Frankreich droht Verbot neuer Wind- und Solaranlagen

8

In der parlamentarischen Debatte um Frankreichs energiepolitische Zukunft hat der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) einen unerwarteten Triumph errungen. So hat eine Mehrheit der Abgeordneten der Nationalversammlung einen Änderungsantrag angenommen, der die Verhängung eines unbefristeten Moratoriums für neue Wind- und Solaranlagen vorsieht. Prüfung, Genehmigung und Inbetriebnahme neuer Anlagen würden dadurch untersagt. Das gelte auch für die Verlängerung bestehender Genehmigungen. In Kraft bliebe das Moratorium „für den Zeitraum, der für die Durchführung einer unabhängigen, gründlichen und objektiven Studie erforderlich ist, um den optimalen Energiemix für Frankreich sowohl unter wirtschaftlichen als auch unter ökologischen Gesichtspunkten zu ermitteln“.

Die Annahme des Änderungsantrags löste bei den linken Oppositionsparteien und im Regierungslager Entsetzen aus. Der Berichterstatter Antoine Armand von der Präsidentenpartei Renaissance sprach von einer „wirtschaftlichen und industriellen Katastrophe“. Industrieminister Marc Ferracci nannte das drohende Moratorium „völlig unverantwortlich“ und beklagte das Signal, das damit an die Industrie gesendet werde. France Renouvelables, der Interessenverband der erneuerbaren Energiewirtschaft, warnte vor der Vernichtung von 80.000 Arbeitsplätzen.

Debattiert wird in der Nationalversammlung über einen Gesetzesentwurf, der den mittelfristigen energiepolitischen Rahmen in Frankreich abstecken und damit den Weg in Richtung Klimaneutralität im Jahr 2050 ebnen soll. Dazu gehören Ziele für Erzeugung und Verbrauch sowie konkrete Ausbaupfade für die kommenden zehn Jahre. Für die Investitionspläne der Energiewirtschaft sind diese von elementarer Bedeutung. Neben Lokalmatadoren wie Engie, EDF und Totalenergies sehen auch deutsche Unternehmen große Wachstumschancen auf dem französischen Markt.

Bislang dominiert im französischen Strommix die Kernenergie mit einem Anteil von rund 67 Prozent. Wind- und Solarkraft kommen auf 13 Prozent. Das ist viel weniger als in Deutschland, obwohl Frankreich dank der langen Küsten und des sonnigen Südens ein deutlich höheres Potenzial hat. Die von der Regierung angekündigten neuen Kernreaktoren können Stand jetzt frühestens von 2037 an in Betrieb gehen. Den wachsenden Strombedarf von Elektroautos, Wärmepumpen, Rechenzentren und der Industrie sollen deshalb mittelfristig vor allem neue Wind- und Solaranlagen decken.

Abkehr von Öl und Gas könnte in weite Ferne rücken

Durch das drohende Moratorium würde dieser Fahrplan Makulatur – und die Abkehr von Öl und Gas wohl in weite Ferne rücken. In innenpolitischer Hinsicht brisant: Der Änderungsantrag ist nicht vom RN eingebracht worden, sondern von Jérôme Nury von den konservativ-bürgerlichen Republikanern. Die CDU-Schwesterpartei stellt auch Minister in der Regierung von Premierminister François Bayrou. Die Rechtspopulisten hatten einen inhaltlich nahezu identischen Antrag eingebracht. Dieser wurde nach der Annahme von Nurys Antrag aber nicht mehr zur Abstimmung gestellt.

In den Reihen der Linken und der Regierung herrschte bei der Abstimmung gähnende Leere. Der RN hingegen mobilisierte seine Abgeordneten. Unterstützung erhielt er von der rechtskonservativen Republikanerabspaltung um Éric Ciotti. Nur so war es überhaupt möglich, dass eine knappe Mehrheit von 65 zu 62 Stimmen bei vier Enthaltungen zur Annahme des Änderungsantrags reichte. Die anschließende Forderung der Linken an die Regierung, den Gesetzesentwurf zurückzuziehen, lehnte der Berichterstatter Armand ab.

Am kommenden Dienstag findet in der Nationalversammlung die abschließende Abstimmung über den Gesetzesentwurf statt. Wird der Text verabschiedet, geht er Anfang Juli zur zweiten Lesung in Frankreichs zweite Parlamentskammer, den Senat. Danach wird aller Voraussicht nach der Vermittlungsausschuss angerufen. Einige Textelemente dürften in den Verhandlungen zwischen den beiden Kammern gestrichen werden, andere bestehen bleiben. Theoretisch könnte die Regierung unabhängig von der Parlamentsdebatte ein Dekret zum energiepolitischen Rahmen verabschieden. Das birgt aber rechtliche und politische Risiken, zumal Bayrous Minderheitsregierung ohnehin auf wackeligen Füßen steht.

Allein symbolisch ist das Moratorium für die Rechtspopulisten ein Triumph. Das gilt auch für weitere Änderungsanträge, die in den vergangenen Tagen ebenfalls aufgrund der schwachen Mobilisierung der anderen Fraktionen angenommen worden sind. Dazu gehört der Passus, dass der „Ausstieg aus dem europäischen Energiemarkt“ gefördert werden soll, da die Liberalisierungen und Privatisierungen der vergangenen 40 Jahre nur einem „künstlichen Wettbewerb“ dienten, zulasten der Nutzer gingen und zur Aufgabe der „Energiesouveränität“ geführt hätten. Ein weiterer angenommener Änderungsantrag sieht die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks Fessenheim an der Grenze zu Deutschland vor.