Die Betreiber sprechen von “einer neuen Ära der Astronomie”: Die größte Digitalkamera der Welt liefert erstmals Bilder unseres Nachthimmels. Das neue Vera C. Rubin-Observatorium soll dabei helfen, große Rätsel zu lösen.
Bunte Gaswolken und Galaxien in Tausenden Lichtjahren Entfernung: Es sind die ersten Bilder des neuen Vera C. Rubin-Observatoriums in Chile – ein Großteleskop mit einem 8,4 Meter großen Hauptspiegel. Zu sehen sind etwa Details des Trifid- und des Lagunennebels, zusammengesetzt aus 678 Einzelaufnahmen über eine Beobachtungszeit von mehr als sieben Stunden.
Das Besondere ist allerdings nicht die Größe der Optik dieses neuen Teleskops – weltweit gibt es bereits mehr als ein Dutzend Fernrohre mit Objektiven von acht bis elf Metern Durchmesser. Das Herzstück des Observatoriums ist vielmehr die elektronische Kamera: Mit einem Gewicht von 2,8 Tonnen und einer Auflösung von 3.200 Megapixeln ist sie die größte Digitalkamera, die je gebaut wurde. Mit jedem Bild erfasst sie eine Fläche am Himmel, die mehr als der 40-fachen Fläche des Vollmonds entspricht, so das beteiligte Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg. Außer dem MPIA ist auch das Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg involviert.
Ein Ausschnitt aus der Gesamtansicht des Virgo-Galaxienhaufens: Zu sehen sind zwei markante Spiralgalaxien (unten rechts), drei verschmelzende Galaxien (oben rechts), mehrere Gruppen entfernter Galaxien, viele Sterne in der Milchstraße und mehr.
Tausende Bilder pro Nacht
Aus den Daten soll innerhalb der nächsten zehn Jahre eine ultraweite, ultrahochauflösende Zeitrafferaufnahme des Universums aufgenommen werden. Durch die Schnelligkeit des Teleskopantriebs könne das Vera C. Rubin Observatorium den südlichen Himmel alle drei bis vier Nächte vollständig abbilden, so das MPIA.
Damit liefert die Kamera Nacht für Nacht Tausende Bilder – eine “noch nie dagewesene Menge an Daten über den sich verändernden südlichen Nachthimmel”, heißt es vom Observatorium. Undenkbar also, dass menschliche Astronomen all diese Aufnahmen betrachten oder diesen gewaltigen Datenberg analysieren. Selbst gewöhnliche Computerprogramme wären hier überfordert. Eine zentrale Rolle spielen deshalb fortschrittliche Algorithmen wie neuronale Netze und maschinelles Lernen bei der Suche nach Auffälligkeiten – also nach Mustern oder Veränderungen – in den Daten.
Das von den USA finanzierte Vera C. Rubin-Observatorium steht auf dem Gipfel des Cerro Pachón in mehr als 2.600 Metern Höhe. Dort herrschen wegen der fehlenden Lichtverschmutzung und der trockenen Luft ideale Bedingungen zur Himmelsbeobachtung.
Antworten auf die großen Rätsel
Rund 40 Milliarden Himmelsobjekte sollen im Verlauf des Projekts erfasst werden, darunter Asteroiden und Kometen, pulsierende Sterne und Supernova-Explosionen. Forschende hoffen, damit Antworten auf die größten Rätsel der modernen Kosmologie näherzukommen, dazu zählen etwa Dunkle Energie und Dunkle Materie. “Innerhalb eines Jahrzehnts werden wir wissen, ob die Dunkle Energie konstant ist oder sich im Laufe kosmischer Zeiträume verändert”, hofft Astrophysikerin Anais Möller von der Swinburne University in den USA.
Mit Beginn des wissenschaftlichen Betriebs am 23. Juni bricht nach Ansicht der Betreiber “eine neue Ära der Astronomie” an. Und wie immer, wenn die Forscher mit neuen Instrumenten weiter ins All vorstoßen, ist auch mit Überraschungen zu rechnen. “Die Entdeckungen könnten zur Entstehung ganz neuer Bereiche der Astronomie führen”, sagt Astronom Adam Miller von der Northwestern University in den USA. “Sehr wahrscheinlich wird Rubin Dinge finden, von deren Existenz jetzt noch niemand etwas ahnt.”
Wer war Vera C. Rubin?
Vera C. Rubin war eine der bekanntesten Astrophysikerinnen in den USA. Ihr Hauptinteresse galt der Bewegung von Galaxien. Bei der Beobachtung der Andromeda-Galaxie stieß sie auf erste Hinweise auf die Dunkle Materie. Daher benannte die National Science Foundation der USA, die das Observatorium zusammen mit dem Office of Science im US-Energieministerium finanziert, es nach der 2016 verstorbenen Forscherin.