Er wurde 94 Jahre alt
Pianist Alfred Brendel ist tot
Aktualisiert am 17.06.2025 – 18:57 UhrLesedauer: 3 Min.

Er war einer der großen klassischen Pianisten unserer Zeit – doch er hatte noch einen “Zweitberuf”. Jetzt ist Alfred Brendel in hohem Alter gestorben.
Alfred Brendel ist tot. Er war einer der ganz großen Pianisten und gilt als einer der bedeutendsten Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts. Aus dem Konzertbetrieb hatte er sich schon vor Jahren zurückgezogen. Doch immer wieder machte er mit seinen Büchern von sich reden – mit hintersinnigem Humor. Selbst über den Tod konnte er sich lustig machen.
Am Dienstag starb Brendel im Alter von 94 Jahren in seiner Wahlheimat London, wo er mehr als 50 Jahre gelebt hatte. Im Dezember 2008 hatte Brendel sich endgültig vom Konzertpodium verabschiedet. “Es wäre schön, wenn die eine oder andere meiner eigenen Aufnahmen auch in Zukunft ihre Hörer fände”, wünschte er sich damals fast zu bescheiden.

“Als ich mich von der Konzertbühne zurückzog, habe ich gedacht, alle würden mich vergessen”, sagte er auch einmal. “Es ist sehr schön zu erleben, dass das Gegenteil der Fall ist.” Brendel veröffentlichte in seinem “Zweitberuf” skurril-groteske Gedichte, in denen Musik und das Piano natürlich eine Rolle spielten. Pianisten, die Bücher schreiben, und dann noch mit Humor, sind eine Rarität.
“Ein Finger zu viel” hieß der erste Band, in dem es unter anderem um den imaginären dritten Zeigefinger geht, den der Pianist nutzt, um schwierige Passagen anzukündigen oder den Huster im Saal zu tadeln. In einem anderen Gedicht wird erzählt, wie der Verpackungskünstler Christo die “Drei Tenöre” um den Balkon des Mailänder Opernhauses La Scala wickelt.
Brendels Klavierkarriere dauerte über fünf Jahrzehnte. Seine Lieblingskomponisten, die er immer wieder spielte, waren Beethoven, Schubert und Haydn. Er war der erste Pianist, der Beethovens Klavierwerke komplett aufnahm. Aber auch als Liedbegleiter fungierte er, etwa für Dietrich Fischer-Dieskau.
Der 1931 im nordmährischen Wiesenberg (heute in Tschechien) Geborene hat Deutsche, Österreicher sowie Italiener und Slawen als Vorfahren. Als er drei war, zog seine Familie an die kroatische Adriaküste. Brendel, dessen Eltern keine Musiker waren, sieht sich nicht als Wunderkind. Seine erste Begegnung mit der Musik habe er mit drei Jahren gehabt, erzählte er im Rückblick: als er im Hotel seines Vaters für die Gäste Schallplatten auflegte.
Später besuchte er die Schule in Zagreb, wo er mit sechs Jahren den ersten Klavierunterricht bekam. Es folgte ein Studium am Konservatorium in Graz, später in Wien. Im Alter von 17 Jahren gab Brendel in Graz sein erstes öffentliches Konzert. Seine internationale Karriere begann 1949. Ein Jahr später zog er endgültig nach Wien, in den Siebzigern siedelte er nach London über.
Ein Wanderer zwischen den Welten
“Ich bin nicht jemand, der Wurzeln sucht oder braucht. Ich möchte so kosmopolitisch wie möglich sein. Ich ziehe es vor, zahlender Gast zu sein. Das ist eine Lektion, die ich im Krieg gelernt habe.” Brendel war ein Wanderer zwischen den Welten.
Eine weitere Besonderheit: Zeit seines Lebens galt Brendel als ausgesprochen uneitler Musiker. Allüren waren ihm fremd, großmächtige Selbstdarsteller auf der Bühne waren ihm ein Graus. Auch damit hob er sich wohltuend ab.
Groß und hager, ein wenig nach vorn gebeugt, stets die altmodische dicke Brille auf der Nase – so kannte ihn sein Publikum. Kritiker lobten, er habe niemals extrem gespielt, immer mit dem rechten Maß. Trotz aller Seriosität am Piano war sein Humor als Autor bemerkenswert. Und machte selbst vor dem Tod nicht halt. “Falls man im Paradies immerzu Verdi hören muss”, schrieb er, “dann würde ich um Urlaub und um einen gelegentlichen Besuch in der Hölle bitten”.