Im Norden Gazas: Netanjahu setzt Hilfsgüter-Lieferungen aus

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Keine Lieferungen von Hilfsgütern mehr in den Norden des Gazastreifens – das hat Benjamin Netanjahu israelischen Medienberichten zufolge angeordnet. Der Grund, den Israels Ministerpräsident dafür demnach angibt, ist, dass die Hamas Hilfsgüter entwende. Daneben spielt aber auch die Innenpolitik eine Rolle – Netanjahu muss seine Koalitionspartner in der Regierung halten und sich gegenüber Konkurrenten in Szene setzen.

Am Mittwochabend teilten Netanjahu und Verteidigungsminister Israel Katz in einer gemeinsamen Stellungnahme mit, dass sie die Armee angewiesen hätten, binnen 48 Stunden einen Plan auszuarbeiten, um den Missbrauch humanitärer Hilfe durch die Hamas zu verhindern. Diese Anschuldigung erheben die israelische Regierung und Armee seit Monaten immer wieder: Hamas-Kämpfer zweigten Hilfsgüter ab und verkauften sie dann. Diese Behauptung wurde auch als Begründung dafür herangezogen, die Einfuhr von Hilfsgütern Anfang März komplett zu blockieren – was im Gazastreifen zu katastrophalen humanitären Zuständen führte. Fast alle der etwa 2,1 Millionen Bewohner sind laut aktuellen Erhebungen von akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen.

UN: Mehr als 400 Tote bei Essensausgaben

Im Mai organisierte die Regierung, die international zunehmend unter Druck geriet, die Verteilung von Hilfsgütern nach eigenen Vorstellungen neu. Nur eine Organisation, die durch eine amerikanisch-israelische Initiative gegründete Gaza Humanitarian Foundation (GHF), sollte noch Lebensmittel ausgeben. Der Plan führte ins Chaos. Während zuvor Hilfsorganisationen an rund 400 Orten im Gazastreifen Hilfsgüter an die mehr als zwei Millionen Menschen verteilt hatten, richtete GHF vier Massenausgabestellen ein, drei davon im Süden des Kriegsgebiets. Dort kam es immer wieder zu Massenaufläufen und zu Beschuss.

Mehr als 400 Menschen sind laut Angaben der Vereinten Nationen vom vergangenen Wochenende bei dem Versuch, an den GHF-Ausgabestellen Lebensmittel zu bekommen, ums Leben gekommen. „Wir beobachten ein erschreckendes Muster, bei dem israelische Streitkräfte das Feuer auf Menschenmengen eröffnen, die sich versammeln, um Lebensmittel zu erhalten“, sagte kürzlich Jonathan Whittall, der das UN-Nothilfebüro für den Gazastreifen und das Westjordanland leitet. Die Armee gibt zumeist an, es habe Bedrohungen gegeben und sie untersuche die Vorfälle. Bewohner berichten zudem, dass sich in der Nähe der Ausgabestellen Banditen aufhalten und Menschen, die Lebensmittel erhalten haben, ungestört ausrauben würden.

Am Mittwoch verbreitete der israelische Politiker Naftali Bennett auf der Plattform X Aufnahmen von beladenen Lastwagen, offenbar aus dem Norden des Gazastreifens, auf denen bewaffnete Männer zu sehen waren. Die Bilder zeigten, wie die Hamas abermals die Kontrolle über Hilfslieferungen übernehme, schrieb Bennett und kommentierte, dies sei „beschämend“. Der frühere Ministerpräsident wird als aussichtsreicher Herausforderer von Netanjahu gesehen.

Kurz darauf verkündete Netanjahu seine Direktive. Er sieht sich nicht nur von Bennett unter Druck gesetzt, sondern auch von seinem Koalitionspartner Bezalel Smotrich. Der rechtsreligiöse Finanz- und Siedlungsminister soll mit Rücktritt gedroht haben, sollte Israel nicht verhindern, dass die Hamas an Hilfe gelange. Aus dem Gazastreifen hieß es mit Blick auf die von Bennett verbreiteten Aufnahmen indessen, die Bewaffneten seien lokale Clanmitglieder. Sie sollten verhindern, dass die Lastwagen überfallen werden. Belegen lässt sich ohne weiteres keine der Angaben. Offenkundig ist nur, dass dringender Bedarf an Hilfsgütern besteht.