KI-Modell erkennt mehr als 170 Krebsarten

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Stand: 23.06.2025 12:58 Uhr

Ein neues KI-Modell der Berliner Charité erkennt mehr als 170 Tumorarten anhand ihres molekularen Fingerabdrucks – mit hoher Genauigkeit. Das Prinzip dahinter wird in der Krebsmedizin immer wichtiger.

Noch heute gilt als Standard für die Diagnose von Krebs, eine Gewebeprobe am Mikroskop zu untersuchen. Vor allem bei Hirntumoren ist diese Methode allerdings oft nicht genau genug.

Ein Blick auf das Erbgut der Tumorzellen liefert dagegen eindeutigere Daten. Dabei geht es um bestimmte Markierungen an der DNA, die darüber entscheiden, welche Gene in einer Zelle aktiv sind. In Fachkreisen spricht man von einem epigenetischen Fingerabdruck. Forschende der Berliner Charité sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg arbeiten daran, dieses Verfahren weiter zu verbessern.

Philipp Euskirchen, der das neue KI-Modell der Berliner Charité mitentwickelt hat, vergleicht die DNA dabei mit einem Buch, in dem einzelne Buchstaben mit einem Textmarker hervorgehoben werden: “Der Buchstabe bleibt derselbe, aber er wird ein bisschen verändert. Und über diese Textmarkerstellen, über diesen epigenetischen Fingerabdruck, können wir feststellen, was für ein Zelltyp das ist.”

Die Visualisierung zeigt laut Charité die große Menge an Daten, auf denen das Modell basiert. Jeder Punkt repräsentiert das Profil eines Referenztumors mit jeweils mehreren Hunderttausend Informationen, jede Farbe einen bestimmten Tumortyp.

Jedes Modell hat seine Stärken

Der Neurologe arbeitet mit seinem Team an KI-Modellen, um die Diagnose von Hirntumoren anhand dieser Markierungen zu verbessern – und damit die Behandlung von Patientinnen und Patienten. Jedes KI-Modell hat dabei seine eigenen Stärken.

So etwa das KI-Modell eines niederländischen Forschungsteams, das im Herbst 2023 einen Durchbruch verkündete: Es war ihnen gelungen, während der Operation von Hirntumoren die genaue Art des Tumors zu bestimmen – und das in unter 90 Minuten. Für Chirurginnen und Chirurgen eine enorme Erleichterung: Denn sie müssen abwägen, ob die Aggressivität des Tumors das weitere Entfernen von Hirngewebe trotz des Risikos für die Betroffenen rechtfertigt. Mit einer schnellen und präzisen Untersuchung des Tumors lässt sich die Behandlung optimal auf die Patientinnen und Patienten abstimmen.

Als prägend auf dem Gebiet der Krebsdiagnostik anhand epigenetischer Markierungen gilt die Arbeit des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Bereits 2018 veröffentlichten Forschende des DKFZ und der Uniklinik Heidelberg das erste Computermodell, das Hirntumore anhand ihres Erbguts bestimmen kann. Erst kürzlich berichteten die Heidelberger Forschenden über ein neues Modell, das besonders viele Hirntumore erkennen könne – mehr als 180 verschiedene Arten.

Nervenwasser erspart chirurgische Eingriffe

Das neu veröffentlichte Modell der Charité hingegen erkenne auch häufige Krebsarten außerhalb des Gehirns. Insgesamt kann es demnach mehr als 170 Tumorarten aus allen Organen identifizieren. Außerdem komme es mit lückenhaften Daten zurecht.

Manchmal zeigten sich Tumore nicht als eine zusammenhängende Masse, so Euskirchen, sondern wüchsen verteilt, beispielsweise entlang der Hirnhäute. Eine Probe zu entnehmen sei dann schwierig. Oder ein Hirntumor könne so ungünstig liegen, dass das Entnehmen einer Probe zu riskant sei. In solchen Fällen greife das Team der Charité auf Nervenwasser zurück, das als sogenannte Flüssigbiopsie entnommen werden kann. Auch darin fänden sich Bruchstücke des Tumor-Erbguts.

Krebsarten können besser unterschieden werden

KI-Modelle wie das der Charité und des DKFZ tragen außerdem dazu bei, das Wissen über Krebs kontinuierlich zu erweitern. Denn immer wieder stoßen die Forschenden auf neue, bislang unbekannte Muster in den DNA-Markierungen und entdecken so neue Krebsarten.

Auf diese Weise konnten die Daten aus Heidelberg bereits dazu beitragen, die Klassifikation von Hirntumoren durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu verfeinern. Auch in Zukunft könnte sich auf diesem Gebiet noch viel tun. Laut Peter Lichter, der am Heidelberger DKFZ die Abteilung Molekulare Genetik leitet, lassen sich epigenetische Veränderungen nämlich immer schneller und leichter erforschen: “Das ist eine ganz wichtige Entwicklung.”

Nicht zur Früherkennung geeignet

Ein Werkzeug zur Früherkennung von Krebs ist mit solchen KI-Modellen aber nicht gefunden, wie Neurologe Euskirchen betont: “Das ist ein diagnostischer Test für eine Situation, in der sich eine Patientin oder ein Patient aufgrund von Symptomen vorstellt und es, den dringenden Verdacht auf eine Tumorerkrankung gibt.”

Bei einem bestehenden Verdacht oder auch in der Therapie können die neuen, KI-gestützten Verfahren jedoch wertvolle Dienste leisten und die Möglichkeiten von Diagnose und Therapie deutlich verbessern.