Eine Abschiebung stellt das Leben einer Person, manchmal einer ganzen Familie auf den Kopf. Weil der sicher geglaubte Hafen, zu dem Deutschland für sie geworden war, geschlossen wird und damit alle Lebensträume und -pläne im gleichen Moment zerbrechen. Die meisten Rückführungen geschehen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, über die Schicksale erfährt die Öffentlichkeit nicht viel.
Anders im Fall der Familie Kapoor mit ihren Söhnen Angad und Gunit, die während der Osterferien nach Indien abgeschoben worden sind. Seit 2018 lebten sie in Deutschland. Die Jungen gingen auf die Johanna-Tesch-Schule in Bockenheim, waren integriert, schrieben gute Noten. Der Ältere, Angad, hätte drei Wochen später seine Hauptschulprüfungen schreiben sollen. Das Schicksal der Kapoors berührte nicht nur Menschen, die sie kannten, der Umstand, dass die Familie während eines regulären Besuchs in der Ausländerbehörde von der Polizei abgepasst und zum Flughafen eskortiert worden war, empörte viele.
Unterschiedlichen Angaben über Herkunft der Familie
Die Familie stammt nach eigenen Aussagen aus Afghanistan. Dort gehöre sie der religiösen Minderheit der Sikh an. Auf Nachfrage teilten die Behörden jedoch mit, die Kapoors seien „in ihr Heimatland Indien“ abgeschoben worden. Es gibt kein Abkommen mit Indien, das die Rückführung einer afghanischen Familie dorthin ermöglichen würde. Als die für die Ausländerbehörde zuständige Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) jüngst in einer Stadtverordnetenversammlung auf den Vorfall angesprochen wurde, sagte sie: „Ich würde gerne mehr sagen zu dem Fall, aber ich darf es einfach nicht.“ Auch das Regierungspräsidium Darmstadt teilte auf Nachfrage „zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen“ mit, man dürfe nichts Näheres über den Fall preisgeben.
Das übergeordnete Innenministerium ist nun auf Nachfrage etwas konkreter geworden, was den Anlass der Abschiebung angeht: Bei einem Familienmitglied habe „ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes aufgrund einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat“ vorgelegen. Um welches Familienmitglied es sich dabei handelt, lässt das Ministerium offen. Nach dem genannten Paragraphen kommen diverse Straftaten infrage, die mit mindestens einem halben Jahr Freiheitsentzug geahndet werden. Die Bandbreite reicht von Aufrufen zu Hass gegen Teile der Bevölkerung, Drogenhandel, gefälschten Dokumenten, Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Sozialversicherungsbetrug. Das Panorama macht die Einordnung nicht einfacher.
Das Schicksal der beiden 12 und 16 Jahre alten Söhne, die sechs Jahre in Frankfurt zur Schule gegangen sind, sich hier integriert und ihre Zukunft gesehen haben, ist damit untrennbar verbunden. Ihre Zukunft in Indien, einem Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, ist düster. Am kommenden Dienstag, den 1. Juli, wollen ihre Mitschüler noch einmal für die Rückkehr von Angad und Gunit nach Deutschland demonstrieren.
Innenminister Roman Poseck (CDU) will die Zahl der Abschiebungen aus Hessen deutlich erhöhen: „Die Behörden, die Abschiebungen durchführen, verdienen Respekt. Sie setzen unseren Rechtsstaat um. Es ist bedauerlich, dass die öffentliche Debatte häufig verkürzt und ohne Kenntnis der Umstände des jeweiligen Falles geführt wird. Für eine einseitige Stimmungsmache ist das sensible Thema nicht geeignet.“