Krieg und Frieden, sie überschatten auch die ersten Tage der Bonner Vorbereitungskonferenz für den Klimagipfel in Belém in Brasilien. Wird der Klimaschutz da notgedrungen zum großen Verlierer? Die Versuche, das zu verhindern, sind schon an den ersten beiden Tagen unübersehbar. Kriege mögen das dringendste Problem sein, hört man die Teilnehmer sagen, die größte und nachhaltigste Krise der Menschheit jedoch sei nach wie vor die Klimakrise. Um das deutlich zu machen, gibt es traditionell Konferenzteilnehmer wie den deutschen Gründer des NewClimate Institute, Klimaforscher Niklas Höhne. Er ist der Mann für die Zahlen – und manchmal auch für Standpauken.
Zuerst, sagt er, gehe es darum, Rückschritte oder Stillstand zu verhindern. Aber eigentlich gehe es nur um eines: besser werden. Bis 2030, in fünf Jahren also, müssten die Emissionen weltweit halbiert werden, minus 50 Prozent. „Es muss ganz dringend etwas passieren“, sagt Höhne, „jede Tonne Kohlendioxid in der Atmosphäre zählt.“ Sein Institut ist seit 2009 federführend an der wissenschaftlichen Bilanzierung des Klimafortschritts beteiligt. Aufgabe seines „Climate Action Tracker“ ist es, die klimapolitischen Maßnahmen aller Länder quantitativ abzuschätzen und die angekündigten sowie geplanten Klimaschutzmaßnahmen am 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu messen. Die aktuelle Auswertung läuft und wird am Donnerstag offiziell vorgestellt. Aber klar ist schon jetzt: Gemessen an den Klimazielen geht zu wenig voran.

Alle großen Emittenten, die Europäische Union, USA und China eingeschlossen, haben noch nichts vorgelegt. Bis September läuft die Frist ab, ein neues Nationales Klimaziel (NDC) im Klimasekretariat der UN zu hinterlegen. Von insgesamt 195 Staaten der Klimakonvention haben überhaupt lediglich 23 Staaten solche Klimaziele formuliert. Keiner will führen im Klimaschutz, warnt Höhne. Er spricht vom „Leadership-Gap“.
Die größte Hoffnung liegt derzeit nicht nur auf der Europäischen Union – und auf China. Peking bezeichnet Höhne zwar nicht als Führungsmacht im Klimaschutz, dessen Emissionen sind immer noch die größten weltweit, aber: „China ist klar das Powerhouse der Klimapolitik.“ Tatsächlich ist China offenbar das einzige Land, das derzeit große Fortschritte macht. 80 Prozent der Verkäufe von Photovoltaik-Panels weltweit, 60 Prozent der Windturbinen, 75 Prozent der Elektroautos, 75 Prozent der Batterien kämen aus China. Das Land erziele inzwischen zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus der globalen Energiewende. Auch was die chinesischen Treibhausgasemissionen betrifft, gibt es eine klare Richtung: Der Höhepunkt der klimaschädlichen Freisetzungen aus der Ölverbrennung sei bereits überschritten, bei der Kohle sei der Umkehrpunkt nicht mehr weit.
China also der Musterknabe der Klimapolitik? Nach dem Ausscheren der USA unter Trump könnte der Eindruck tatsächlich entstehen, viele warten nur darauf, eine völlig neue Strategien zu entwickeln. Zumal verschiedene Sprecher in den Bonner Veranstaltungen die Hoffnung äußerten, dass bereits jetzt in Bonn eine Art Partnerschaft zwischen China und Europäischer Union geschmiedet werde. „Klar ist, dass auch China seine Emissionen bis 2030 halbieren müsste, um das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen“, sagte Höhne.
Tatsächlich fehlen von Peking entsprechende Ankündigungen ebenso wie klimapolitische Fortschritte aus Brüssel. Derzeit sieht es vielmehr Höhne zufolge so aus, als würden die derzeitigen klimapolitischen Ziele der großen Emittenten allenfalls zu einer Stabilisierung führen – nicht zu einer Verringerung der weltweiten Emissionen. In der Konsequenz würden jedes Jahr die Konzentrationen von klimaschädlichen Gasen ungebremst weiter steigen und zu einer Erderwärmung bis Jahrhundertende von bis zu vier Grad führen. Was das heißt, machen Höhnes Analysen deutlich: „Jedes Zehntel Grad über 1,5 Grad bedeutet, dass künftig jedes Jahr zweihundert Gigatonnen (Anm.: Milliarden Tonnen) Kohlendioxid aus der Atmosphäre genommen werden müssten. Das würde extrem teuer werden.“ Weil das langjährige 1,5-Grad-Limit schon in den kommenden Jahren dauerhaft überschritten werden könnte, sieht Höhne einen wachsenden Druck in den kommenden Klimakonferenzen, hochambitionierte Nationale Klimaziele für 2030 möglichst schnell vorzulegen.
Sind die Klimaschutzziel von Paris also unerreichbar, wenn es so weiterläuft wie derzeit? Höhne bleibt optimistisch: Hauptsache, es gebe Fortschritte, sagt er und: „Jedes Land hat das Potential, sich massiv zu verbessern.“ Der Hoffnungsanker in Bonn ist der Fortschritt bei den Regenerativen und bei der globalen Energiewende hin zur Klimaneutralität, die sich auch in den wenigen Monaten seit Ende des vergangenen Klimagipfels noch einmal erheblich beschleunigt hat.