Durchgestochenes Gespräch stürzt Thailand in die Krise

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Das Wiederaufflammen des Grenzstreits mit Kambodscha allein hätte Thailands Ministerpräsidentin vielleicht noch bewältigen können. Doch nun stürzt ein durchgestochenes Telefonat ihre Regierung in eine tiefe politische Krise. Die neunminütige Audioaufnahme gibt ein Gespräch der 38 Jahre alten Paetongtarn Shinawatra mit dem langjährigen kambodschanischen Machthaber und heutigen Senatspräsidenten Hun Sen wieder.

Für Wirbel sorgt vor allem eine Stelle in dem Telefonat, an der sich die beiden über den Grenzkonflikt zwischen ihren beiden Heimatländern austauschen. Darin bezeichnet die Thailänderin die Mi­litärführung ihres eigenen Landes als ihre „Gegner“, auf deren Rhetorik der Kambodschaner lieber nichts geben solle. Über einen Kommandeur des thailändischen Militärs sagt sie, dieser wolle „cool wirken“ und sage Dinge, die für das Land nicht von Nutzen seien. „In Wahrheit wollen wir Frieden“, versicherte sie ihrem Gesprächspartner.

Paetongtarn entschuldigt sich

Die thailändische Ministerpräsidentin, die im Verlauf der Krise nun schon ihren wichtigsten Koalitionspartner verloren hat, entschuldigte sich am Donnerstag öffentlich für ihre Äußerungen – in Anwesenheit hochrangiger Vertreter des Verteidigungsministeriums und des Militärs. „Wir haben keine Zeit für interne Streitigkeiten. Wir müssen unsere Souveränität schützen“, so die Regierungschefin. „Die Regierung ist bereit, das Militär in jeder Hinsicht zu unterstützen“, versicherte sie vor der versammelten Presse.

Die Authentizität der Gesprächsaufnahme hatten zu dem Zeitpunkt bereits beide Seiten bestätigt. Die Aufnahmen sorgten für heftige Proteste in konserva­tiven Kreisen in Thailand, die der Regierungschefin Verrat an der Nation vorwarfen. Zwischen den beiden Nachbarländern herrschen Spannungen, seitdem Ende Mai bei einem Feuergefecht ein kambodschanischer Soldat durch Schüsse der thailändischen Grenztruppen getötet worden war.

Die Ursache für die Auseinandersetzung gehen auf die Kolonialzeit und die Grenzziehung zwischen den beiden Ländern zurück. Dabei geht es in erster Linie um den rund 1.000 Jahre alten Hindu-Tempel von Preah Vihear, der im Grenzgebiet auf einem etwa 500 Meter hohen Hügel steht. Das Bauwerk gehört mit der Tempelstadt Angkor Wat zum reichen Erbe der frühen Khmer-Kultur. 1962 hatte der Internationale Gerichtshof (IGH) die Tempelanlage in dem umstrittenen Grenzgebiet Kambodscha zugesprochen.

Die Richter hatten jedoch kein Urteil über die umliegenden Gebiete gefällt. Der Streit war dann wieder aufgeflammt, als der Tempel im Jahr 2008 auf Antrag Phnom Penhs in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde. In der Folge kam es immer wieder zu Schusswechseln zwischen Grenztruppen in dem Gebiet, die im Jahr 2011 zu einwöchigen Gefechten mit mehreren Toten eskalierten. Insgesamt sollen seither 28 Menschen entlang der unmarkierten Grenze getötet worden sein.

Es folgten ein Waffenstillstand und ein weiteres Urteil des IGH, das seinen eigenen Spruch aus dem Jahr 1962 bestätigte. Die Souveränität über den Tempel und die umliegenden Gebiete sprachen die Richter Kambodscha zu. Die thailändischen Truppen wurden zur Räumung aufgefordert. Das Feuergefecht Ende Mai ging nach thailändischen Angaben auf ein bloßes Missverständnis zurück.

In der Folge bemühten sich die Regierungen der beiden Länder um Deeskalation. Beide zogen ihre Truppen in dem Grenzgebiet auf frühere Positionen zurück. Dabei dürfte geholfen haben, dass Kambodschas langjähriger Ministerpräsident Hun Sen, der das Amt nach mehr als 30 Jahren an seinen Sohn Hun Manet übergeben hat, seit Langem mit dem Vater Paetongtarns befreundet ist. Den Aufnahmen nach hatte sie ihr Gegenüber dementsprechend als „Onkel“ angesprochen. Hun Sen hatte zuvor nicht sie, sondern thailändische „Extremisten“ und die thailändische Armee für die Verschärfung der Spannungen verantwortlich gemacht.

Kambodscha will den IGH anrufen

Trotz der persönlichen Verbindungen auf höchster Ebene wird der Konflikt politisch weiter scharf geführt. Kambodscha will nun abermals den IGH anrufen, um Ansprüche auf vier umstrittene Gebiete klären zu lassen, auf denen verschiedene Tempelanlagen stehen. Thailand sagt dagegen, dass es das Gericht nicht anerkennt und den Streit bilateral beilegen möchte. Verschiedene Strafmaßnahmen wurden von beiden Seiten ergriffen: So wurden die Öffnungszeiten der Grenzübergänge auf wenige Stunden pro Tag verringert, grenzüberschreitende Strom- und Internetverbindungen gekappt sowie der Handel mit Früchten und anderen landwirtschaftlichen Produkten teilweise ausgesetzt.

Kambodschas Regierung hat sogar die beliebten thailändischen Seifenopern aus dem Fernsehen verbannt. Denn in beiden Ländern beschwört der Konflikt nationalistische Gefühle herauf. So kam es sowohl in Bangkok als auch in Phnom Penh in den vergangenen Tagen zu Protesten mit zahlreichen Teilnehmern, die ihrem Unmut über das jeweilige Gegenüber Luft machten. Dabei wird Kambodscha aus Thailand unter anderem vor­geworfen, diesen Nationalismus auch zu schüren, um von wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzulenken.

Nur in Thailand richtet sich der Protest auch zunehmend gegen die eigene Regierung und ihren Umgang mit der Krise. Dort könnte die Auseinandersetzung nach Ansicht von Beobachtern die ebenfalls schon aufgrund wirtschaftlicher Pro­bleme unter Druck stehende Ministerpräsidentin in die Knie zwingen. Nach dem Abschied der Bumjaithai, der Partei mit den zweitmeisten Sitzen innerhalb der Regierungskoalition, verfügt die Regierung unter ihrer Pheu-Thai-Partei nur noch über eine sehr knappe Mehrheit im Parlament. Begründet hatte der politische Partner seinen Rückzug mit der di­plomatischen Zurückhaltung der Ministerpräsidentin im Grenzkonflikt mit Kambodscha.

Nun werden Rufe nach ihrem Rücktritt oder gar einer Auflösung des Par­laments und Neuwahlen laut. Gleichzeitig wächst die Sorge, dass das Militär die Krise erneut für einen Putsch zum Anlass nehmen könnte. Die letzten Jahre hatte ein wackeliger Frieden zwischen dem Militär und der Regierung geherrscht. Mehr als ein Dutzend Mal hat das Militär in Thailand bereits gegen verschiedene Zivilregierung geputscht. Im Jahr 2006 hatte das Militär den da­maligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra gestürzt, im Jahr 2014 in einem weiteren Coup seine Schwester Yingluck. Nun fragen sich viele in Thailand, ob die Tochter Paetongtarn als Nächstes dieses Schicksal ereilen könnte.