraner ein Ferienhaus. Doch das Benzin für die Autofahrt ist nicht leicht zu bekommen. „Selbst morgens um drei Uhr stehen die Leute an den Tankstellen Schlange“, berichtet Hossein, der gerade seine Frau und seine Kinder in das 300 Kilometer entfernte Rascht gebracht hat. Er selbst muss aus beruflichen Gründen zurück in die Hauptstadt. „Die Lage in Teheran war wirklich beängstigend“, sagt er am Telefon. Die Wohnung der Familie liegt im Nordwesten der Stadt, wo die Mittel- und Oberschicht wohnt. Ganz in der Nähe hatte Israel am Freitag einen der Atomwissenschaftler in seiner Wohnung getötet.

Die Wucht der Explosion spürte auch Hosseins Familie. Danach fühlten sich die Einschläge immer näher an: „Ein Freund berichtete, dass zwei Klassenkameraden seines Sohnes unter den Trümmern eines Hauses begraben wurden.“ In den sozialen Medien verbreiteten sich Nachrichten über immer mehr zivile Opfer. Darunter die 23 Jahre alte Dichterin Parnia Abbasi, die Teil der Frau-Leben-Freiheit-Protestbewegung gewesen war. All das führte Hossein zu der Entscheidung, seine Familie in Sicherheit zu bringen. „Aber viele Menschen haben diese Option nicht. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als in Teheran zu bleiben.“

Polizisten suchen nach Drohnen-Schmugglern

Auf der Fahrt Richtung Norden gibt es jetzt viele Polizeikontrollen. Sie sind auf der Suche nach den Drohnen, die israelische Agenten ins Land geschmuggelt haben. „Besonders schlimm ist die Unvorhersehbarkeit“, sagt Hossein. In den Supermärkten herrsche großes Gedränge. Niemand weiß, wie lange dieser Krieg dauern wird.

Eine Frauenrechtsaktivistin, deren Name zu ihrer Sicherheit nicht genannt werden kann, meldet sich am Sonntagabend aus dem Keller ihres Hauses. Auch von dort hört sie die Einschläge der Raketen in umliegende Wohngebiete. „Gerade haben sie wieder angefangen.“ Ihren Plan, die Stadt zu verlassen, hat sie wegen der Staus und ihrer hochschwangeren Schwester vorerst verschoben. Auch sie haben schon die Angriffe am Freitag unmittelbar miterlebt. Einer der getöteten Militärführer wohnte nicht weit entfernt.

Anfangs hätten sie sich noch gesagt: „Ok, wir haben mit diesem Regime nichts zu tun. Israel wird nur das Regime angreifen. Aber heute hat sich alles verändert“, sagt sie am späten Sonntagabend. Besonders schockiert hat sie eine große Explosion am helllichten Tag auf dem zentralen Platz im Stadtteil Tadschrisch, dem beliebtesten Ausgehviertel der Stadt. „Leute standen an der Ampel“, sagt sie ungläubig. „Warum? Wollen sie, dass die Leute die Stadt verlassen?“

Iran, Teheran: Brände in einem Öllager, das am Sonntagabend von einem israelischen Angriff getroffen wurde
Iran, Teheran: Brände in einem Öllager, das am Sonntagabend von einem israelischen Angriff getroffen wurdedpa

Ein Wasserspeicher wurde getroffen. Der Platz wurde überschwemmt, Autos den Hang heruntergeschwemmt. „Seitdem haben wir keine Wasserversorgung mehr.“ Sie sei während des Iran-Irak-Krieges in den Achtzigerjahren aufgewachsen. Damals habe es zumindest noch Luftalarm und Informationen gegeben. „Jetzt kommen die Einschläge plötzlich aus dem Nichts.“ Zugleich erschwere das Regime den Zugang zu Informationen, indem es soziale Netzwerke blockiere und die Internetgeschwindigkeit drossele.

„Sie wollen Angst in der Bevölkerung verbreiten“

Was sie zusätzlich ängstige, seien die Äußerungen westlicher Regierungen über „Israels Recht auf Selbstverteidigung“. Das iranische Regime habe ihr viel Schaden zugefügt. Sie habe im Gefängnis gesessen. Als Ingenieurin habe sie ihren Beruf nie richtig ausüben können. „Auf der einen Seite will ich aus tiefstem Herzen, dass dieses Regime kapituliert. Auf der anderen Seite habe ich Angst vor dem Chaos, das folgen würde.“

Der 42 Jahre alte Bauingenieur Ali hat seine Familie ins Haus seiner Eltern gebracht. „Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Haus getroffen wird, liegt zwar nahe Null. Aber man fühlt sich besser, wenn man zusammen sein kann.“ Er meldet sich aus dem Auto, aus der Warteschlange an einer Tankstelle. „Nur für den Fall, dass wir schnell die Stadt verlassen müssen.“ Auch Ali spricht über die Explosion im Ausgehviertel Tadschrisch, die offenbar durch eine Autobombe verursacht wurde.

Viele glauben, ein iranischer Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad habe sie gezündet. „Sie wollen Angst in der Bevölkerung verbreiten, damit die Leute die Regierung dazu bringen, die Angriffe auf Israel einzustellen“, glaubt er. Aber das werde nicht funktionieren. „Ich bin kein Unterstützer, aber ich erwarte von meiner Regierung, dass sie bis zur letzten Rakete Vergeltung übt.“ Gegenwehr sei der einzige Weg, den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu stoppen. „Sie wollen das Regime stürzen und dieses Land zerstören“, sagt der Ingenieur. Er glaubt, eine Einigung bei den Atomverhandlungen mit den USA sei möglich gewesen. „Israel hat angegriffen, um den Deal zu verhindern.“

Ein 45 Jahre alter Freiberufler, der ebenfalls Ali heißt, klagt darüber, dass sich die Preise für Brot und Reis seit Freitag verdoppelt hätten. „Ich will, dass sie verhandeln“, sagt er am Telefon von Rascht aus. Er glaube aber nicht, dass die Führung sich darauf einlassen werde. „Wenn wir Bürger die Entscheidungen treffen könnten, wären wir gar nicht in einer solchen Situation.“ Sein Vertrauen in die Staatsführung ist weiter gesunken, als Israel am Freitag etliche Vertreter der Militärführung ausschaltete. „Diejenigen, die vorgeben, für unsere Sicherheit verantwortlich zu sein, können sich nicht einmal selbst schützen“, sagt er. „Das zeigt, dass sie uns all die Jahre betrogen haben.“