Open AI will ein neues soziales Netzwerk schaffen. Was ist davon zu erwarten?

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Sam Altman plant eine direkte Konkurrenz zu Tiktok, Instagram, Facebook. Damit würde sich die Firma Zugang zu einem Rohstoff sichern, der immer rarer wird: Texte, die von Menschen geschrieben wurden.

Immer auf der Suche nach neuem Trainingsmaterial für seine KI: Sam Altman, CEO von Open AI, an einer Konferenz in Seoul, Südkorea, 4. Februar 2025.

Immer auf der Suche nach neuem Trainingsmaterial für seine KI: Sam Altman, CEO von Open AI, an einer Konferenz in Seoul, Südkorea, 4. Februar 2025.

Kim Hong-Ji / Reuters

Open AI verbrennt gerade viel Geld. Zwar zieht die Firma Milliardeninvestitionen an, aber ein profitables Geschäftsmodell fehlt ihr nach wie vor. Nun zeichnet sich ab, dass Open AI ein neues, unter Umständen profitables Standbein plant: ein soziales Netzwerk.

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Laut dem amerikanischen Tech-Portal «The Verge» existiert bereits ein interner Prototyp der Plattform. Glaubt man dem Bericht, fokussiert sich das soziale Netzwerk von Open AI auf das Generieren von Bildern mit Chat-GPT. Das ist wenig überraschend angesichts der Trends, die sich in den vergangenen Monaten auf den etablierten sozialen Netzwerken ergaben.

Im Frühjahr posteten Tausende von Nutzern Fotos von sich, die sie mit Chat-GPT in ein Comicbild hatten umwandeln lassen. Chat-GPT kopierte dafür den Zeichenstil des japanischen Studios Ghibli. Der Trend erreichte sogar das Weisse Haus, das ein Comicbild einer Drogenhändlerin bei der Festnahme postete.

Kurz darauf kam gleich der nächste Chat-GPT-Trend: Unzählige Nutzer liessen sich selbst, ihre Kinder, Kollegen oder Idole als Spielzeugfigur aus Plastik darstellen. Auch berühmte Persönlichkeiten wurden so abgebildet, unter anderem Donald Trump, Elon Musk, Kamala Harris und Greta Thunberg.

Diese beiden Trends zogen viele Neukunden zu Chat-GPT. Seit März belegt die App den Spitzenplatz auf der Liste der meistheruntergeladenen Anwendungen der Welt. Sam Altman, CEO von Open AI, schrieb auf X in Anspielung auf die heisslaufenden Rechenzentren der Firma beziehungsweise deren Grafikprozessoren: «Unsere GPU schmelzen.»

Open AI macht seine Konkurrenten zu Trittbrettfahrern

Open AI dürfte von der gesteigerten Bekanntheit profitieren. Dennoch hat die Firma zumindest ein Stück weit eine Chance verpasst. Denn die Nutzer haben ihre Bilder von Chat-GPT herunter- und bei anderen Plattformen hochgeladen. Konkurrenten wie Meta wurden damit zum Trittbrettfahrer des Erfolgs von Open AI: Weil Nutzer ihre KI-Bilder auf Facebook und Instagram teilten, verbrachten sie Zeit auf den Plattformen und schauten dabei auch Anzeigen an, was Meta wiederum Geld einbrachte.

Nun rechnet Altman offenbar damit, dass Open AI davon profitieren könnte, wenn seine Nutzer ihre Bilder künftig direkt via Chat-GPT ins Internet stellen.

Tatsächlich fällt es nicht schwer, sich ein soziales Netzwerk von Open AI vorzustellen – eine Plattform, wo Nutzer bei Trends wie jenen mit den Zeichentrickbildern oder den Spielzeugfiguren mitmachen, sich aber auch sonst über KI-Bilder austauschen. Dass dies ein Bedürfnis ist, zeigen unzählige Gruppen auf etablierten sozialen Netzwerken, in denen schon seit Jahren KI-generierte Bilder geteilt und diskutiert werden.

Läuft es mit dem Netzwerk nun so, wie Altman sich das wohl wünscht, könnte Open AI auf dieser Plattform auch Anzeigen schalten – und damit unter Umständen sogar den defizitären Betrieb von Chat-GPT querfinanzieren. Glaubt man weiteren Leaks aus Firmenkreisen, rechnet Open AI schon ab 2026 mit Werbeeinnahmen.

Lernt KI aus KI, verstärken sich Halluzinationen

Doch Gewinn alleine ist nicht der einzige Grund, warum ein soziales Netzwerk für Open AI interessant sein könnte. Angela Müller, Geschäftsführerin von Algorithm Watch Schweiz, sagt: Open AI könnte mit dem Netzwerk auch versuchen, sich langfristig Zugang zu Texten zu verschaffen, die von Menschen geschrieben worden seien.

Grosse Sprachmodelle wie Chat-GPT haben inzwischen praktisch sämtliche Texte integriert, die im Internet veröffentlicht wurden. Nun droht das Internet von KI-generierten Inhalten überflutet zu werden. Weil auch die besten Sprachmodelle bisweilen noch immer halluzinieren und KI-generierte Texte oft einem ähnlichen Aufbau folgen, könnte dies künftig auch den Sprachmodellen selbst schaden: Sie lernen von immergleichen und unter Umständen sogar fehlerhaften Texten.

Dieser Umstand mache es für Open AI noch attraktiver, ein eigenes soziales Netzwerk zu betreiben, sagt Müller. Denn so hätte die Firma Zugang zu immer neuen Texten, die von Menschen geschrieben oder mindestens von ihnen publiziert wurden.

Dazu kämen noch zwei weitere Punkte, sagt Müller. Erstens: «Lernt die KI aus kurzen Posts in Umgangssprache, wird sie selbst besser darin, einen lockeren, alltäglichen Umgangston anzuschlagen.» So könnte Chat-GPT künftig noch attraktiver werden, weil sich die Kommunikation mit dem Modell immer menschlicher anfühlt.

Und zweitens versuche Open AI mit der neuen Plattform seine Kunden enger an sich zu binden und eine Art Lock-in-Effekt zu erzielen: «Es wird ein Universum geschaffen, aus dem sich Nutzende kaum mehr herausbewegen müssen.» Die KI-Tools würden auf das soziale Netzwerk abgestimmt und umgekehrt. Die Chance, dass Kunden für ähnliche Dienstleistungen dann andere Anbieter aufsuchten, sinke dadurch beträchtlich.

Social Media könnten mehr – theoretisch

Und doch verpasst ein neues soziales Netzwerk laut Müller eine wichtige Chance, wenn es sich einzig um den KI-Bildgenerator von Chat-GPT dreht: «Soziale Netzwerke könnten so viel mehr sein als nur Spass und Unterhaltung» – nämlich potenziell wichtige Instrumente für die Vermittlung von Wissen und die demokratische Meinungsbildung. Dazu müssten sie aber vielfältige, qualitativ hochstehende Medieninhalte verbreiten und ihren Nutzern ein Forum für politische Debatten zur Verfügung stellen, sagt Müller.

Sie spiegelt mit diesem Gedanken eine alte Hoffnung. Als mit Facebook in den nuller Jahren das erste soziale Netzwerk weltweit erfolgreich wurde, prognostizierten manche Beobachter, die Plattform könnte die Demokratie stärken.

Tatsächlich spielten während des Arabischen Frühlings in den frühen 2010er Jahren insbesondere Facebook und Twitter eine wichtige Rolle. Auf den Plattformen wurden Protestveranstaltungen organisiert, politisch Interessierte verbanden sich in Bürgerinitiativen und Nachbarschaftsgruppen. Soziale Netzwerke, so schien es, wurden zu einem Treiber der Freiheit.

Doch in den Jahren danach wurde je länger, je klarer: Die Plattformen verpassen ihr Potenzial für die Demokratisierung. Nach und nach wurden politische Inhalte von unterhaltsamen Videos abgelöst. Nur vereinzelt blieben noch politische Debatten, und in denen mussten sich die Betreiber der Netzwerke vorwerfen lassen, dass sie konservative Meinungen zensieren und den öffentlichen Diskurs verzerren.

Eine Plattform ohne Hass, ohne Zensur, ohne Desinformation

Ein neues soziales Netzwerk, wie Open AI nun offenbar eins plant, könnte dies theoretisch ändern. Dafür müsste es aber anders aufgebaut werden als bisherige Plattformen, sagt Müller. Wie, das ergründen öffentlichrechtliche Medien, unter anderem die SRG, die ARD und das ZDF, in einer gemeinsamen Initiative namens New Public. Sie soll soziale Netzwerke erschaffen, auf denen Bürgerinnen und Bürger mit den unterschiedlichsten politischen Hintergründen zusammenkommen und über politische Fragen diskutieren – ohne Hassrede, ohne Zensur, ohne Desinformation.

«Eine Utopie? Nein, eine demokratische Ambition», lässt sich einer der Projektpartner zitieren. Wie eine solche Plattform aussehen könnte, erprobt das Gremium gerade. Einmal abgesehen von einigen originellen Ideen für Kommentarspalten und Videokommentierung ist dabei bis jetzt allerdings wenig Konkretes herausgekommen.

Müller bezweifelt, dass Open AI tatsächlich gedenkt, mit seinem sozialen Netzwerk ein solches Demokratie-förderndes Diskussionsforum zu erschaffen. Zwar wurde Open AI als Nonprofitorganisation gegründet, «zum Vorteil der ganzen Menschheit». Doch wer ein Produkt schafft, das Milliarden kostet, muss Geld eintreiben. Erwartbar ist daher, dass die Firma früher oder später der gleichen Logik folgen wird wie die bisherigen Plattformen: Sie versuchen die Nutzungszeit zu maximieren, damit sie möglichst viel Werbung verkaufen können.

Damit könnten Trends wie jene der Zeichentrickbilder und Spielzeugfiguren künftig noch häufiger werden – weil Open AI dann einen Anreiz hätte, sie selbst anzuheizen. Sein gesellschaftspolitisches Potenzial würde allerdings auch dieses soziale Netzwerk nicht entfalten.