War Friedrich Merz’ „Drecksarbeit“-Äußerung sauber?

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Als wir diese Woche, am Herd stehend, mit einem Ohr aus dem Fernseher im Wohnzimmer, vor den wir die Kinder nach der Kita zum Runterkommen gesetzt hatten, das Wort „Drecksarbeit“ hörten, dachten wir, da werde wieder mal einem Angehörigen der Gen Z eine Bühne geboten, um die angeblichen Vorzüge der Work-Life-Balance zu rühmen und mithin das Konzept „Arbeit“ durch die Verwendung des Präfix „Drecks“ in den Dreck zu ziehen, so wie das etwa missgünstige Fans schlechter Mannschaften mit dem FC Bayern zu tun pflegen, Stichwort „Drecksverein“.

Beim genaueren Hinhören wurde dann aber klar, dass hier unser Kanzler Friedrich „Mit der Vier-Tage-Woche können wir den Wohlstand nicht erhalten“ Merz sprach, und zwar über die israelischen Angriffe auf iranische Atomanlagen und Führungsfiguren. In diesem Zusammenhang hatte er gesagt: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle.“

Mit fast schon Olaf-Scholz-haftem Respekt

Ein derartiger Gebrauch von „Drecksarbeit“ verweist auf die enorme Bedeutungsbreite des Begriffsfelds „Dreck, Schmutz, Staub, Mist“. Die schon angedeutete Negativität kommt in Wendungen wie „mit Dreck bewerfen“, „schmutziger Deal“, „Dreck am Stecken“, „ein rechter Scheißdreck war’s“ oder „schmut­zeln“ zum Ausdruck. Von „schmut­zeln“ ist der Weg nicht weit zu „Schmutziger Süden“, was nicht nur der Terminus ist, den Daniel Günther im Kopf haben dürfte, wenn er an Markus Söder denkt, sondern der Titel eines Films von Klaus Lemke, in dem es durchaus dirty zugeht.

Dirty ist hier das Gegenteil von clean. Nicht das, was stört, sondern das, was reizt. Dirty Diana. Dirty Dancing. Dirty Harry. Wolfgang Joop sagte mal über das Fashionbusiness: „Du musst auch ugly können.“ Entsprechend gilt: „Du musst auch dirty können.“

Überhaupt scheint der Dreck weit besser zu sein als sein Image. In Braunkohlegebieten wird von Anwohnern regelmäßig für seinen Verbleib demonstriert. Wenn Kinder ihn in den Mund nehmen, stärkt es ihr Immunsystem. Und selbst in der Redewendung „Der gönnt ihm nicht das Schwarze unter den Fingernägeln“ steht der Dreck für ein Mindestmaß an menschlicher Würde.

Auch die Art, wie Merz den Begriff „Drecksarbeit“ verwendet, ist von einem fast schon Olaf-Scholz-haften Respekt geprägt. Sie erinnert an Fußballtrainer, die von ihren Spielern fordern, sie müssten „Dreck fressen“ für den Sieg, der zur Not auch ein dreckiger oder zumindest ein nicht ganz sauberer sein könne. Israel ist demnach der Jens Jeremies der Weltpolitik, der dahin geht, „wo es wehtut“ (ihm selbst oder den anderen), während etwa die Europäer, statt sich die Hände schmutzig zu machen, sie lieber in Unschuld waschen. Ähnlich ist die Sache bei den Zurückweisungen an der Grenze: Da muss nun Alexander Dobrindt die Vorsehung vollenden und tun, wofür sich die Saubermänner von der Ampel zu fein waren.

Politik ist kein Ponyhof

Im Grunde ist der Dreck, so wie Merz ihn im Munde führt, ein anderes Wort für Realität, im Sinne Sigmar Gabriels, der seine SPD einst ermahnte: „Unsere Politik wirkt manchmal aseptisch, klinisch rein . . . Wir müssen raus ins Leben, da, wo es laut ist, wo es brodelt, da, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.“ Der Gegenbegriff dazu ist das Recht, zumal das Völkerrecht aka Gedöns. Diese Frontstellung deutete sich schon an, als Annalena Baerbock sagte, sie komme „eher aus dem Völkerrecht“, Habeck hingegen von Hühnern, Kühen, Schweinen, die ja auch viel Mist machen und sich im Dreck suhlen.

Gabriel sagte jüngst auf die Frage, ob das Völkerrecht ausgedient habe: „Weltpolitik wird am Ende nicht vorm Amtsgericht verhandelt.“ Anders formuliert: Politik ist kein Ponyhof. Wer das anzweifelt, spielt bloß – um eine derzeit beliebte Haltung zu zitieren – der Hamas in die Karten und der AfD sowieso.

Im Übrigen sind Drecksarbeiter oft die, die säubern. Man denke nur an „Pulp Fiction“, wo auf einer Autofahrt Vincent Vega dem Marvin versehentlich in den Kopf schießt und es schon eines mossadhaften Fachmanns – Mr. Wolf – bedarf, um die Sauerei zu beseitigen. Im Englischen, der Sprache der Realpolitik, heißt der nicht etwa Dirty Worker, sondern Cleaner.