Was passiert, wenn Atomanlagen zerstört werden

9

Wenn bunkerbrechende Bomben auf Atomanlagen fallen, drängt sich der Gedanke an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auf: Explosionen wirbeln Tonnen an radioaktivem Staub auf, der sich über Grenzen hinweg verbreitet und weite Landstriche verseucht. Ist das nun auch in Iran passiert, als das US-Militär Fabriken angegriffen hat, in denen Uran zu waffenfähigem Material angereichert wird? Und falls ja, erfahren wir rechtzeitig davon?

Generell wird die Radioaktivität in der Atmosphäre engmaschig überwacht. Messstationen, beispielsweise auf dem 1200 Meter hohen Schauinsland bei Freiburg oder auf dem über 3000 Meter hohen Sonnblick in Österreich, saugen pro Stunde bis zu 1000 Kubikmeter Luft durch ihre Filter­anlagen; Wissenschaftler analysieren täglich, ob und welche radioaktiven Partikel dort hängenbleiben. Beide Anlagen gehören zu einem weltweiten Netzwerk, der CTBTO. Diese internationale Organisation soll überwachen, ob der Vertrag zum umfassenden Kernwaffenteststopp eingehalten wird, wenn er endlich in Kraft tritt. Die CTBTO verfügt weltweit über 80 Messanlagen wie jene hoch über Freiburg. Die Daten werden zentral an den Sitz der Organisation nach Wien übermittelt. Iran hat das Abkommen nicht ratifiziert, erhält daher keine unmittelbaren Informationen über die Messdaten.

Ein Messnetzwerk detektiert radioaktive Partikel

Noch mehr Messeinrichtungen für strahlende Teilchen in der Luft sind über ganz Europa verteilt und detektieren radioaktives Material extrem empfindlich. So war im Jahr 1998 ein medizinisches Präparat westlich von Gibraltar in einen Hochofen gelangt, von Frankreich bis Tschechien zeigten die Stationen höhere Mengen des radioaktiven Cäsium-137-Isotops an als üblich. Die Kernschmelze im Atomkraftwerk von Fukushima machte sich im März 2011 ebenfalls durch einen Anstieg der Cäsium-137-Werte bemerkbar, auch in Deutschland. Als im Herbst 2017 im Ural in einer russischen Atomfabrik bei der Herstellung eines Forschungspräparats ein Unfall passierte, meldeten die Messstationen in Norden und Osten Europas auffällige Werte für Ruthenium-106, und man konnte anhand der Messdaten den Zug der radioaktiven Wolke nachvollziehen. Dabei war die Strahlung so gering, dass sie keine große Aufregung auslöste – die Sache wurde zu einem Spezialfall für Radiochemiker und den Wissenschaftsteil.

Seit den Angriffen auf Iran hat das sensible Netzwerk bisher nicht angeschlagen. Keine Messstation hat Isotope registriert, die dafür sprechen, dass beispielsweise Kernkraftwerke betroffen sind und die Angriffe dort Kernschmelzen wie in Tschernobyl oder Fukushima ausgelöst haben.

Aber was ist mit dem Uran, das in den Atomfabriken angereichert wurde? „Spuren von Uran sind in einem Luftfilter wahnsinnig schwer zu messen“, sagt Georg Steinhauser, Radiochemiker von der Technischen Universität Wien. Das Element ist nämlich nicht selten, in einem Kilogramm Erde stecken etwa zwei Milligramm davon. „Das ist ungefähr so häufig wie Zinn“, erläutert Steinhauser. Es ist fast unmöglich, zu unterscheiden, ob das Uran auf den Filtern der Messstationen natürlichen Ursprungs ist oder aus einer iranischen Atomanlage stammt.

Dass das radioaktive Uran aus den zerstörten Anlagen in Iran weiter als wenige Kilometer transportiert wird, halten sowohl Georg Steinhauser als auch Clemens Walther vom Institut für Radioökologie und Strahlenschutz der Universität Hannover ohnehin für unwahrscheinlich. Die Anlagen verarbeiten Uranhexafluorid. Diese Verbindung aus Uran und Fluor ist leicht flüchtig, denn nur in gasförmigem Zustand lassen sich in den Zentrifugen die Verbindungen des leichteren Uran-235 von dem schwereren Uran-238 trennen. Nur Uran-235 ist das geeignete Material für Atombomben. In Uranerzen liegt es aber nur in einem Anteil von 0,7 Prozent vor. Im angereicherten Uran beträgt es 60 Prozent. Es müssen also erheblichen Mengen an Uranhexafluorid erzeugt und verarbeitet werden.

„Uranhexafluorid ist eine bösartige Chemikalie“, sagt Steinhauser: Sie reagiert mit Luftfeuchtigkeit sofort zu Uranylfluorid-Partikeln, die sich in der Umgebung niederschlagen, und zu Flusssäure. Die ist hochgiftig, wie Walther berichtet: „Beim Einatmen verursacht sie schwerste Lungenschäden.“ Zudem ist auch das Schwermetall Uran giftig, seine Radioaktivität dagegen schwach. Wenn also eine Anlage zur Anreicherung von Uran pulverisiert wurde, ist die Umweltkatas­trophe eine chemische, weniger eine radioaktive.