Wie sie den Krieg zwischen Iran und Israel erlebt

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Donnerstag/Freitag, 12./13. Juni

Am Abend vor dem ersten israelischen Angriff war ich mit meiner Mutter in der Spätvorstellung im Kino. Es lief der iranische Film „The Old Bachelor“, der einige Zeit lang nicht gezeigt werden durfte. Die Schauspieler und die Handlung sind großartig, ähnlich wie die mythischen Geschichten von Vätern, die ihre Söhne töten. Nachdem wir zurück waren, haben wir noch über die Ähnlichkeiten zwischen dem alten Haus in dem Film und unserem eigenen Haus gesprochen. Gegen drei Uhr sind wir ins Bett gegangen und kurz danach von lauten Geräuschen geweckt worden. Wir haben im Badezimmer Schutz gesucht, weil es keine Fenster hat. Das Erste, an das wir dachten, war der Krieg in den Achtzigerjahren (gegen den Irak), an all die zerbrochenen Fenster.

Als Nächstes dachte ich, dass ich froh sei, in dieser Situation bei meiner Familie zu sein. Ich habe im vergangenen Jahr zweimal an Grenzen und Flughäfen festgesessen wegen Raketenangriffen zwischen der Islamischen Republik und Israel. Einmal im Flugzeug aus der Türkei, das auf dem Weg nach Iran umkehrte. Nach und nach kamen die Nachrichten, dass Israel die Kommandeure der Revolutionsgarde getötet hat. Für uns, die wir das iranische Regime abgrundtief hassen, unser Land aber sehr lieben, war es eine bizarre Situation. Ich bekam viele Nachrichten von ausländischen Freunden. Ich stritt mich mit einem arabischen Freund, der versuchte, den Geschehnissen eine „gute Seite“ abzugewinnen.

Freitag, 13. Juni

Am Freitag fuhren wir Lebensmittel einkaufen. Wir kamen an einem Gebäude in der Nähe unseres Hauses vorbei, an dem zwei der oberen Stockwerke komplett zerstört waren. Ein sehr seltsamer Anblick. Die jüngeren Generationen, die den Krieg noch nicht erlebt hatten, sind von diesen Szenen noch schockierter. Diejenigen, die außerhalb Irans leben, waren irgendwie glücklich. Es gab unzählige Vorhersagen: Würde das Regime zusammenbrechen oder wie üblich Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, mit weiteren Hinrichtungen und Inhaftierungen?

Samstag, 14. Juni

Am Samstag bekomme ich weiter besorgte Nachrichten aus aller Welt. Ich bin weder gestresst noch ängstlich. Ich mache mir mehr Sorgen, dass meine Arbeitsverträge im Juli auslaufen, und frage mich, wie ich ohne Bezahlung überleben soll. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, mich zu bewerben, aber ohne Erfolg. Bomben über deinem Kopf machen deinen Freunden Sorgen. Es ist nicht leicht, ihnen zu erklären, dass du die Sanktionen und die sterbende Wirtschaft mehr fürchtest als die Bomben.

Sonntag, 15. Juni

Meine beiden Schwestern sind schwanger und machen sich Sorgen, ob sie ihre medizinischen Untersuchungen fortsetzen können. Eine bekommt endlich einen Termin und geht zum Ultraschall. Wir sehen uns die Aufnahmen ihrer kleinen Tochter an – wirklich süß. Plötzlich hören wir ein lautes Krachen. Meine Schwester gerät in Panik und fängt laut an zu schreien. Sie wolle nicht, dass ihr Baby im Krieg geboren wird.

Jemand namens Israel hat den zentralen Platz in unserem Viertel angegriffen und die Wasserleitung zerstört. Wir haben keine Eimer, sondern nur Töpfe, um sie mit Wasser zu füllen. Wann wurde das Wasser das letzte Mal abgestellt? Vor mehr als 20 Jahren. Dass Israel unsere Nachbarschaft angreift, hat mich wirklich wütend gemacht. Unser schönes und geschichtsträchtiges Viertel in Teheran. Ich war schon sehr wütend darüber, was das Regime unserem Land angetan hat. Jetzt greift uns auch noch Israel an. Einige Leute, die an der Ampel gewartet haben, wurden getötet. Am Anfang haben wir noch darüber gelacht, dass Netanjahu den Schlachtruf unserer Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ in seiner Rede benutzt hat. Aber das ist vorbei, seit sie Zivilisten getroffen haben.

Montag, 16. Juni

Nachdem ich Fotos aus unserer Nachbarschaft auf Instagram gepostet habe, bekomme ich viele Nachrichten aus aller Welt. „Habt ihr Angst?“ Nein. Wir sind frustriert über den Wassermangel und die Internetblockade. Viele Leute verlassen Teheran. Ich frage mich, wohin wir gehen sollen. Wir haben außerhalb Teherans nichts, eine weitere Miete wird unser ganzes Geld auffressen. Gut, dass wir einen Teil unseres Geldes in US-Dollar umgetauscht haben, um für Notfälle Bargeld zur Hand zu haben. Trump sagt, Teheran solle evakuiert werden. Zehn bis 15 Millionen Einwohner, wie sollen sie evakuiert werden? Wir sagen uns, dass es in unserer Nachbarschaft keine Regimeleute gibt und wir wahrscheinlich in Sicherheit sind. In Katastrophenzeiten herrscht eine besondere Art von Freundlichkeit. Am Tankwagen helfen mir die Leute, meine Flaschen aufzufüllen. Wir kümmern uns umeinander. So viele Mitarbeiter des Energieministeriums arbeiten unermüdlich daran, die Wasserleitung auf dem Platz zu reparieren. Ich spreche ihnen meinen Dank aus.

Dienstag, 17. Juni

Am Dienstagmorgen werde ich durch schwere Explosionen geweckt, nachmittags folgen Luftangriffe. Sie treffen die staatliche Fernsehanstalt, die unser Geld verschlingt, ohne dass die meisten Leute das Programm überhaupt gucken. Ich frage mich trotzdem, wie es sein kann, dass Israel die Propagandasprecherin der Islamischen Republik ins Visier nehmen kann. Wo ist die Luftabwehr? Mein Nationalstolz ist seit Langem verletzt. Das passierte schon früher, als wir Fußballspiele verloren, weil wir die Grenze zwischen uns als Volk, das sich Iran nennt, und dem Regime der Islamischen Republik völlig verwischt haben. Aber dieses Mal wird auch mein Land angegriffen, nicht nur das Regime. Ich sage zu meiner Mutter, dass ich noch eine Bewerbung für ein Doktorstipendium schreiben muss. Danach, sage ich zu ihr, können wir die Stadt verlassen.

Das Internet ist abgeschaltet. Du bist plötzlich wie gelähmt, die Karte funktioniert nicht, keine Chats, keine E-Mails oder Google-Suche – wir sind gefangen in der Blase der Islamischen Republik. Um 17 Uhr habe ich meine Promotionsbewerbung eingereicht, unser Haus geputzt, die Pflanzen gegossen und Katzenfutter bereitgestellt. Wir rufen unsere einzige verbliebene Nachbarin an, um ihr unseren Schlüssel zu geben. Sie hält uns den Koran über den Kopf, damit Gott uns schütze. Wir tun dasselbe bei ihr, und sie schüttet ein Glas Wasser hinter uns aus, als Zeichen, dass wir bald wiederkommen sollen. Die Straßen Richtung Norden sind dicht vom Stau. Wir brauchen mehr als zehn Stunden, um in der Bergregion im Norden Irans anzukommen.

Donnerstag, 19. Juni

In dem Gebäude, in dem wir untergekommen sind, wohnen zwei Kinder, zehn und elf Jahre alt. Weil es kein Internet gibt, können sie keine Videospiele spielen. Ich, 41 Jahre alt, freunde mich mit diesen beiden wunderbaren Seelen an. Wir spielen Badminton, Fußball und Volleyball. Viele iranische Frauen haben aufgrund der barbarischen Gesetze in Iran beschlossen, nicht zu heiraten und keine Kinder zu bekommen. Besonders meine Generation, die sehr darunter litt, Frauen in diesem Land zu sein. Jetzt, als unabhängige Person in diesem Krieg mit geschlossenen Geschäften und ohne Internet weiß ich für mich selbst zu sorgen.

Freitag, 20. Juni

Wir fahren in die nächstgelegene Stadt, um Lebensmittel einzukaufen. Die Geschäfte sind gut gefüllt. Am Ende der Straße ist das Meer. Die Leute sitzen ruhig da und schauen aufs Meer, Kinder spielen am Wasser, und ein paar Hunde laufen herum. Wir vertreiben uns die Zeit damit, Namen für die Babys meiner Schwester auszusuchen und zu sagen, vielleicht wird das Baby ja hier geboren. Wir müssen uns also das Gesundheitszentrum dieses Dorfes ansehen und es mit dem vergleichen, was man früher in einem Luxuszimmer in einem erstklassigen Krankenhaus in Teheran erwartete, mit Blumen und einer persönlichen Krankenschwester.

Sonntag, 22. Juni

Als ich am Sonntag gegen sechs Uhr morgens mit der Sonne über den grünen Bergen aufwache, erfahre ich, dass Trump sich den israelischen Streitkräften angeschlossen und Atomanlagen bombardiert hat. Ich denke an meine Jugend, als der Clown Ahmadineschad (früherer iranischer Präsident) und seine Anhänger behaupteten, Atomkraft sei unser Recht, während sie dem Land so viel Geld stahlen, als schwere Sanktionen gegen das iranische Volk verhängt wurden. Ich denke an den Aufstand von 2009, als das Regime all seine Kräfte einsetzte, um uns zu töten. Als wir später, mit all unseren Wunden, an einer weiteren friedlichen Aktion teilnahmen, um einen anderen Präsidenten zu wählen, damit wenigstens die Sanktionen aufgehoben werden. An unsere Tränen, als das Atomabkommen JCPOA unterzeichnet wurde, aber wir sahen, dass sich wirtschaftlich in Iran nichts tat und Baschar al-Assad und die Hizbullah offenbar mehr von dem iranischen Geld haben und Trump aus dem Ankommen aussteigt. Und jetzt ist alles weg, im Handumdrehen. Was für eine Verschwendung unseres Lebens und unseres Geldes.

Wir versuchen, uns Mut zu machen: Vielleicht haben die USA jetzt keine Ausrede mehr, uns noch mehr zu sanktionieren. Der Hass auf das iranische Regime und darauf, wie sie sich selbst in den Vordergrund rücken, während sie so leicht gegen ein kleines Land wie Israel verlieren, ist in den Geschäften der Stadt zu hören. Ich beschließe, nach Teheran zurückzukehren. Ich fühle mich wieder stark, weil ich nicht ständig Schutz suche. Unsere Bäume und Katzen müssen jetzt Hunger haben.

Montag, 23. Juni

Wir fahren gegen Mitternacht los. Ich bekomme mehrere Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens, Teheran ist staubig und warm, ich fühle mich wie zu Hause. Ich habe kein Futter für die Katzen. Die Tierhandlungen sind alle geschlossen. Plötzlich beginnt mein Telefon zu piepen. Das Internet ist wieder da. Ich habe mehr als 60 Nachrichten von besorgten Freunden erhalten. Dann gibt es heftige Explosionen. Willkommen in Teheran! Wir suchen Schutz. Oh, sie haben das Evin-Gefängnis angegriffen?! Mir tut das Herz weh. Während des Mahsa-Aufstandes von 2022 war der wohl schwerste Tag, als es im Evin-Gefängnis brannte. Ich fragte mich: Ist das ein Zeichen für einen Regimewechsel? Das Evin-Gefängnis ist weder ein Militärstützpunkt noch eine Atomanlage. Ich hatte dort eine schreckliche Zeit bei den Verhören. Aber wahrscheinlich werden diese bösen Menschen, die dafür verantwortlich sind, nicht verletzt, sondern nur die jungen Männer, die ihren Wehrdienst leisten, und Angehörige, die jemanden im Gefängnis haben.

Kronprinz Reza Pahlavi hat direkt nach dem Angriff in Paris eine Pressekonferenz gegeben (und die Bildung einer Übergangsregierung mit ihm an der Spitze gefordert, Anm. d. Red.). Seine Rede klang wie die von Khomeini 1979 in Frankreich. Ich sagte mir: Im schlimmsten Fall ist er wahrscheinlich besser als die Mullahs. Ich habe eine Stunde damit verbracht, auf die freundlichen Nachrichten meiner ausländischen Freunde zu antworten. Die politischen Ansichten einiger von ihnen sind interessant. Hass auf Israel hat diese Sympathie für das iranische Regime geschaffen. Ich muss ihnen noch mal sagen: Iran, das sind die Menschen, und die Islamische Republik ist das brutalste Regime.

Ich will ein paar Sachen für unser Haus kaufen. Normalerweise bestellen wir alles über die App „Snapp“, aber Lebensmittel werden im Moment nicht geliefert. Ich sollte selbst losgehen. Ich bin zu müde zum Laufen und höre ein bisschen Luftabwehr in der Ferne. In der Nähe einer Moschee sitzt eine Gruppe junger Männer in Militärkleidung mit Maschinengewehren. Ich kaufe meine Sachen und gehe zurück im stillsten Teheran, das ich je gesehen habe. Das einzig Interessante an diesem Krieg ist, dass wir plötzlich mit Fremden ins Gespräch kommen – das ist in einer so großen Stadt wie Teheran nicht üblich. Ich weiß, dass es wahrscheinlich weitere Angriffe geben würde mitten in der Nacht. Ich versuche, etwas früher zu schlafen. Wir stellen den Wasserkühler an und schließen die Fenster, um nichts zu hören. Aber meine Freundin in Qatar ist wegen des Angriffs auf den dortigen US-Militärstützpunkt sehr aufgeregt. Ich antworte ihr: Lass deinen Ärger an mir aus. Wir werden in unseren Medien eine große Sache daraus machen, aber es ist ein Angriff ohne Opfer, um Trump nicht wieder wütend zu machen. Das ist ein Zirkus, reg dich nicht auf. Ich schlafe ein, und um 1.30 Uhr morgens spüre ich, wie mein Bett zittert. Es muss eine schwere Bombe sein. Jetzt öffne ich Telegram, schaue, was das Konto @Vahidonline dazu postet. Ich versuche wieder zu schlafen.

Um drei Uhr morgens höre ich ein Kampfflugzeug. Ich bin so wütend darüber, dass all diese Militäranlagen das ganze Geld Irans verschlingen und man uns trotzdem so leicht umbringen kann und israelische Kampfflugzeuge so einfach über Teheran fliegen. Es ist, als würde jemand meinen Nationalstolz verletzen. Ich sage meiner Mutter, lass uns im Badezimmer Schutz suchen. Da beginnen wieder die Bomben, eine davon ganz nah. Ich denke, vielleicht müssen wir bald wieder evakuieren. Noch vor fünf Uhr morgens kommt der Hausmeister, um unsere Gasse zu fegen. Als wir aus dem Norden nach Teheran zurückkamen, habe ich gleich auf der Website der Stadt darum gebeten, dass unsere Nachbarschaft sauber gemacht werden solle, weil sie voller Laub sei. Das Geräusch des Fegens sorgt nun für ein wenig Freude, dass wir unsere gewohnte Umgebung wieder haben.

Trump verkündet einen Waffenstillstand! Auf dem iranischen Twitter, wo unser schwarzer Humor groß ist, machen die Leute jetzt Witze, dass das Regime sich nun an uns rächen werde. Sie scherzen, dass sie sagen würden, ihre Accounts seien gehackt worden, wenn sie irgendetwas geschrieben haben, was dem Regime nicht gefallen könnte. Ich stelle fest, dass ich vor der Islamischen Republik mehr Angst habe als vor Israel.

Dienstag, 24. Juni

Am Dienstagmorgen schreiben uns einige Familienmitglieder und Freunde, dass sie nach Teheran zurückkehren würden, da die Bombenangriffe hoffentlich vorbei seien. Wir werden sehen, was danach passiert und wie die Menschen in Iran danach leben werden, mit so vielen Opfern, den vielen Schäden und der lahmgelegten Wirtschaft. Ich denke, wir werden überleben, denn eines ist sicher: Wir lieben unser Land, egal ob arm oder reich, verwundet oder gesund.

Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Böge