Rund 22 Milliarden Euro überweist die EU nach wie vor jährlich für die Einfuhr von fossilen Energieträgern an Russland. Das sind zwar viel weniger als vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, aber immer noch beinahe 3 Milliarden Euro mehr als die EU der Ukraine an Unterstützung zuletzt zukommen ließ. Es gibt zwar ein weitgehendes Ölembargo gegen Russland, aber Uran und Erdgas, per Pipeline oder verflüssigt als LNG, gelangen immer noch in größeren Mengen in die EU-Staaten.
Anfang Mai hat die Europäische Kommission deshalb angekündigt, die Einfuhr aller fossiler Energieträger zu beenden. Nun macht sie ernst. „Russland hat immer wieder versucht, uns mit seinen Energielieferungen zu erpressen“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU werde jetzt selbst den Hahn zudrehen und die Ära der fossilen Energieträger in der EU beenden. „Der Import von Gas aus Russland ist eine Sicherheitsbedrohung für Europa“, sagte Energiekommissar Dan Jørgensen. „Das Importverbot wird unsere Energieunabhängigkeit erhöhen und gleichzeitig die Einnahmen verringern, die Putin zur Finanzierung seines Krieges verwendet.“
Der Einfuhrstopp für Gas soll nach dem Vorschlag schrittweise in Kraft treten. Zum ersten Januar des kommenden Jahres dürfen keine neuen Gaslieferverträge mit Russland mehr abgeschlossen werden. Die Einfuhr unter bestehenden Spotverträgen mit einer Laufzeit von weniger als zwölf Monaten soll in einem Jahr, sprich Mitte Juni 2026, aufhören. Das betrifft rund ein Fünftel der Verträge. Die Einfuhr unter langfristigen Verträge soll spätestens zum 1. Januar 2028 enden. Das ist im Detail etwas langsamer als im Mai angekündigt. Das Einfuhrverbot gilt auch für LNG aus Russland.
Ungarn ist dagegen
Insgesamt hat die EU zuletzt 35 Kubikmeter Gas aus Russland eingeführt, 20 davon als LNG. Damit hat sich der Anteil an der Einfuhr von 45 Prozent auf 13 Prozent verringert. Die Einfuhr von Öl soll ebenfalls Ende 2027 aufhören. Hier setzt die Kommission nicht auf ein Einfuhrverbot. Stattdessen sollen die Staaten Pläne dafür vorlegen, wie sie bis zum Stichtag ohne russisches Öl (und Gas) auskommen wollen. Die Kommission hat damit allerdings nur bedingt eine Handhabe, wenn Länder das Ziel für Öl nicht erreichen.
Die Kommission geht davon aus, dass das klare Einfuhrverbot die betroffenen Konzerne vor Schadenersatzforderungen schützt. Das hänge aber von den konkreten Verträgen ab, heißt es. Die wirtschaftlichen Folgen des Einfuhrstopps seien überschaubar, betont die Kommission. Dank des europäischen Gasnetzes und anderer Einfuhrmöglichkeiten, drohe keine Engpass. Dennoch regt sich unter den Mitgliedstaaten Widerstand gegen die Kommissionspläne.
Ungarn und die Slowakei haben schon vor Wochen angekündigt, das Ende der Energieimporte aus Russland abzulehnen. Beide unterhalten unverändert gute Beziehungen zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Sie argumentieren, dass ohne das russische Gas und Öl, das sie per Pipeline erhalten, ihre Energiesicherheit gefährdet sei. Beide Länder sind 2022 von dem Ölembargo ausgenommen worden. Die EU-Kommission hält das nicht für schlüssig. Auch Studien Dritter kommen zu dem Ergebnis, dass die Importe durch Lieferungen anderer Länder ersetzt werden könnten. Am Montag – bei einem Treffen der EU-Energieminister in Luxemburg – blockierten Ungarn und die Slowakei eine gemeinsame Erklärung zu dem Vorhaben.
Unterstützung aus dem Europaparlament
Die Kommission ist ihnen insofern entgegengekommen, als sie Ländern ohne Zugang zum Meer bis Ende 2027 auch die Einfuhr von Gas unter Spotverträgen erlauben will. Außerdem soll die europäischen Energieagentur Acer die Folgen des Einfuhrverbots überwachen. Sollte es zu „plötzlichen Engpässen“ in einem oder zwei Ländern kommen, können die das Einfuhrverbot mit Genehmigung der Kommission vorübergehend aussetzen. Das sei aber ein theoretisches Szenario, heißt es in Brüssel.
Ob das genügt, um die beiden Länder zur Zustimmung zu bewegen, ist fraglich. Rein formal ist das auch nicht nötig. Die Kommission hat für ihre Vorschläge eine Rechtsgrundlage gewählt, die auf einer Mischung aus Energie- und Handelsrecht basiert. Der Vorschlag muss damit vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat angenommen werden. Im Ministerrat reicht dafür aber eine qualifizierte Mehrheit, die ohne Ungarn und die Slowakei leicht zu erreichen ist. Die Regierungen in Budapest und Pressburg (Bratislava) haben allerdings zuletzt gedroht, stattdessen Sanktionen gegen Russland zu blockieren. Diese müssen die Staaten einstimmig annehmen.
Unabhängig davon rief die österreichische Energieministerin Elisabeth Zehetner in der Financial Times dazu auf, offen für die Einfuhr russischen Erdgases nach einem Ende des Kriegs zu bleiben. Von der Leyen hatte dem in der Vergangenheit eine klare Absage erteilt. Ziel ist, die Vorschläge bis zum Ende dieses Jahres zu beschließen. Nach Angaben von Diplomaten könnten die Staaten den Vorschlag noch während des bis Ende Juni laufenden polnischen EU-Ratsvorsitzes billigen. Anschließend müssten sich Ministerrat und EU-Parlament noch auf einen gemeinsamen Text verständigen.
Aus dem Europaparlament kam Unterstützung für den Vorstoß. „Dieses Gesetz wird Putin den Geldhahn zudrehen und markiert das endgültige Aus für Nord Stream“, sagte der Abgeordnete der Grünen, Michael Bloss. „Dass sich Politiker wie Michael Kretschmer und Manuela Schwesig weiterhin hinter Nord Stream stellen, sorgt europaweit für Irritation.“ Eine schnelle Umsetzung forderte Jens Geier (SPD). „Absolut richtig ist: Nordstream wieder zu nutzen ist keine Option!“, sagte er. Zur Einfuhr von angereichertem Uran will die Kommission zu einem späteren Zeitpunkt einen Vorschlag vorlegen, mit dem die EU weniger abhängig von russischen Lieferungen werden soll. Zuletzt haben sieben EU-Staaten angereichertes Uran aus Russland eingeführt.