Erklärung vom Bahnchef: Familienabteile werden zweckentfremdet

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In der aufgeheizten Debatte um die Abschaffung der Familienreservierung hat erstmals der Vorstand der Deutschen Bahn Stellung bezogen und seine Entscheidung gegenüber der Politik gerechtfertigt. Die pauschale Familienreservierung für zuletzt 10,40 Euro sei in den vergangenen Jahren immer wieder missbräuchlich genutzt worden, schreiben Bahnchef Richard Lutz und der für den Fernverkehr zuständige Vorstand Michael Peterson in einem Brief an die Riege von Politikern und Verbänden, die die Entscheidung zuletzt scharf kritisiert hatten. Dies sei etwa durch übermäßige Platzbuchungen und Mehrfachreservierungen geschehen oder durch Kleingruppen, die das Angebot zweckentfremdet hätten.

Die Folge: Viele reservierte Sitzplätze blieben nach Angaben des Staatskonzerns leer, während tatsächlich reisende Familien oft keine Plätze mehr buchen konnten. Das Fazit des Vorstands: „Um diese strukturellen Fehlentwicklungen zu beheben und eine effizientere Sitzplatzauslastung zu erreichen, war eine Neujustierung unumgänglich“, heißt es in dem Brief, der der F.A.Z. vorliegt.

Bei der missbräuchlichen Verwendung nutzten die Kunden die Tatsache aus, dass der Betrag einer Familienreservierung den Kosten von zwei reservierten Plätzen von bisher jeweils 5,20 Euro entsprach. Die Kostenersparnis ergab sich also schon bei einer Reservierung von drei Plätzen. Immer wieder sollen Zugkontrolleure allerdings im Familienabteil auf reine Erwachsenengruppen gestoßen sein, die die Abgeschiedenheit des Abteils zum Beispiel für Arbeitsbesprechungen nutzten, heißt es aus Bahnkreisen.

Kinder bis 14 Jahren reisen kostenlos mit

Um das zu ermöglichen, profitierten die Kunden von einem weiteren Vorteil der Bahnreise: Kinder bis 14 Jahre können kostenlos mitfahren. Die Reisenden konnten also Minderjährige praktisch ohne Zusatzkosten eintragen lassen und für sie Plätze reservieren. Bei den Kontrollen im Zug war es dann der Durchsetzungskraft der Zugbegleiter vor Ort überlassen, diese missbräuchliche Nutzung zu beseitigen – oder notgedrungen zu dulden.

Die Entscheidung zur Anpassung der bisherigen pauschalen Familienreservierung sei das Ergebnis einer gründlichen Analyse und intensiven Abwägung, beteuern Lutz und Peterson und ergänzen mit Blick auf die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen als Aktiengesellschaft: „Als Deutsche Bahn stehen wir in der Verantwortung, den eigenwirtschaftlich betriebenen Fernverkehr dauerhaft wirtschaftlich tragfähig zu gestalten – und dazu gehört auch, die Auslastung unserer Züge gezielt zu verbessern.“ Die kostenfreie Kindermitnahme, die auch im internationalen Vergleich hervorsteche, bleibe indes weiterhin bestehen, versicherte der Vorstand.

Die Entscheidung zur Abschaffung der Familienreservierung, die am Sonntag in Kraft traft, war in der vergangenen Woche auf einen breiten Protest gestoßen, der nicht zuletzt von der Verbraucherschutzministerin Stefanie Hubig, dem Umweltminister Carsten Schneider (beide SPD) und dem SPD-Generalsekretär Matthias Miersch vorangetrieben wurde. Zuletzt hatte der Grünen-Chef Felix Banaszak die Bahn aufgefordert, die umstrittene Streichung der Familienreservierung wieder zurückzunehmen; auch zahlreiche Verbände äußerten sich kritisch. Eine entsprechende Petition („Die Familienreservierung muss bleiben!“) wurde inzwischen von rund 120.000 Menschen unterzeichnet.

Mischt sich die Politik an den falschen Stellen ein?

Umgekehrt sorgte die anhaltende Debatte sowohl in der Branche als auch in der Belegschaft für Irritationen, schließlich verhallen auf der anderen Seite die Forderungen nach politischen Vorgaben für die strategische Ausrichtung der Bahn schon seit langer Zeit fast ungehört. „Die anhaltende Debatte um die Familienreservierung sollte die Politik als Anlass nehmen für eine Diskussion über die Aufgaben der Bahn in den kommenden Jahren“, findet etwa Ralf Damde, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von DB Regio und Aufsichtsrat des Konzerns. Dabei könne es auch darum gehen zu entscheiden, ob die Bahn gewinnorientiert arbeite und in welchen Bereichen sie stärker gemeinwohlorientiert ausgerichtet sein solle.

Auch die Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrsforums, Heike van Hoorn, hält es für symptomatisch, dass sich Politiker nur in die Debatte um die Familienreservierung einmischen, aber die Rolle der Bahn in den kommenden Jahren nicht thematisieren. Sie verweist darauf, dass die Bahn im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehe und Gewinne erwirtschaften müsse.