Welche Atomanlagen haben die USA ins Visier genommen?

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„Im Licht der dringenden Situation in Iran“ hat der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, den Gouverneursrat in Wien einberufen. Dem Lenkungsgremium der UN-nahen Agentur wird er berichten, was ihm bislang über die Schäden bekannt ist, die die amerikanischen Luftangriffe auf die iranischen Atomanlagen in der vergangenen Nacht verursacht haben. Öffentlich hat die IAEA mitgeteilt, dass außerhalb der iranischen Nukleareinrichtungen keine Erhöhung der Strahlenwerte gemeldet wurde. Damit bestätigt die IAEA Angaben der iranischen, aber auch der saudi-arabischen Atombehörden von Sonntagfrüh.

Drei Standorte sind angegriffen worden und sollen nach den amerikanischen Angaben vollständig zerstört worden sein: Fordow, Natans und Isfahan. Die Nuklearanlagen dort sind wesentlich für das Programm der Urananreicherung mit Gaszentrifugen, für die Herstellung von Komponenten wir Uranmetall sowie für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Es sind aber keine aktiven Kernkraftwerke, deren Zerstörung zu einer Kernschmelze und weiträumiger Verstrahlung führen würde. Die stehen in Buschehr und Teheran.

Grossi teilte am Sonntagmittag mit, nach seinem Kenntnisstand habe sich an den drei von den Vereinigten Staaten angegriffenen Standorten Kernmaterial in Form von unterschiedlich angereichertem Uran befunden, „das zu radioaktiver und chemischer Kontamination innerhalb der getroffenen Anlagen führen könnte“. Er sei nun von den iranischen Aufsichtsbehörden darüber informiert worden, dass nach den jüngsten Angriffen kein Anstieg der Strahlenwerte außerhalb der Anlagen festgestellt worden sei.

Das Zentrum der Hochanreicherung von Uran

„Zum jetzigen Zeitpunkt erwarten wir keine gesundheitlichen Folgen für Menschen oder die Umwelt außerhalb der angegriffenen Anlagen“, sagte er. „Wir werden die Lage im Iran weiterhin beobachten und bewerten und weitere Informationen bekannt geben, sobald uns zusätzliche Informationen vorliegen.“

Fordow ist das Zentrum der Hochanreicherung von Uran auf 60 Prozent. Das ist ein Anreicherungsgrad, der nach IAEA-Angaben mit keinen zivilen Zwecken erklärbar ist, nur einen kleinen weiteren Schritt von waffenfähigem Uran entfernt. Die Anlage ist nicht sehr groß, nach offiziellen Angaben auf bis zu 3000 Zentrifugen angelegt. Zuletzt arbeiteten dort insgesamt etwa 2000 dieser in Kaskaden hintereinandergeschalteten Anreicherungsgeräte. Fordow hat seine strategische Bedeutung vor allem deswegen, weil es in Stollen unter einen Berg gegraben wurde – nach unterschiedlichen Angaben 60, 80 oder gar 90 Meter tief, zudem mit einer meterhohen Betondecke verbunkert.

Dadurch galt die Einrichtung als gut gegen Luftangriffe geschützt. Die israelischen Streitkräfte haben nach Angaben von Militärfachleuten keine Waffen, mit denen sie diese Anlage aus der Luft hätten zerstören können. Nur die USA verfügen über bunkerbrechende Bomben, die stark und schwer genug dafür wären, gegebenenfalls durch wiederholten Beschuss einer bestimmten Stelle.

Sechs Tarnkappenbomber, ein Dutzend Bomben

Nur die amerikanische Luftwaffe hat zudem die Trägersysteme, um diese Bomben ins Ziel zu bringen. Laut amerikanischen Medienberichten wurden sechs dieser B2-Tarnkappenbomber eingesetzt, um insgesamt ein Dutzend jener stärksten bunkerbrechenden Bomben abzuwerfen. Inwieweit es ihnen nun gelungen ist, die Anlage tatsächlich zu zerstören, ist aus unabhängigen Quellen noch nicht zu verifizieren.

Die Iraner hatten Fordow seit Anfang der 2000er Jahre geplant und gebaut, zunächst im Geheimen. Damit hatten sie gegen ihre Verpflichtungen aus den Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag verstoßen. 2009 haben westliche Nachrichtendienste Kenntnis von dem Projekt erlangt, gleichzeitig meldete Iran die fast fertige Nuklearanlage der IAEA. Details über ihre Beschaffenheit oder zumindest die Pläne dafür wurden bekannt, nachdem israelische Nachrichtendienste ein umfangreiches iranisches Nukleararchiv erbeuten konnten und Einzelheiten daraus bekanntmachten.

Demnach besteht beziehungsweise bestand die Anlage in Fordow aus zwei durch Nebengänge verbundenen tunnelartigen Hallen. Hinein führen Stollen, die mehrfach gewunden sind und in die Blindgänge gebaut wurden. Das sollte offenbar dazu dienen, die eigentlichen Produktionsstätten vor Explosionsdruck und Schutt zu schützen, falls die für Luftangriffe naturgemäß verletzlicheren Tunneleingänge bombardiert werden sollten. Außen auf Satellitenbildern zu sehen ist außerdem ein großes, durchs Gelände teilweise geschütztes Gebäude, das laut Auswertung durch Fachleute vermutlich für die Lüftungsanlage dient.

Natans war der größte Standort

Natans war der größte Standort des iranischen Atomprogramms. Unterirdische Hallen sind für den Betrieb von mehr als 50.000 Zentrifugen ausgelegt. Bis vor den israelischen Angriffen waren in Natans rund 15.700 Uranzentrifugen in Betrieb, wie es im Iran-Bericht der IAEA vom Mai 2025 hieß. Sie befanden sich in zwei Anlagen: der Pilotanreicherungsfabrik (PFEP), die einen oberirdischen und einen unterirdischen Komplex hat, und der vollständig unter der Erde verbauten Anreicherungsfabrik (FEP).

Wie IAEA-Chef Grossi am Freitag dem UN-Sicherheitsrat berichtete, hatten die Israelis bereits den oberirdischen Teil der Pilotanlage zerstört und die unterirdischen Kaskadenhallen schwer beschädigt. Was die FEP betrifft, hatten die Israelis vor allem die Elektroinfrastruktur zerstört, Umspannwerk, Generatoren, Notaggregate. Mit bunkerbrechender Munition angegriffen hatten sie anscheinend auch die unterirdische Hauptanreicherungshalle, sagte Grossi vor dem Wochenende, ohne Aussagen über mögliche Schäden zu machen.

Diese unterirdische Anlage scheint nun das Hauptziel der amerikanischen Angriffe der vergangenen Nacht gewesen zu sein. Unklar ist, ob auch ein neuer, noch nicht in Betrieb genommener Komplex nahe Natans durch die USA angegriffen wurde, der nach dem Vorbild von Fordow tief unter einen Berg gegraben worden ist. Für die Angriffe auf Natans setzten die USA übereinstimmenden amerikanischen Medienberichten zufolge zwei bunkerbrechende Bomben ein, außerdem Marschflugkörper vom Typ Tomahawk.

Isfahan ist das wissenschaftliche Zentrum des iranischen Atomprogramms. Israel hatte bereits mehrere Gebäude und Einrichtungen dort angegriffen: Das zentrale chemische Labor, eine Uranumwandlungsfabrik, eine Anlage zur Herstellung von Brennstäben für den Forschungsreaktor Teheran und eine Einrichtung, in der Uran zu Metall umgeformt wird. Das ist eine wichtige Komponente, wenn man eine Atombombe nach dem in Pakistan entwickelten Muster bauen möchte – eine Absicht, die das Regime in Teheran offiziell stets abgestritten hat.

In Isfahan liegt auch der größte Teil des Vorrats von auf 60 Prozent angereichertem Uran; wo genau, hat Iran der IAEA gemeldet, die den Ort aber nicht veröffentlicht hat, auch nicht in ihrem Bericht für den Gouverneursrat. Nach iranischen Angaben wurden nun durch den amerikanischen Luftschlag weitere Anlagen „in der Nähe“ von Isfahan angegriffen. Laut amerikanischen Medienberichten geschah das mit Marschflugkörpern, die mutmaßlich von U-Booten aus gestartet worden waren.