Als der iranische Führer Ali Khamenei sich am Donnerstag im Staatsfernsehen zu Wort meldete, ging es weniger darum, was er sagte. Entscheidend war, dass er überhaupt wieder in Erscheinung trat. In einer Videobotschaft beglückwünschte er von einem geheimen Ort aus die Nation zu ihrem angeblichen „Sieg“ über Israel und Amerika. Khamenei hob hervor, dass der amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner Forderung nach einer „bedingungslosen Kapitulation“ das eigentliche Kalkül Washingtons enthüllt habe. Es gehe Amerika nicht um das Atomprogramm oder Menschenrechte, sondern um die Unterwerfung Irans, sagte Khamenei.
Zuvor hatte das ganze Land diskutiert, wo eigentlich der Oberste Führer sei. Immerhin hatte Iran erstmals seit vierzig Jahren wieder einen Krieg erlebt. Aber Khamenei war tagelang abgetaucht. Mutmaßlich in einem geheimen Bunker, zu dem nur ein stark begrenzter Personenkreis Zugang haben soll. Seine Abwesenheit hatte Gerüchte über seinen Gesundheitszustand ins Kraut schießen lassen und die Frage aufgeworfen, ob er überhaupt noch Herr der Lage sei.
„Wir sollten alle beten“
Ausgerechnet der Staatssender Ofogh hatte die Debatte am Mittwochabend befeuert. „Die Menschen sind wirklich besorgt um die Gesundheit des Führers“, sagte der Moderator einer Talkshow. „Können Sie uns ein wenig darüber sagen, wie es ihm geht?“, fragte er den Studiogast Mehdi Fazaeli, der im Büro für die Bewahrung und Veröffentlichung der Schriften des Obersten Führers arbeitet. Viele Zuschauer hätten darauf gedrungen, dass diese Frage gestellt werden solle.
Fazaeli antwortete, auch er habe solche Anfragen erhalten. Das zeige, wie stark die Verbindung zwischen dem Volk und dem Führer sei. Fazaeli warnte, „der Feind“ wolle Zweifel am Gesundheitszustand des Führers säen. Zugleich schien er sich selbst nicht sicher: „Wir sollten alle beten, und wir hoffen, dass diejenigen, die für den Schutz des Führers verantwortlich sind, ihre Aufgabe gut erfüllen.“ Diese Aufgabe obliegt einer eigens dafür geschaffenen Spezialeinheit der Revolutionsgarde.
Fazaelis Worte warfen ein Schlaglicht auf das Machtvakuum, das die Abwesenheit Khameneis geschaffen hat. Man kann vermuten, dass Israel mit seiner Drohung, Khamenei zu töten, dieses Bild der Führungslosigkeit beabsichtigt hat. Daran kann auch eine Videobotschaft nichts ändern. Einmal soll Trump den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu davon abgehalten haben, Khamenei töten zu lassen. Doch Netanjahu hat sich diese Möglichkeit explizit offen gehalten.
Ein Machtkampf hinter den Kulissen?
Wenn das Khamenei dazu zwingt, dauerhaft in dem Bunker zu bleiben, dürfte er kaum noch die Autorität haben, das Land zu führen. Am Samstag sollen die von Israel getöteten Militärführer mit einem Staatsbegräbnis geehrt werden. Wenn Khamenei dort nicht erscheint, wird das Vakuum besonders sichtbar. Auch andere Regimevertreter scheinen weiter um ihre Sicherheit zu fürchten: Die Beerdigungszeremonie für den vor zwei Wochen getöteten Kommandeur der Revolutionsgarde, Hossein Salami, wurde am Donnerstag in seiner Heimatprovinz Isfahan kurzfristig aus Sicherheitsgründen abgesagt. In Iran ist es bei ranghohen Persönlichkeiten üblich, dass der Sarg erst in die Heimatprovinz und dann nach Teheran geflogen wird.
In der Zwischenzeit scheint hinter den Kulissen ein Machtkampf entbrannt zu sein. Zumindest kann man sagen, dass die Spindoktoren der verschiedenen Lager eifrig dabei sind, ihre Sicht der Dinge zu verbreiten. Dem „Economist“ sagten Regimevertreter, Khamenei habe Entscheidungsbefugnisse an einen neuen Rat übertragen, der von der Revolutionsgarde dominiert sei. Die Zeitschrift schließt daraus, dass die Generäle erstmals seit der Revolution von 1979 die Macht vom Klerus übernommen hätten. Zugleich ist innerhalb der Revolutionsgarde einiges in Bewegung geraten, weil ein Großteil der obersten Führungsriege von Israel liquidiert wurde.
Andere Regimevertreter sagten dem in Teheran gut vernetzten Buchautor Arash Azizi, es gebe Pläne, „Khamenei beiseitezuschieben“ und einen Übergangsrat zu bilden. Dieser Gruppe gehörten Geschäftsleute, Politiker, Militärs und Verwandte ranghoher Kleriker an, schrieb Azizi in der amerikanischen Zeitschrift „The Atlantic“. Eine Person sagte dem Autor demnach: „In Teheran gibt es jetzt viele solcher Intrigen.”
Wird der Enkel des Republikgründers der Nachfolger?
Präsident Massud Peseschkian, der dem moderateren Lager angehört, scheint die Hoffnung zu haben, dass seine Position durch den Krieg gestärkt wurde. In einer Rede vor dem Kabinett sprach er am Mittwoch von einer „goldenen Chance für Wandel“. Dazu passt ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, wonach Hassan Khomeini, der Enkel des Gründers der Islamischen Republik, ein aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des Obersten Führers sei.
Der 52 Jahre alte Khomeini steht dem moderateren Lager nahe. Nach dem amerikanischen Angriff auf iranische Atomanlagen schickte er eine öffentliche Botschaft an Khamenei: „Ich erkläre einmal mehr demütig, dass dieser kleine, unbedeutende Diener des iranischen Volkes bereit ist, stolz an jeder Front zu stehen, die Sie für nötig erachten.“ Mehrere Regimevertreter sagten der Agentur, Khomeini werde erst seit Kurzem als Kandidat erwogen. Dahinter stehe die Überlegung, dass ein moderaterer Führer den ausländischen Druck lindern und innere Unruhen vermeiden könnte.
Um die Nachfolge des 86 Jahre alten Führers tobt schon lange ein Machtkampf. Es war immer klar, dass sein Tod oder Abtreten nach mehr als 30 Jahren Herrschaft eine Zäsur bedeuten würde. Eine Möglichkeit, das Land in eine neue Richtung zu lenken. Der Krieg könnte die Machtverhältnisse durcheinandergewirbelt haben.
Wie und ob Khamenei in seinem Versteck in Entscheidungen und Verhandlungen wie jene über den Waffenstillstand eingebunden ist, bleibt unklar. Auf amerikanischer Seite hieß es, zweimal seien angestrebte Gespräche mit Iran nicht zustande gekommen, weil der Führer nicht habe erreicht werden können. Bislang hat Teheran auch noch nicht die von Trump für nächste Woche angekündigte Wiederaufnahme der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm bestätigt. Khamenei sagte dazu am Donnerstag kein Wort.
Präsident Peseschkian bedankte sich in einer Rede bei Khamenei für dessen „weise Anleitung”. Das klang oder sollte so klingen, als habe er zumindest indirekt Kontakt zu ihm. Als Präsident ist Peseschkian zugleich Vorsitzender des Obersten Nationalen Sicherheitsrats, der am Dienstag den Waffenstillstand verkündete. Keine Rolle spielt dagegen der in Amerika lebende Sohn des letzten Shahs, Reza Pahlavi, der sich während des zwölf Tage dauernden Krieges als Israel-freundliche Alternative zum islamistischen Regime präsentiert hatte.