DDR-Aufstand – warum die Erinnerung heute verblasst

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Eine andere Szene von damals: Aus einem Fenster der Jenaer Gewerkschaftszentrale warf jemand ein Bild des sowjetischen Diktators Josef Stalin direkt vor die Füße des Schuljungen. “Hatte ich ein Glück, dass Stalin mir nicht über die Birne flog”, flachst Toepfer. Dann sah er eine Frau, die wie von Sinnen auf dem Stalin-Bild herumtrampelte. “Ich habe also noch nie eine so tollwütige Frau gesehen, auch später nicht.”

Was brachte die Leute derart auf? Anlass der Proteste war eine sogenannte Normerhöhung – für dasselbe Geld sollte zehn Prozent mehr gearbeitet werden. Aber das war nur das letzte Tröpfchen im sprichwörtlichen Fass. Die SED hatte im Juli 1952, also ein knappes Jahr vor dem Aufstand, den “Aufbau der Grundlagen des Sozialismus” beschlossen, so beschreiben es die Historiker Jens Schöne und Falco Werkentin in einer Übersicht der Ereignisse. Das hieß unter anderem: nationale Streitkräfte, Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, Ächtung von privaten Unternehmen und mehr Repressalien, auch gegen die Kirche.

Die Zahl der Häftlinge in den Gefängnissen wuchs laut Schöne und Werkentin binnen weniger Monate von 37.000 auf 67.000. Zudem flüchteten vom Sommer 1952 bis Sommer 1953 rund 300.000 Menschen über die Berliner Sektorengrenze in den Westen. Es fehlten dem jungen Arbeiter- und Bauernstaat bald Arbeiter und Bauern und folglich Lebensmittel und Konsumgüter. Mehr Arbeit, weniger Wohlstand – eine explosive Mischung. Auf Druck der Besatzungsmacht Sowjetunion beschloss die SED schließlich am 10. Juni 1953 einen “neuen Kurs” und gestand Fehler ein. Das machte die Sache nicht besser.

“Es war eine Situation, wo man gespürt hat, die Funktionäre sind hilflos, die wissen nicht mehr, was sie machen sollen”, analysiert der Historiker Udo Grashoff. “Niemand konnte erklären, warum die SED eine so völlig komplette 180-Grad-Wende macht.” Niemand habe gewusst, dass die Order aus Moskau kam. Die Menschen witterten Schwäche. Es fehlte nach Grashoffs Einschätzung nur ein kleiner Anstoß, um die Protestwelle in der ganzen DDR in Schwung zu bringen. Als der Westberliner Sender Rias über Streiks in Ost-Berlin berichtete, war es so weit.