Haifischinsel – zwischen KZ-Gedenken, Tourismus und Wirtschaft

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Wellenrauschen, nackter Fels und blauer Himmel. Doch wer hier genau hinschaut, stößt auf ein Kapitel deutscher Geschichte, das lange verdrängt wurde – und bis heute nachwirkt.

Zwischen 1904 und 1908 führte das Deutsche Kaiserreich unter Generalleutnant Lothar von Trotha einen Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Deutsch-Südwestafrika war von 1884 bis 1915 eine Kolonie des Deutschen Kaiserreichs. Anhaltende Unterdrückung, Landenteignungen, Rassentrennung und Misshandlungen durch deutsche Siedler führten im Januar 1904 zum Aufstand der Herero gegen die Kolonialherren. Zunächst wurde der Gouverneur Deutsch-Südwestafrikas mit der militärischen Niederschlagung des Aufstands betraut, im Mai 1904 wurde Generalleutnant Lothar von Trotha hinzugezogen.

Von Trotha führte die Auseinandersetzung als Vernichtungskrieg und ließ seine Truppen mit brutaler Härte gegen die Aufständischen vorgehen. Unter seinem Befehl wurden die Herero zunächst militärisch bei der Schlacht am Waterberg geschlagen und anschließend systematisch verfolgt. Trothas berüchtigter “Vernichtungsbefehl” vom Oktober 1904 verfügte die Vertreibung und Vernichtung aller Herero aus dem Kolonialgebiet. Die überlebenden Herero wurden in damals sogenannten Konzentrationslagern interniert und zu Zwangsarbeit herangezogen.

Tausende Herero wurden in die lebensfeindliche Omaheke-Wüste getrieben, wo sie massenhaft verdursteten oder verhungerten. Die deutschen Truppen riegelten die Wüste mit einem 250 Kilometer langen Absperrgürtel ab. Der Krieg dauerte noch bis 1908 an. Von den zuvor 60.000 bis 80.000 Herero überlebten nur etwa 16.000. Auch etwa 10.000 Angehörige der Nama, die sich nach der Schlacht am Waterberg den Aufständischen anschlossen, fielen der deutschen Vernichtungspolitik zum Opfer.


Quotation Mark


Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu Ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.


Lothar von trotha, 2. Oktober 1904


Die Ereignisse werden heute mehrheitlich von Historikern als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts eingestuft. Nicht zuletzt das Streben, im internationalen Wettbewerb mit anderen Kolonialmächten, insbesondere Großbritannien, zu bestehen, führte zu diesen Ereignissen. Aber auch rassistische Motive, wie die Idee der “Überlegenheit der weißen Rasse”, die man damals mit pseudowissenschaftlichen Experimenten zu beweisen suchte, spielten dabei eine wichtige Rolle. Der militärische Vernichtungsbefehl (“Schießbefehl”) von 1904, die systematische Verfolgung in die Omaheke-Wüste sowie die Errichtung von Konzentrationslagern markieren eine eklatante Gewaltgeschichte, die ihre Fortsetzung im späteren Verlauf des 20. Jahrhunderts fand.

Eines dieser Konzentrationslager stand auf der Haifischinsel, der “Todesinsel”, die vor der Stadt Lüderitz liegt. Die knapp 32 Hektar große Insel bot keinen Schutz vor Witterung. Weder Nahrung noch Trinkwasser waren vorhanden, ebenso wenig wie feste Unterkünfte – die internierten Nama und Herero mussten im Freien oder in provisorischen Zelten schlafen. Heute ist die Insel nur noch eine Halbinsel, sie ist mit dem Auto gut zu erreichen. Damals führte der einzige Fluchtweg ins Meer.

Die Häftlinge mussten Zwangsarbeit leisten. Viele sollten beim Bau des Eisenbahnnetzes in der Kolonie helfen, waren jedoch durch Krankheiten und Unterernährung oft nicht mehr arbeitsfähig. Die häufigste Todesursache auf der Haifischinsel war Skorbut – die Häftlinge wurden bis zum Tode ausgehungert.

Vergewaltigungen, öffentliche Hinrichtungen, Vergiftungen, Folter und pseudowissenschaftliche Experimente wurden zur Einschüchterung der Insassen angewendet. Ziel war es, den Willen der einheimischen Bevölkerung im deutschen “Schutzgebiet”, wie die kaiserliche Regierung ihre Kolonie nannte, zu brechen.

Die Idee von Internierungslagern war allerdings keine deutsche: Auch im Burenkrieg errichteten die Briten in Südafrika sogenannte “concentration camps”. Mehr als 26.000 Menschen kamen dort ums Leben. Frauen und Kinder wurden von den Farmen entführt, die Männer meist getötet und die Höfe verbrannt. Die Versorgung in den britischen Lagern war so schlecht, dass ungefähr ein Fünftel der Insassen dort starb.

Die deutsche Militärführung sah in den Lagern ein Modell zur Niederschlagung von Aufständen. Die Idee radikalisierte sich weiter, die Lager wurden zu Instrumenten einer zutiefst rassistischen Vernichtungspolitik, in welchen sich ein systematischer Vernichtungswille widerspiegelte. Viele Historiker sehen heute in Lagern wie dem auf der Haifischinsel eine direkte Vorstufe zum Holocaust.