Die Homepage für den Wahlkampf hat die AfD unter dem Titel „Vision 2026“ bereits freigeschaltet: „In Sachsen-Anhalt stehen wir heute an der Schwelle zu einer historischen Zeitenwende“, heißt es dort. „Was lange unmöglich schien, ist zum Greifen nah: eine Landesregierung unter Führung der AfD.“ In der Partei wird sogar vorgerechnet, dass am festgelegten Wahltermin am 6. September 2026 ein Ergebnis von knapp über 40 Prozent zu einer absoluten Mehrheit der Mandate und damit zu einer Alleinregierung reichen könnte.
Die AfD stützt ihren Optimismus auf ihr Ergebnis bei der Bundestagswahl im Februar 2025, bei der sie in Sachsen-Anhalt alle Direktmandate gewann, 37,1 Prozent der Zweitstimmen erzielte und die CDU mit ihren 19,2 Prozent weit hinter sich ließ. Zudem verfügt sie mit Ulrich Siegmund über einen Spitzenkandidaten, der in anderen Parteien als weitaus gefährlicher eingeschätzt wird als alles, was die AfD bisher in Magdeburg aufgeboten hat. Der 34 Jahre alte Siegmund, der vor seinem Wechsel in die Politik Konzepte für Raumbeduftungen vermarktete, gilt als Schwiegermutter-Typ und ist mit mehr als 500.000 Followern einer der reichweitenstärksten deutschen Politiker bei Tiktok.
Siegmund war auf dem „Geheimtreffen“
Dieser Erfolg hat unter anderem zur Folge, dass Schulklassen, die sonst kaum einen Landespolitiker kennen, bei Besuchen im Magdeburger Landtag dem Vernehmen nach darauf bestehen, Ulrich Siegmund zu treffen, selbst wenn die Lehrkräfte vor dessen Radikalität warnen. Angeführt wird in diesem Zusammenhang regelmäßig Siegmunds Teilnahme an dem Potsdamer Treffen, auf dem er 2023 die Remigrationspläne seiner Partei ausbreitete. Siegmund arbeitet aber auch seit Jahren eng mit AfD-Politikern zusammen, wegen derer der sachsen-anhaltische Landesverband vom Verfassungsschutz schon seit geraumer Zeit als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird. Siegmund umgibt sich in der Fraktion zudem mit Mitarbeitern, die aus der Neonazi-Szene stammen.
Angesichts des heraufziehenden Wahlkampfs ist Siegmund derzeit um Abstand allerdings von allzu offenkundigem Rechtsextremismus bemüht. Die Homepage für seine „Vision 2026“ ist in noblem Nachtblau gehalten und wird von einer fein lithographierten Staatskanzlei geziert, sodass man sie eher einer alteingesessenen Hamburger Vermögensberatung als der AfD zuschreiben würde, nach deren Parteilogo man dort lange suchen muss.

Die anderen Parteien verfolgen diese Aktivitäten mit spürbarer Nervosität. Denn im professionellen Umgang mit den sozialen Medien ist ihnen die AfD längst enteilt, die ihre Kanäle ständig mit professionell erstellten Videoclips füttert. Auch an finanziellen Mitteln dürfte es Siegmund im Wahlkampf nicht fehlen. Die Landes-AfD dürfte 2026 massive Unterstützung der Bundes-AfD erhalten. Siegmund hat angekündigt, das Budget für den Wahlkampf kräftig auf 1,5 Millionen Euro zu erhöhen. Aus anderen Parteien heißt es, das Budget der AfD liege womöglich sogar doppelt so hoch.
Während die AfD bereits für den Wahlkampf präpariert wirkt, gärt in den Reihen der CDU die Ungewissheit. Denn dort hängt die gesamte Planung des Wahlkampfs von der Frage ab, ob Ministerpräsident Reiner Haseloff noch einmal antritt oder das Feld dem CDU-Landesvorsitzenden und Wirtschaftsminister Sven Schulze überlässt. Haseloff wollte seine lange politische Karriere eigentlich schon 2021 beenden, ließ sich aber noch einmal in die Pflicht nehmen und führte die CDU mit seiner glasklaren Abgrenzung zur AfD zu einem eindrucksvollen Wahlsieg mit 37,1 Prozent.
Nun wird Haseloff abermals von vielen Seiten bedrängt, abermals das Zugpferd zu geben. Die Ausgangslage ist allerdings schwieriger als vor der letzten Wahl. Die Abwehrreflexe in der Bevölkerung gegenüber der AfD sind zwischenzeitlich weiter geschwunden. Besonders in ländlichen Gebieten ist die Partei präsenter als ihre Konkurrenten und hat längst die geistige Lufthoheit errungen. Haseloff ist zudem inzwischen 71 Jahre alt. Die AfD spricht bereits genüsslich vom „Joe Biden Sachsen-Anhalts“.
Am vergangenen Donnerstag rechnete Ulrich Siegmund im Landtag unter der Überschrift „Anti-Deutschlandkoalition“ mit Haseloffs schwarz-rot-gelber Regierung ab. Der AfD-Spitzenkandidat stellte die Themen in den Mittelpunkt, mit denen Siegmund vermutlich auch seinen Wahlkampf bestreiten wird: Zuwanderung, Inflation sowie die vorerst gescheiterte Intel-Ansiedlung nahe Magdeburg.
Haseloff schritt daraufhin zum Rednerpult, ließ sein vorbereitetes Manuskript beiseite und reagierte spontan. Die anstehende Landtagswahl sei eine „existenzielle Entscheidung“, rief Haseloff. Es gehe um die Frage, ob das Land in die Hände von Extremisten fällt. „Aber diesen Gefallen werde ich Ihnen nicht tun, dies ist mein Heimatland, das werden Sie nicht verhunzen!“ Haseloff kündigte im Plenum zudem an, im Falle eines AfD-Wahlsieges möglicherweise fortzuziehen. Der AfD-Abgeordnete Daniel Roi, der nach einem parteiinternen Zerwürfnis jüngst wieder in die Fraktion zurückkehrte, warf Haseloff daraufhin ein verfehltes Demokratieverständnis vor. Auch die Linkspartei kritisierte Haseloffs öffentliches Gedankenspiel über einen Fortzug.
Der engagierte Auftritt des Ministerpräsidenten im Landtag wurde in Magdeburg als weiterer Hinweis darauf gewertet, dass Haseloff noch einmal als Spitzenkandidat antreten könnte. In den Wochen nach der Bundestagswahl hatten in Magdeburg zuvor Gerüchte für Unruhe gesorgt, die sowohl Haseloff als auch seinen Wirtschaftsminister Schulze mit Ministerposten in Berlin in Verbindung brachten; derlei Absichten zerschlugen sich dann jedoch.
Held oder nicht?
Haseloffs Kalkül mit Blick auf eine mögliche Spitzenkandidatur ist allerdings auch ohne die Variable Berlin komplex: Für eine Kandidatur spricht sein hoher Bekanntheitsgrad im Land. Dagegen spricht sein Alter und der Wunsch, Rücksicht auf die Belange seiner Frau und seiner Familie zu nehmen. Zusätzlich dürfte Haseloff auch die Chancen wie die Risiken durchdenken, die eine abermalige Kandidatur für das Bild bedeuten könnten, mit dem er in die Landesgeschichte eingeht: Mit einem Wahlsieg könnte Haseloff seine Rolle als Held untermauern, der seine Heimat wieder und wieder vor dem Drachen geschützt hat. Im Falle einer Niederlage wäre er womöglich der erste Politiker, der die Schlüssel zur Staatskanzlei an einen AfD-Politiker weiterreichen muss. Die Entscheidung zwischen Haseloff und Schulze wird daher weiterhin mit großer Spannung erwartet. In der Partei ist vereinbart worden, sie im August zu verkünden.

Die CDU hat aber nicht nur mit der Klärung ihrer Spitzenkandidatur zu schaffen, sondern auch mit Querelen in den eigenen Reihen. In der vergangenen Woche schrammte Bildungsministerin Eva Feußner abermals nur knapp an einem Rücktritt vorbei, weil sie den Schulen im Land die Skifreizeiten untersagen wollte. Was als Maßnahme zur Eindämmung des Unterrichtsausfalls gedacht war, führte zu einem Eklat zwischen Feußner und ihrer eigenen Fraktion, an dessen Ende die Ministerin klein beigeben musste. Wenige Tage später soll dann der CDU-Abgeordnete Markus Kurze auf dem Sommerfest des Landtags in betrunkenem Zustand gegenüber einer Mitarbeiterin einer anderen Fraktion sexuell übergriffig geworden sein. Kurze verlor daraufhin sein Amt als Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion.
Solche Vorgänge festigen das Bild einer Fraktion, die schon seit Jahren durch Abweichlertum und grobe Bolzereien nach innen wie außen auffällt. Und im heraufziehenden Wahlkampf gegen die hochprofessionelle AfD wird die Disziplin der CDU noch weiteren Prüfungen ausgesetzt sein. Nach der Verkündung des Spitzenkandidaten im August steht im Herbst nämlich die Vergabe der Listenplätze an. Dies birgt Konfliktpotential, weil ein guter Listenplatz 2026 weit wichtiger sein könnte als bei früheren Wahlen, bei denen die CDU die meisten Direktmandate gewann. Und Ende des Jahres muss sich dann auch noch Sven Schulze seiner Wiederwahl als Landesvorsitzender stellen. 2023 hatte er ohne Gegenkandidaten ein Ergebnis von knapp 75 Prozent erhalten, was auf das Ausmaß der Spannungen in Partei schließen ließ.
Es gibt auch andere Stimmen in der CDU
Noch weit turbulenter könnte es nach der Landtagswahl zugehen, falls keine Mehrheit mehr für eine Dreier-Koalition in der Mitte zustande kommt und die CDU entweder mit der Linkspartei oder der AfD kooperieren müsste. In Magdeburg werden bereits jetzt verschiedene Szenarien durchgespielt: Reiner Haseloff würde vermutlich auf sein Vermächtnis, die scharfe Abgrenzung von der AfD, pochen.
Auch Sven Schulze ist von dieser Linie bisher nicht abgewichen. Zudem würde es auch beträchtlichen Druck aus der Bundespartei geben. Dem stünden aber besonders in der Fraktion, aber auch in der Partei Kräfte gegenüber, die sich eine Einmischung verbitten und auf eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD dringen. Eine bedeutende Rolle könnten denn die Kreisvorsitzenden spielen, bei denen es allerdings auch eine große Spanne zwischen Parteimitgliedern wie Götz Ulrich aus dem Burgenlandkreis gibt, der sich gegen jedwedes Zusammenwirken mit der AfD stellt, und Ulrich Thomas aus dem Harz, der sich deutlich aufgeschlossener gezeigt hat. Es könnte nach der Wahl also sehr unübersichtlich in der CDU werden.
Die Partei hofft aber weiter darauf, dass sie mithilfe eines guten Bundestrends, einer gesunkenen illegalen Migration und der vergleichsweise ruhigen Regierungsarbeit in Magdeburg ein gutes Ergebnis einfährt und es ihr im Wahlkampf gelingt, den sachpolitisch nicht immer sattelfesten AfD-Spitzenkandidaten Ulrich Siegmund zu entzaubern.
Während der CDU in den parteiinternen Szenarien die Aufgabe zufällt, Teile der AfD-Wählerschaft zurückzugewinnen, würde vor allem der SPD die Aufgabe zukommen, ihr Potential auszuschöpfen und als Koalitionspartner zur Verfügung zu stehen. Die Sozialdemokraten beschlossen am Montagabend, im Wahlkampf ihren Wissenschaftsminister Armin Willingmann an die Spitze zu setzen. Der frühere Hochschulrektor genießt nicht nur in seinem Zuständigkeitsbereich hohe Anerkennung, sondern wird auch in den anderen Parteien geschätzt.
Die FDP, hinter deren Chance auf einen Wiedereinzug in Magdeburg derzeit ein großes Fragezeichen gesetzt wird, hat ihre Aufstellung noch nicht festgelegt. Die Grünen wollen im Wahlkampf auf ihre Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz setzen. In der Linkspartei deutete sich am Dienstag an, dass in einer Gremiensitzung am Abend die Fraktionsvorsitzende Eva von Angern für die Spitzenkandidatur in Stellung gebracht wird. Die Wagenknecht-Partei BSW spielte in Sachsen-Anhalt bisher keine annähernd so große Rolle wie in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg. Das BSW verfügt dort weiterhin über keine bekannten Gesichter und muss mit Blick auf die Landtagswahl hoffen, im September 2026 überhaupt öffentlich wahrgenommen zu werden.