Liest man die Zahlen, wie viel heller und wärmer es nächtens in den Städten geworden ist – man kann es kaum glauben. Planet Erde, ein Lichtermeer: Allein in den vergangenen zehn Jahren hat die Beleuchtung von Städten rund um den Globus Jahr für Jahr um gut zehn Prozent zugelegt, was natürlich mit dem beschleunigten Trend zur Urbanisierung zu tun hat. Globale Energiekrise? Nicht in den Ballungsgebieten. Die Städte werden aber nicht nur heller, sondern auch wärmer: Im Mittel hat die Temperatur um ein Drittel mehr zugelegt als in der ländlichen Umgebung. Das konnte nicht ohne Folgen bleiben. Nur welche – und wer sind die Treiber dieser städtischen Verwandlung?
Antworten darauf hat in Deutschland das „Team Nachtlichter“ gesucht. Ein Bürgerwissenschaftler-Projekt, das von einem Geographen der Ruhr-Universität Bochum angeleitet wurde. Christopher Kyba, heute am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam, hat sich zusammen mit fast 260 Hobbyforschern im zweiten Jahr der Pandemie in 33 Kommunen aufgemacht, die Lichtquellen während der Nächte zu dokumentieren. Mit einer eigens programmierten App, der „Nachtlichter-App“, hat man akribisch die einzelnen Lichtquellen in den Städten kartiert, mit Satellitendaten abgeglichen, und so mehr als 230.000 Lichtquellen erfasst. Fazit: „Durch Hochrechnungen auf ganz Deutschland konnten wir abschätzen, dass landesweit etwas mehr als ein Licht pro Deutschem nach Mitternacht eingeschaltet bleibt“, sagt Kyba. Straßenlaternen spielen dabei überraschenderweise eine untergeordnete Rolle, wie die in „Nature Cities“ publizierten Daten zeigen. In dicht bebauten Gebieten kommen auf eine Straßenlaterne etwa ein beleuchtetes Straßenschild und ein beleuchtetes Schaufenster. Und: Private Fenster waren die mit Abstand am häufigsten beobachteten Lichtquellen, auch nach Mitternacht.
Licht regt Pflanzen mehr an als Klimawandel
Mit der Momentaufnahme lässt sich freilich die Frage nicht beantworten, wie sich die „Lichtverschmutzung“, von der das Team Nachtlichter spricht, auf das Leben in der Stadt auswirkt. Zumindest was die Vegetation angeht, hat ein chinesisch-amerikanisches Forscherteam einige Antworten geliefert, an dem auch Berliner Forscher beteiligt waren. Sie haben die Satellitendaten von 428 großen Städten der Nordhemisphäre aus den Jahren 2014 bis 2020 ausgewertet. Darunter waren auch zahlreiche Großmetropolen wie Paris, New York, Toronto oder Peking. Die Ergebnisse, ebenfalls in „Nature Cities“ veröffentlicht, zeigen: Das städtische Grün trägt insbesondere in den am dichtesten besiedelten – und am stärksten beleuchteten Zentren – früher Blätter. Und zwar im Schnitt 12,6 Tage früher. Die Wachstumsperiode endet auch deutlich später, der Herbstbeginn ist um 11,2 Tage nach hinten verschoben. Alles in allem also eine um knapp drei Wochen verlängerte Vegetationsperiode.
Lange dachte man, dass diese Verschiebung der Jahreszeiten vor allem auf den Klimawandel zurückzuführen ist, sprich: auf den Stadtinsel-Effekt. Gebäude und Asphalt absorbieren einfach mehr Hitze bis in die Nacht. Tatsächlich ist die sukzessive mittlere Aufheizung auch praktisch überall in der Nordhemisphäre zu messen. Doch das US-chinesische Forschungsteam hat nach Auswertung aller Temperatur- und Beleuchtungsdaten festgestellt: Die Anpassung der Stadtgewächse an das rasch vergrößerte Lichtangebot in den urbanen Zentren überwiegt offenbar sogar den Klimawandeleffekt. Das hat für die Städter einerseits Vorteile – Pflanzengrün wirkt insbesondere tagsüber kühlend. Gleichzeitig aber ist auch der Wasserbedarf der Pflanzen bei verlängerten Wachstumsperioden inzwischen sehr viel größer geworden.