Zu Lebzeiten hat der Industrielle Heinz Hermann Thiele es stets abgelehnt, aus Steuergründen ins Ausland zu ziehen. Sein Vermögen, darunter der Münchner Zulieferkonzern Knorr-Bremse und eine milliardenschwere Beteiligung an der Deutschen Lufthansa, wollte Thiele in eine Familienstiftung einbringen. An seinem Testament hatte er von 2015 an gearbeitet und 2018 Knorr-Bremse, den Weltmarktführer für Bremssysteme von Schienen- und Nutzfahrzeugen mit damals 30.000 Beschäftigten und einem Umsatz von fast sieben Milliarden Euro, noch an die Börse gebracht.
Doch schon kurz nach Thieles überraschendem Tod im Februar 2021 kursierten erste Meldungen, dass auf die Familie ein ungewöhnlich hoher Betrag an Erbschaftsteuer zukommen könnte. Von rund fünf Milliarden Euro war die Rede. Der Grund: Die Stiftung war als steuergünstiges Vehikel schlicht zu spät fertig geworden.
Nun sollen es fast vier Milliarden Euro sein, die an den Freistaat Bayern gehen. Im April dieses Jahres sei diese Summe auf dem Konto des Finanzamts Kaufbeuren eingegangen, berichtet die „Bild“-Zeitung. Weder das Bayerische Staatsministerium noch die Erben äußerten sich zu dem Vorgang.
Thiele hinterließ geschätzte 15 Milliarden Euro
Dabei war es schon zuvor in der Familie hoch hergegangen. Thiele, der im Alter von 79 Jahren starb, hinterließ geschätzte 15 Milliarden Euro, begünstigt war vor allem seine Tochter Julia aus erster Ehe, aber auch seine zweite Frau Nadia. Die Witwe stritt indes über die Ausgestaltung der Stiftung erbittert mit dem Testamentsvollstrecker und wollte dessen Einfluss begrenzen. Stein des Anstoßes: das horrende Honorar des Nachlassverwalters Robin Brühmüller von mehr als 200 Millionen Euro – gemäß der 1,5-Prozent-Regelung, die nach der Tabelle des Deutschen Notarvereins vorgesehen ist.
Nur ums Geld ging es Thieles zweiter Ehefrau nicht. Sie machte Brühmüller für den eskalierten Streit mit ihrer fünf Jahre älteren Stieftochter Julia verantwortlich. Das Verhältnis der beiden soll zwar nie besonders harmonisch gewesen sein, zum Zerwürfnis kam es aber nach dem Tod, als der Testamentsvollstrecker die Führungspositionen in Thieles Stiftung mit sich selbst und Julia besetzen wollte und die Witwe dabei überging. Nadia Thiele zog vor das Nachlassgericht München, gegen Brühmüller ermittelte zwischenzeitlich sogar die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug. Ihr Antrag auf Entlassung des Testamentsvollstreckers wurde vom Gericht abgelehnt, und die Strafverfolger stellten die Ermittlungen ein. Ausgeräumt war der Streit damit noch nicht.
Erst vor einem halben Jahr kam es zu einer vertraulichen Einigung zwischen der Witwe und dem Testamentsvollstrecker. Die Stiftung hatte zuvor ordnungsgemäß ihren Betrieb aufgenommen. Sie verwaltet den Großteil des Familienvermögens und wird von Tochter Julia Thiele-Schürhoff, Testamentsvollstrecker Brühmüller sowie dem einstigen Fresenius-Manager Stephan Sturm kontrolliert.
Die Erben beglichen nun die fällige Erbschaftsteuer – der höchste Betrag, der je in Deutschland gezahlt wurde. Das Geld fließt nicht nur in die bayerische Landeskasse: Aufgrund des Länderfinanzausgleichs werden auch ärmere Bundesländer an der Rekordeinnahme des Freistaats beteiligt.