EU spricht über Nahost: Auf Amerika angewiesen

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Ob Israel und die USA ein Recht hatten, Iran anzugreifen, ist unter den EU-Staaten umstritten. Doch als sich ihre Außenminister am Montag in Brüssel trafen, wurde öffentlich kaum Kritik laut. Der kleinste gemeinsamer Nenner aller Staaten war schon vorher, dass Teheran keine Atombombe haben darf. Davon erschien das Land nach dem Abwurf der bunkerbrechenden US-Bomben auf die Anreicherungskomplexe in Natans und Fordo weiter entfernt als je in den vergangenen Jahren. Obendrein hatte Washington den Europäern noch einen anderen Gefallen getan: Der Konflikt mit Iran ließ deren noch viel größeren Streit über den Umgang mit Israel wegen der humanitären Lage in Gaza in den Hintergrund treten.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas wies auf das größte Risiko in den nächsten Tagen hin: eine Schließung der Straße von Hormus, wie sie das iranische Parlament schon beschlossen hat. Das wäre „extrem gefährlich und für niemanden gut“, sagte die Estin. Etwa 20 Prozent des weltweiten Ölbedarfs wird durch diese Meerenge geschleust. Deshalb sind die Europäer nun abermals darauf angewiesen, dass Amerika seine militärischen Muskeln zeigt, um eine Sperrung – und damit steigende Ölpreise – zu verhindern. Auch das erklärte die Zurückhaltung gegenüber den Militärschlägen.

Der deutsche Außenminister Johann Wadephul und sein französischer Kollege Jean-Noël Barrot berichteten den Kollegen von ihrem Treffen mit dem iranischen Außenminister Abbas Araghtschi am Freitag in Genf, an dem auch Kallas teilgenommen hatte. Unmittelbar danach hatte Wadephul im ZDF gesagt, es habe „intensive, ernsthafte, aber auch konstruktive Gespräche“ gegeben.

Nicht nur ein Missklang zwischen Berlin und Paris

Seine Darstellung am Montag fiel jedoch negativer aus. Iran wolle nur mit Europa verhandeln, das reiche aber nicht. Die Europäer hätten Araghtschi klar gemacht, dass Teheran zu direkten Verhandlungen mit den USA bereit sein müsse. „Das war leider nicht erfolgreich und möglicherweise ist das, was wir gesehen haben, eine Folge dessen“, sagte der CDU-Politiker. Also Verständnis für Präsident Donald Trump. Dass es seit April schon fünf Verhandlungsrunden in Oman zwischen Araghtschi und dem amerikanischen Sondergesandten Steve Witkoff gegeben hatte, ohne die Europäer, erwähnte er nicht einmal.

Der französische Außenminister Barrot ging dagegen auf Distanz zu Washington. „Es wäre illusorisch und gefährlich zu glauben, dass man mit Gewalt und Bomben einen Wandel herbeiführen kann“, sagte er – und verurteilte gleich auch noch Überlegungen zu einem erzwungenen Sturz des Mullah-Regimes. Das iranische Volk könne selbst „über seine eigene Zukunft (…) den Zeitpunkt und die Umstände eines Regimewechsels entscheiden“. Das Nuklearprogramm könne nur durch Diplomatie beendet werden. Dass Teheran primär mit den Europäern reden wolle, schien Barrot angesichts dessen weniger zu stören. Europa könne „seine Erfahrung, seine Kompetenz und seine genaue Kenntnis“ der Nuklearfragen einbringen, „um einen Verhandlungsraum zu eröffnen“, sagte er. Es war nicht der einzige Missklang zwischen Berlin und Paris an diesem Tag – auch beim zweiten Thema standen sie auf unterschiedlichen Seiten.

Kallas hatte den Mitgliedstaaten am Freitagnachmittag ihren Bericht dazu geschickt, ob Israel in Gaza seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem EU-Assoziationsabkommen verletzt habe. Damit war sie bei der letzten Sitzung von 17 Staaten beauftragt worden, darunter auch Frankreich. Deutschland, Italien und Ungarn hatten das abgelehnt. Damit befand sich Kallas auf vermintem Terrain. Sie versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie den acht Seiten langen Bericht so vorsichtig wie möglich formulierte und einstufte. Die Schlussfolgerung wurde trotzdem publik: Es gebe „Anzeichen dafür, dass Israel seine Menschenrechtsverpflichtungen aus Artikel 2 des Assoziationsabkommens gebrochen habe“. Zugleich spielte die Außenbeauftragte den Ball zurück: Über mögliche Konsequenzen sollten zuerst die Minister diskutieren, bevor sie irgendwelche Vorschläge machen wollte.

Schon vor den internen Beratungen wurde offenbar, wie weit die Mitgliedstaaten auseinanderliegen. Am einen Ende steht Spanien, das sich zum Wortführer gegen Israel aufgeschwungen hat. Die Zeit für Worte und Erklärungen sei vorüber, sagte Außenminister José Manuel Albares. „Wenn das Assoziationsabkommen auf Menschenrechten beruht, dann ist es die normalste Sache, dass wir es sofort suspendieren, heute.“ Außerdem forderte er auch gleich noch ein Waffenembargo gegen Tel Aviv.

Wadephul: Brauchen Assoziierungsabkommen

Das andere Ende markierte Wadephul. Die humanitäre Lage im Gazastreifen sei zwar „nicht akzeptabel“, man müsse das gegenüber Israel auch thematisieren. Er fügte jedoch hinzu: „Wir brauchen dieses Assoziierungsabkommen und sollten es in keiner Weise in Zweifel ziehen.“ Israel sei der einzige demokratische Rechtsstaat im Nahen Osten, und Deutschland sei dem Land in besonderer Weise verbunden. Man solle deshalb „keine weitere formelle Diskussion“ darüber führen. Ähnlich äußerte sich Italien. Damit ist eine Suspendierung des gesamten Abkommens oder auch nur des politischen Dialogs darin unmöglich – das geht nämlich nur einstimmig.

Anders verhält es sich mit dem beiderseitigen Handel; da könnten die EU-Staten wohl mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Ganz sicher ist das nicht, weil es keinen Präzedenzfall und unterschiedliche Auslegungen gibt. Vorige Woche hatten neun Staaten von Kallas verlangt, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen aus israelischen Siedlungen zu stoppen: Belgien, Finnland, Irland, Luxemburg, Portugal, Polen, Slowenien, Schweden und Spanien. Das ist allerdings noch weit vom notwendigen Quorum entfernt: 15 Staaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung auf sich vereinen.

Die Außenbeauftragte muss nun selbst über das weitere Vorgehen entscheiden. Während Spanien glaubt, dass besondere Dringlichkeit geboten sei, verweist Deutschland darauf, dass das Assoziationsabkommen im Regelfall eine Debatte über Verfehlungen im Assoziationsrat vorsieht. Den könnte man aber nur einberufen, wenn Israel überhaupt einen Vertreter schickt.