Am 5. Juni um 11:45 Uhr Washingtoner Zeit rückte Jacob Schrot ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Jedenfalls für eine Dreiviertelstunde. Er saß auf einem Sofa im Weißen Haus, im Oval Office. Dort, wo die Weltpolitik gemacht wird. Schrot schaute freundlich, jedenfalls nicht angriffslustig. Ihm gegenüber, etwa drei Meter entfernt, hatte auf dem Parallelsofa jemand platzgenommen, den rund um den Globus alle kennen, die sich auch nur ein bisschen für Politik interessieren: der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance. Beide saßen etwa eine Armlänge von ihren Chefs entfernt, Vance neben Donald Trump, Schrot neben Friedrich Merz, der zum Antrittsbesuch in Washington war.
Schrot ist der Büroleiter des Bundeskanzlers, immerhin also des Regierungschefs der drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt. Ins Licht einer größeren deutschen Öffentlichkeit ist der 34 Jahre alte Schrot vor dem Ereignis im Oval Office bisher erst einmal getreten. Da war der Schüler aus Brandenburg 18 Jahre alt und setzte sich in der Günther-Jauch-Sendung „Ich kann Kanzler“ gegen 2500 Konkurrenten durch. Siegprämie: ein Kanzlergehalt und ein Praktikum im Bundestag. Jauch erinnerte sich jetzt in der „Berliner Zeitung“, dass Schrot gesagt habe, im Bundestag sei er schon gewesen, es ziehe ihn eher ins Kanzleramt.
Nicht erst seitdem, dann aber vollends widmete Schrot sein Leben der Politik. Allerdings bemühte er sich nicht um ein Mandat im Bundestag, sondern arbeitete im politischen Apparat. Zur Zeit von Angela Merkel war er Referent im Kanzleramt und befasste sich mit Außenpolitik. Später arbeitete er für Armin Laschet, dessen Versuch, Kanzler zu werden, scheiterte. Als Merz Vorsitzender der Unionsfraktion wurde und Schrot dort sein Stabschef, entwickelten beide ein enges Arbeits- und Vertrauensverhältnis.

Jetzt, da Merz am Ziel seiner beruflichen Träume angekommen ist, stellt sich die Frage, wer denn sein engster Vertrauter ist, mit wem er sich berät, wenn es ganz ernst wird, kurzum: wer denn die Rolle einnimmt, die Frank-Walter Steinmeier, Beate Baumann und Wolfgang Schmidt bei Merz’ Vorgängern hatten. Da fällt bei denjenigen, die nah dran sind, schnell der Name Jacob Schrot, auch wenn nicht behauptet wird, dass er sie allein ausfüllen könnte.
Schrot ist nicht nur der Büroleiter des Bundeskanzlers, sondern leitet die Stabsstelle „Nationaler Sicherheitsrat“, ist also damit beauftragt, die wichtigste außenpolitische Neuerung von Merz aufzubauen. Auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Agnieszka Brugger räumte das Kanzleramt ein, dass das Gremium noch nicht getagt habe, weil man derzeit die Grundlagen schaffe. Alles zusammengenommen ist das ein dickes Brett für Schrot, der halb so alt wie sein Chef ist und nicht für sich in Anspruch nehmen kann, mit Merz über Jahrzehnte durch dick und dünn gegangen zu sein.
Entscheidend war das unbedingte Vertrauensverhältnis
Vielleicht kommen auch deswegen alle auf Schrot, weil es einen Steinmeier, eine Baumann oder einen Schmidt im Leben von Friedrich Merz nicht gibt. Frank-Walter Steinmeier ist den langen Weg des Gerhard Schröder aus Niedersachsen bis ins Kanzleramt über Jahrzehnte mitgegangen, ebenso Baumann mit Merkel und Schmidt mit Scholz. Man wusste bei allen drei politischen Paaren manchmal nicht, ob der eine das sagte, was der andere dachte oder genau umgekehrt.
Die formale Funktion war nachrangig, Steinmeier war wie Schmidt Kanzleramtschef, Baumann leitete wie Schrot das Kanzlerbüro. Entscheidend war das unbedingte Vertrauensverhältnis. Merkel und Baumann haben sich sogar auf mehr als 700 Seiten ihres gemeinsamen politischen Lebens erinnert, und bei der Lektüre dieser Memoiren lässt sich nicht unterscheiden, wer was geschrieben hat.
Der mit dem Beginn seiner Kanzlerschaft fast 70 Jahre alte Merz scheint eine solche Bezugsperson nicht zu haben. Das dürfte auch daran liegen, dass er nach der entscheidenden Niederlage gegen Angela Merkel im Ringen um den Fraktionsvorsitz und dann um die Kanzlerkandidatur Anfang des Jahrhunderts zwar noch bis 2009 im Bundestag war, aber sich schon aufmachte in eine andere Welt, die der Wirtschaft und Unternehmen, und erst 2018 zurückkehrte.

Einer, der Merz gut kennt, sagt auf die Frage nach dem oder der engsten Vertrauten: „Schrot und Schauerte sind Baumann.“ Petra Schauerte ist eine langjährige Vertraute von Friedrich Merz, die in den vergangenen Jahren sein Wahlkreisbüro im Sauerland geführt hat. Wenngleich einer größeren Öffentlichkeit noch weniger bekannt als Schrot, ist sie das prominenteste Beispiel dafür, dass Merz als Kanzler seine Verbindung ins Sauerland aufrecht hält. Schauerte kann, so ist zu hören, mit Merz offen reden, ihm beispielsweise sagen, wenn er ihrer Meinung nach etwas tun oder nicht tun solle.
Letztlich verlässt Friedrich Merz sich aber auf sich. Beispielsweise übernimmt er häufig die letzte Redigatur von Interviews, schreibt Texte selbst. Möglicherweise traut er niemandem zu, seine Art zu denken und zu reden exakt verinnerlicht zu haben, so wie ein Alter Ego das tun müsste.
Es fallen einem leicht einige Namen ein, die man zu Vertrauten von Merz in seinem operativen politischen Handeln rechnen würde. Thorsten Frei, den er zum Kanzleramtschef gemacht hat und der vorher als Parlamentarischer Geschäftsführer die Unionsfraktion gemanagt hat, gehört dazu. Jörg Semmler, der aus der Fraktionsspitze kommt und nun Staatssekretär im Kanzleramt ist. Carsten Linnemann, der CDU-Generalsekretär. Doch schon der Fall Linnemann hinterlässt ein Fragezeichen. Zumindest hat Merz seinem sozialdemokratischen Koalitionspartner offenkundig nicht mit der erforderlichen Entschlossenheit deutlich gemacht, dass er das Bundesarbeitsministerium, das Linnemann angeblich so gerne übernommen hätte, für die CDU beansprucht. Für einen ganz engen Weggefährten hätte Merz mehr tun können.
Neue Mitstreiter
Durch die späte Rückkehr von Merz in die Politik sind auch Verhältnisse zu den heutigen Weggefährten wie Frei und Linnemann eher mit kräftigen jungen Kiefern denn mit erwachsenen Eichen zu vergleichen. Und manche derjenigen, die während des Ringens von Merz um die Kanzlerkandidatur und im Wahlkampf eng an seiner Seite standen, wie etwa sein Sprecher Hero Warrings, sind mittlerweile dort schon nicht mehr zu finden.
Stattdessen sind neue Mitstreiter gekommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass Merz auch zu diesen ein Vertrauensverhältnis entwickeln muss und will. Sein Regierungssprecher Stefan Kornelius, langjähriger Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“, gehört in diesen Kreis, ebenso die führenden Beamten im Kanzleramt, die Abteilungsleiter. Für den stark auf das Internationale ausgerichteten Merz sind vor allem der für die Außenpolitik zuständige Günter Sautter und Michael Clauß, der die Europaabteilung leitet, wichtig. Kornelius und Sautter saßen im Oval Office auf dem Sofa neben Schrot.
Mit wem aber spricht Friedrich Merz über die ganz langen Linien? Da ist auf jeden Fall seine Frau zu nennen. Jenseits der üblichen Feststellung, dass Ehepartner für Spitzenpolitiker wichtig sind, ist es nicht übertrieben, Charlotte Merz eine zentrale Rolle als Gesprächspartnerin auch des Bundeskanzlers Merz zuzuschreiben. Da die beiden seit ihrer Jugend ein Paar sind, dürfte das Thema Kanzlerschaft schon sehr lange eine Rolle in ihren Gesprächen gespielt haben. Im Gegensatz beispielsweise zum Ehemann von Angela Merkel hat Charlotte Merz keinen grundsätzlichen Abwehrreflex gegenüber Journalisten. Als die „Zeit“- Redakteurin Mariam Lau ihr kürzlich erschienenes Buch über Merz recherchierte, sprach dessen Frau offen über die Ambitionen ihres Mannes. Sie sagte, dass neben Freude und Stolz ein „mulmiges Gefühl“ mit dem Gedanken an einen Wahlsieg von Merz verbunden gewesen sei. Schließlich wisse man nicht, was sie und die Familie damit erwarte.

Es gibt aber auch einen engen Gesprächspartner in der CDU, einen Parteifreund, der ein echter Freund ist und ein Ratgeber über Jahrzehnte hinweg. Als am Abend des 23. Februar Deutschland gespannt auf den Ausgang der Bundestagswahl schaute, ging Roland Koch gut sichtbar auf die CDU-Parteizentrale, das Konrad-Adenauer-Haus, zu. Da in der langen Warteschlange in erheblichem Maße Journalisten standen, war es kaum möglich und offenkundig von ihm nicht beabsichtigt, sein Interesse am Ergebnis für Merz und die CDU zu verheimlichen. Die Verbindung zwischen Koch und Merz stammt noch aus den Jahren der Bonner Republik, als beide sich für die selbstverständliche Führungsreserve der CDU hielten. Bis Koch über die Spendenaffäre stolperte und Merz im Machtkampf Merkel unterlag.
Koch wirkte zwar noch höchst aktiv daran mit, 2002 eine Kanzlerkandidatur von Merkel zu verhindern. Doch wusste er, und formulierte es später auch so, dass mit der Spendenaffäre seine Ambitionen auf die Kanzlerschaft gegenstandslos waren. Also unterstützte er Merz. Wenige Tage nach der Bundestagswahl, aus der Merz zwar als Sieger, aber als Sieger mit schwachem Ergebnis hervorging, sprang Koch ihm bei und sagte, die Menschen nähmen Merz ab, dass er einen Politikwechsel herbeiführen wolle. Allerdings stellte er bei den Wählern eine Skepsis fest. Sie fragten sich, ob das mit dem Politikwechsel klappen werde.
Auch Roland Koch ist für Merz nicht das, was Steinmeier, Baumann und Schmidt für dessen Vorgänger waren. Er sitzt nicht im Kanzleramt, hatte dem Vernehmen nach auch nie Ambitionen, eine Funktion in der Regierung Merz zu übernehmen. Aber die beiden sprechen häufig miteinander. Alle zwei oder drei Wochen, sagt einer, der es wissen muss. Sogar wöchentlich, sagt ein anderer. Koch sei für manchen „der Weg zum Ohr des Kanzlers“, heißt es in der Partei. Mischt Koch sich ein? Mit „angenehmer Zurückhaltung“ mache er das, sagt einer in der CDU. Koch habe einen Beitrag dazu geleistet, dass Merz und der heutige Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Jens Spahn, nach dem Kampf um den CDU-Vorsitz und der Wahlniederlage der Union 2021 wieder zusammenrückten.
Koch hat seinen größten politischen Erfolg 1999 eingefahren. Damals half ihm im Wahlkampf vor der hessischen Landtagswahl eine Unterschriftenkampagne gegen die von der rot-grünen Bundesregierung gesetzlich ermöglichte doppelte Staatsbürgerschaft. Dass diese Kampagne von manchem als ausländerkritisch oder gar -feindlich wahrgenommen wurde, dürfte einkalkuliert gewesen sein. Jedenfalls ging Koch als Sieger und hessischer Ministerpräsident aus der Wahl hervor. Hat er ein Vierteljahrhundert später Merz ermuntert, Ende Januar zwei Entschließungsanträge und einen Gesetzentwurf zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einzubringen in dem Wissen, dass eine Mehrheit mit der AfD zustandekommen könnte, was bei einem der Anträge der Fall war? Einen Austausch explizit dazu soll es vorher nicht gegeben haben. Als Distanzierung Kochs, so sagt es jemand, der es wissen muss, solle man das aber „ganz bestimmt“ nicht verstehen.
Der vielleicht engste Berater, Vertraute und Freund von Merz in der CDU lebt nicht mehr. Wolfgang Schäuble hatte gleich nach der Rückzugsankündigung von Merkel viel dafür getan, Merz im Kampf um den Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur zu unterstützen. Nun hat er nicht mehr erlebt, dass sein Schützling es geschafft hat.