Stefan Quandt fordert Innovationskraft statt Protektionismus in Deutschland

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BMW-Großaktionär Stefan Quandt hat von der deutschen Wirtschaft mehr Selbstkritik und Innovationsbereitschaft gefordert. Die aktuellen Handelskonflikte und Zollstreitigkeiten zwischen Europa, den USA und China seien auch eine Folge eigener Versäumnisse, sagte Quandt in seiner Rede zur Verleihung des Herbert-Quandt-Medienpreises in Frankfurt. Auch Europa sei kein Musterbeispiel für Freihandel, und Protektionismus sei der falsche Weg: „Selbst bei dem Vorwurf der Abschottung einzelner Industrien durch sogenannte Strafzölle sitzt die EU im Glashaus – ich erinnere an den einseitig erhobenen Zollaufschlag von bis zu 45 Prozent für in China gefertigte Elektrofahrzeuge.“

Stattdessen müsse die Innovationskraft gestärkt werden, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Quandt verwies auf die Dynamik der Elektromobilität in China, wo mehr als 50 Hersteller mit 110 Marken konkurrieren – ein Innovationsdrang, dem man nicht mit Zöllen, sondern nur mit eigener Stärke begegnen könne. Chancen für Deutschland sieht Quandt im Wettbewerb unter anderem in der Wissenschaftsfreiheit und der Attraktivität für internationale Forscher. Während in den Vereinigten Staaten die Unabhängigkeit der Universitäten gefährdet sei, könne Deutschland von einem möglichen „Brain Drain“ profitieren und führende Wissenschaftler anziehen. Dies sei eine Gelegenheit, die technologische Resilienz zu stärken und Innovationen voranzutreiben.

Abhängigkeit von China „nicht aufzulösen“

Zugleich zeigte sich Quandt realistisch mit Blick auf die Grenzen europäischer Unabhängigkeit: Die Abhängigkeit von China bei Seltenen Erden, Batterietechnologien und der Solarindustrie sei in absehbarer Zeit nicht aufzulösen. „Es gibt Felder, in denen – ungeachtet politischen Wunschdenkens – bestehende Abhängigkeiten realistisch betrachtet nicht aus eigener Kraft, nicht in absehbaren Zeiträumen oder nicht nennenswert verringert werden können. Und dass ganzheitlich betrachtet weder für Deutschland noch für Europa die Möglichkeit einer umfassenden Unabhängigkeit, Eigenständigkeit oder gar Autarkie besteht. Ein wirkliches Decoupling wird vor dem Hintergrund des Status Quo kaum zu erreichen sein“, sagte Quandt.

Trotz aller Herausforderungen sieht Quandt aber auch Grund zur Zuversicht. Das Vertrauen sei die wichtigste Währung in der Wirtschaft – und internationale Investoren blickten optimistischer auf Europa als viele Europäer selbst. Private-Equity-Unternehmen wie KKR und Asset-Manager wie Blackrock sähen in Europa derzeit eine Renaissance als Investitionsstandort, sofern die notwendigen Reformen umgesetzt würden. Quandt mahnte dazu, wieder mehr Vertrauen in die eigenen Stärken und den Gestaltungswillen zu entwickeln: „Der Ruf nach Resilienz bleibt ohne Wirkung, wenn es nicht Menschen gibt, die auf sich vertrauen und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes als persönliche Aufgabe und Herausforderung betrachten.“

Weckruf für mehr Eigenverantwortung

Quandt, der auch Mitglied des Aufsichtsrats der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH ist, forderte vor rund 200 Gästen, die aktuellen globalen Krisen als Weckruf für mehr Eigenverantwortung und Reformbereitschaft zu begreifen. Die Welt sei, so Quandt, „aus den Fugen geraten“. Der Blick auf das Smartphone am Morgen sei längst nicht mehr von Neugier, sondern von Sorge geprägt. Die Gefahr einer neuen Blockbildung in der Weltwirtschaft mache eine strategische Fokussierung auf das Wesentliche notwendig. Deutschland und Europa sollten sich nicht von jeder außenpolitischen Eruption treiben lassen, sondern gezielt an den Feldern arbeiten, die sie selbst gestalten könnten: Sicherheit, wirtschaftliche Attraktivität, Innovationsfähigkeit und gesellschaftlicher Zusammenhalt.

Mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands bezog Quandt deshalb klar Stellung: Die Zeiten, in denen sich Europa auf die Schutzmacht USA verlassen konnte, seien vorbei. Die Lockerung der Schuldenbremse und das Sondervermögen für die Bundeswehr seien erste richtige Schritte, müssten aber von weiteren politischen Maßnahmen flankiert werden. Die gesellschaftliche Akzeptanz moderner Sicherheitstechnologien und der Rüstungsindustrie wachse, die Sicherung des Landes werde zunehmend als soziale Verantwortung verstanden: „Es wird sie daher nicht überraschen, dass ich in der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes die notwendige Voraussetzung für eine geostrategische Resilienz sehe. Vor gut einem Jahr hat Verteidigungsminister Pistorius den Begriff der ‚Kriegstüchtigkeit‘ in die Debatte eingeführt und dafür viel Zuspruch, aber auch Kritik erhalten. Ich möchte mich heute Abend in dieser Frage sehr klar positionieren: Den Zuspruch teile ich, die Kritik empfinde ich als naiv“, sagte Quandt.

Deutschlands politische Resilienz

Ein weiteres zentrales Thema Quandts war die Gesundheitsversorgung. Die Coronapandemie habe die gefährliche Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Herstellern offengelegt. Trotz politischer Initiativen wie dem „Critical Medicines Act“ sei es nicht gelungen, die Versorgungssicherheit zu verbessern – im Gegenteil: Der Rückzug des dänischen Pharmaunternehmens Xellia aus Europa zeige, dass der Erhalt des Pharmastandorts ohne staatliche Unterstützung nicht gelingen werde. „Es sollte nicht dazu kommen, dass Deutschland und unsere europäischen Nachbarn zu 100 Prozent auf pharmazeutische Wirkstoffe aus China und Indien angewiesen sind“, mahnte Quandt.

Positiv hob Quandt die politische Resilienz Deutschlands hervor. Die Stabilität rechtsstaatlicher Institutionen und die Funktionsfähigkeit des Bundestags auch in Krisenzeiten seien ein Standortvorteil. Um das Vertrauen der Bürger zu stärken, sei jedoch ein entschlossener Abbau von Bürokratie und eine erfolgreiche Digitalisierung des Staates unerlässlich: „Die Digitalisierung und Staatsmodernisierung, die von der neuen Bundesregierung jetzt mit einem eigenen Ministerium unter der Leitung von Karsten Wildberger in Angriff genommen wird, muss daher ein Erfolg werden! Denn sie hat das Potential, einen großen Beitrag zur politischen Resilienz der Gesellschaft zu leisten: Wenn das Vertrauen der Bürger in den Staat und seine Handlungsfähigkeit wieder zunimmt, wird dies die freiheitlich-demokratische Verfasstheit seiner Gesellschaft und damit den Standort Deutschland nachhaltig stärken.“

Die diesjährigen Preisträger des Herbert-Quandt-Medienpreises wiederum stünden für einen Wirtschaftsjournalismus, der mit professionellem Blick und Sachverstand zum Gelingen und Misslingen von Reformen beitrage – „ohne Schmeichelei und Häme“.