Industriestrompreis: Brüssel billigt deutschen Herzenswunsch

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Die EU-Mitgliedstaaten dürfen ihre Industriebetriebe noch umfassender als bisher unterstützen, wenn dies dem Übergang zu einer klimaschonenden Produktion dient. Das geht aus den neu gefassten EU-Beihilfeleitlinien hervor, welche die für Transformation und Wettbewerb zuständige Vizepräsidentin Teresa Ribera am Mittwoch in Brüssel vorgestellt hat. Die neuen Regeln sollen den „Clean Industrial Deal“ unterstützen, mit dem Kommissionschefin Ursula von der Leyen in einer Übergangszeit die Klimaschutzziele für die Industrie erträglich gestalten will.

Die aus deutscher Sicht wichtigste Neuerung ist die von der Bundesregierung immer wieder geforderte Möglichkeit eines Industriestrompreises. Die Kommission will erlauben, dass die Staaten der Industrie Preisnachlässe von bis zu 50 Prozent für maximal die Hälfte ihres jährlichen Stromverbrauchs gewähren. Für Deutschland ist das wegen des hohen Anteils energieintensiver Unternehmen besonders wichtig. „Es ist ein Instrument, um den Klimaschutz voranzutreiben, die Widerstandsfähigkeit Europas zu stärken und sicherzustellen, dass unsere Industrie weltweit wettbewerbsfähig bleibt“, sagte Ribera.

Der Nachlass bezieht sich auf den Jahresdurchschnitt des Großhandelspreises in der jeweiligen Strompreiszone des Unternehmens. Der ermäßigte Preis darf 50 Euro je Megawattstunde nicht unterschreiten. Die Beihilfe soll auf drei Jahre begrenzt werden und darf höchstens bis Ende 2030 gezahlt werden. Voraussetzung ist, dass die Unternehmen in den Klimaschutz investieren. Dafür soll die Hälfte der Beihilfen reserviert werden. Als Beispiel nennt die Kommission Speicher, Energieeffizienz, Elektrolyseure und die Elektrifizierung von Produktionsprozessen. Andere Beihilfen dürfen zu diesem Zweck nicht gewährt werden.

Nur für Unternehmen mit hohem Strombedarf

Die Kommission spricht von einer Brückenhilfe. Sie dürfe nur gewährt werden, solange die Energiewende noch nicht weit genug fortgeschritten sei und die Strompreise durch den Ausbau von Netzen und erneuerbaren Energien noch nicht wieder auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau lägen. Von den Strompreisbeihilfen dürfen ferner ausschließlich Unternehmen profitieren, die für ihre Produktion einen hohen Strombedarf haben und deren Branche zugleich stark in den internationalen Handel eingebunden ist. In Deutschland gilt das vor allem für die Stahl- und die Chemieindustrie.

Mit dem neuen Regelrahmen, der nicht der Zustimmung von Mitgliedstaaten und EU-Parlament bedarf, ersetzt die Kommission die temporär für die Pandemie und anschließend aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine geltenden Krisenregeln. Diese hatten teils eine ähnliche Stoßrichtung, der neue Rahmen reicht aber weiter. Generell wendet die Kommission ähnliche Kriterien wie beim Industriestrompreis auch auf andere Subventionen an: Staatshilfen werden gegen Investitionen in eine klimafreundliche Produktion erlaubt.

Chemieindustrie lobt Regelwerk

So sollen die Staaten einfacher als bisher die Produktion von grünem und blauem Wasserstoff fördern können. Außerdem sagte die EU-Behörde zu, sie werde die Förderung von „Investitionen in alle Technologien, die zu einer Dekarbonisierung oder verbesserter Energieeffizienz“ führen, „flexibel unterstützen“. Ribera sagte, das neue Regelwerk werde zugleich „die Klimaambitionen antreiben“ und dafür sorgen, dass die europäische Industrie global wettbewerbsfähig bleibe.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) lobte, das Regelwerk sei gegenüber einem Vorentwurf „praxistauglicher“ geworden. VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup, mahnte, jetzt sei aber die Bundesregierung mit der Ausgestaltung der nationalen Hilfen am Zug. Notwendig sei ein „möglichst unbürokratischer Gamechanger“, der schnell bei den Unternehmen ankomme.

Der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) kritisierte dagegen, die Kommission habe dem Druck der Bundesregierung nachgegeben. „Ein Industriestrompreis ist grundsätzlich nicht geeignet, den Wirtschaftsstandort Europa und Deutschland zu stärken. Vielmehr verzerrt er den Wettbewerb zulasten von kleinen und mittleren Handwerksbetrieben, die diese Entlastung mitfinanzieren müssen“, sagte ZDH-Hauptgeschäftsführer Holger Schwannecke.