Wie er die Wirtschaftsprüfer ins Zwielicht rückte

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Am 18. Juni vor fünf Jahren schockte Wirecard die Republik mit einer Ad-hoc-Mitteilung. Darin räumte das Unternehmen mit wenigen Worten ein, dass 1,9 Milliarden Euro fehlten – ein Viertel der Bilanzsumme – und lies durchblicken, dass der Wirtschaftsprüfung EY gefälschte Bestätigungen über angebliche Bankguthaben vorgelegt worden seien. Eine Woche später war Wirecard pleite. Es war der erste Insolvenzantrag eines Dax-Konzerns.

Eigentlich hätte die für den 18. Juni 2020 vorgesehene Bilanzvorlage ein Tag der Befreiung für die vielen Fans der ­Wirecard-Aktie werden sollen, eine lang ersehnte Befreiung von den immer wieder aufflammenden Zweifeln an dem schwindelerregenden Aufstieg des Unternehmens, das Aktionäre und Gläubiger als eine Art deutsches Paypal sahen, die Tech-Hoffnung „Made in Germany“. Doch statt der versprochenen Bilanz deckte ­Wirecard die Karten auf. An diesem Donnerstag stellte sich jedoch heraus, dass die Verantwortlichen in Aschheim bei München nicht nur zu hoch gepokert, sondern sogar betrogen hatten.

Zweifel an Wirecard flammten immer wieder auf

Schon von Beginn an hatten Vorwürfe der Bilanzfälschung die märchenhafte Wirecard-Story überschattet (siehe Chronik). Doch schaffte der Vorstand um Markus Braun es stets, den Spieß umzudrehen und Kritiker des Zahlungsabwicklers durch eigene Klagen mundtot zu machen. Auch hatte die seit 2009 von Wirecard beauftragte Wirtschaftsprüfung EY Jahr für Jahr uneingeschränkte Bilanztestate erteilt. So konnte das Unternehmen unbehelligt in den Tec-Dax und schließlich in den Dax aufsteigen, die erste Börsenliga. Erst für das Geschäftsjahr 2019 verweigerten die Prüfer ihren Stempel unter der Wirecard-Bilanz. Da war es zu spät für viele Anleger, die sich auf das Prüfsiegel und den Dax-Nimbus verlassen hatten.

Der Wirecard-Skandal hat das Vertrauen in die Bilanzen erschüttert. Seither lassen sich Anleger leicht erschrecken, wenn Leerverkäufer, die auf fallende Kurse spekulieren, Unternehmen Bilanzfehler vorwerfen. Im Fall des Leasinganbieters Grenke lies eine Attacke des Wirecard-Leerverkäufers Fraser Perring und seiner Firma Viceroy im Jahr 2021 die Kurse einbrechen, obwohl sich relativ rasch herausstellte, dass der Hauptvorwurf fehlender Bankguthaben in Höhe Hunderter Millionen Euro nicht zutraf. Eine durch die Finanzaufsicht Bafin beauftragte Sonderuntersuchung der Grenke-Bilanzen stellte zwar Mängel in der Buchhaltung fest, aber nichts, was Kurseinbrüche in einer solchen Tiefe gerechtfertigt hätte.

Wirecard steht als Elefant im Raum

Anders sah es bei dem luxemburgisch-deutschen Immobilienkonzern Adler Group aus, der ebenfalls von Perring attackiert wurde. „Der Elefant im Raum heißt Wirecard“, sagte der als Aufräumer geholte Adler-Verwaltungsratschef Stefan Kirsten im Februar 2022. Damit wollte er andeuten, dass nicht hinter jedem Bilanzalarm gleich ein Skandal in der Größenordnung von Wirecard stecken muss. Inzwischen ist klar geworden, dass Adler eher kein Opfer von Alarmismus war. An dem Unternehmen, das sich später einer tiefgreifenden Umstrukturierung unterzog, zeigte sich, dass Wirtschaftsprüfer nunmehr deutlich vorsichtiger geworden sind, heikle Mandate im Zweifel ablehnen oder ihre Bilanztestate einschränken.

Die für Adler zuständige Wirtschaftsprüfung KPMG lies sich selbst mit einem von Adler bewirkten Gerichtsbeschluss nicht breitschlagen, den Problemkunden weiter zu prüfen. Adler stand daher lange ohne Prüfer da, was es bei einem börsennotierten Unternehmen – immerhin S-Dax – noch nicht gegeben hatte. Rückblickend haben die Wirtschaftsprüfer hier ein wichtiges Exempel statuiert. Die Botschaft: Wir lassen uns von Kunden nicht mehr unter Druck setzen, nur um das Mandat zu behalten.

Die für Wirecard zuständige Wirtschaftsprüfung EY verweist bis heute auf die zweifellos hohe kriminelle Energie im Hause Wirecard, dessen ehemaliger Chef Markus Braun und weitere Verantwortliche sich einem Strafprozess stellen müssen. Die Wirtschaftsprüfer zählen also auch zu den Betrogenen, sie hätten sich aber nicht auf diese Weise betrügen lassen dürfen. Die Wirtschaftsprüferaufsichtsbehörde APAS jedenfalls hat wiederholte schwerwiegende Pflichtverletzungen durch EY und einzelne Prüfer im Fall Wirecard festgestellt. Das ist ein Vorwurf, dem sich kein Prüfer aussetzen will.