Mein Geld will niemals nach New York

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Was ist nur aus dem Sehnsuchtsort aller Kapitalisten geworden? Frank Sinatra wollte „part of it“ sein, Udo Jürgens sehnte sich danach, und bei aller Lässigkeit und Weltläufigkeit der Stadt war doch auch immer das große Geld dort zu Hause, um das ganze schöne Leben zu finanzieren. Und nun? Der Präsident will nicht nur viele Ausländer von der Einreise abschrecken, er lässt in Strategiepapieren auch überlegen, wie man des eingewanderten Kapitals zur Finanzierung seines Schuldenbergs, am besten habhaft werden könnte. Zwangsumtausch von Staatsanleihen, Kuponbegrenzungen, Sondersteuern? Alles denkbar. Die Demokraten indes haben diese Woche einen waschechten Sozialisten in ihrer Hochburg zum Favoriten für die Bürgermeisterwahl im Herbst gewählt. Der zählt sich zur Bewegung zur Abschaffung des Kapitalismus. Noch ist er nicht gewählt, aber die Börsianer und ihr Geld wird er sicher nicht hofieren.

Kein Wunder, dass die Anleger derzeit lieber nach Frankfurt kommen. Da hat sich der neue Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) kürzlich ganz brav „beeindruckt“ gezeigt zu seinem ersten Besuch auf dem Börsenparkett. Und auch aus dem Gespräch mit Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD), qua Amt für die Börsenaufsicht zuständig, wurden keine umstürzlerischen Pläne bekannt. Auch nicht von Frankfurts Bürgermeister Mike Josef, ebenfalls Sozialdemokrat.

Nach Frankfurt also können die Leute noch angstfrei ihr Geld bringen. Selbst Bärbel Bas, sozialdemokratische Sozialministerin in der neuen Regierung, zeigt sich willig, die von der CDU angedachte Frühstarterrente zum Jahreswechsel ins Werk zu setzen. Zehn Euro soll es je Kind im Alter von sechs bis 18 Jahren im Monat zur Kapitalanlage geben. Für eine Dax-Aktie reicht das nicht, aber zum Glück bieten findige Banken seit einiger Zeit auch die Stückelung von Aktien an. So ließen sich zum Beispiel 0,04 SAP-Aktien erwerben. Nach gerade einmal zwei Jahren hätte die Frühstarterrente den Kindern also schon die erste vollständige SAP-Aktie finanziert – deutlich schneller als die 173 Monate, die es bis zur ersten Rheinmetall-Aktie dauern würde. Wer nicht stückeln will, kann sich Lufthansa- oder TUI-Papiere kaufen. Die beiden M-Dax-Titel kosten je nur rund sieben Euro das Stück. Und sind diese Woche sogar deutlich im Kurs gestiegen. Die Hoffnung auf weniger Bomben im Nahen Osten lässt die Reiselust in Richtung wichtiger Destinationen wie Türkei oder Ägypten steigen, der deutlich verbilligte Ölpreis, ein Wochenminus von 14 Prozent, macht den Transport der Urlauber günstiger.

Besser als Palantir

Die Kinder sollen sich aber sowieso nicht auf Einzelaktien stürzen. Wer will schon 112 Monate für die erste Netflix-Aktie sparen? Sie sollen Fonds und ETFs kaufen. Das ist in der Tat vernünftiger. Rutscht mal eine Aktie aus, wie dieses Jahr Douglas oder Puma, dann merkt das der Fonds kaum. Ausrutscher gab es aber sowieso im ersten Börsenhalbjahr kaum – zumindest nicht am Tesla-freien deutschen Aktienmarkt. Ganz interessant vielleicht, dass viele die US-Werte Palantir oder Netflix bewundern, aber glatt übersehen, dass im F.A.Z.-Index vier Werte seit Jahresanfang Palantir deutlich in den Schatten stellen und mehr als ein Dutzend die Papiere von Netflix.

Es werden eben nicht nur militärische Datenanalyse auf höchstem Niveau und Streamingdienste benötigt. Es braucht auch ordentlichen Zement von Heidelberg Materials, um Häuser, Straßen und Schulen zu bauen, es braucht Industriedienstleister wie Bilfinger, die zur Weltspitze zählen, und die vier deutschen Waffenkonzerne an der Börse, Renk, Rheinmetall, Hensoldt und Thyssen, liefern auch nicht nur 1b-Ware, wie mancher meint.

DSGVO Platzhalter

Harald Preißler, erfahrener Kapitalmarktstratege von Bantleon, hat diese Woche auf einer Kapitalmarktkonferenz erläutert, dass es Anlegern nicht leichtfalle, das 15 Jahre heruntergebetete Narrativ von der (Tech-)Stärke der USA und der Schwäche Europas einfach so über Bord zu werfen. Doch sein Blick in die US-Unternehmenswelt zeigt viel Durchschnitt und das jahrelange Staatsdoping, wie er das Auftürmen des Schuldenbergs dort nennt, zeige nun immer deutlicher seine Nebenwirkungen in Form höherer Zinsen und Anlegerskepsis. Das Dollarrisiko will kaum mehr ein Anleger ohne Absicherung tragen. Aktuell 1,17 Dollar für einen Euro nach einem Januar nahe der Parität – das ist schon eine starke Bewegung, deren weiteres Ausmaß und Ende sich nicht gut abschätzen lässt.

Spanien und Italien einen Blick wert

Preißler rät, neben Deutschland auch nach Spanien und Italien zu schauen, auch auf Nebenwerte. Sein Kollege Frederik Bröker aus dem Aktienmanagement erinnert an das Jahr 1954, als Deutschland nicht nur das Wunder von Bern feierte, sondern auch ein ganz ungewöhnlich gutes Aktienjahr. Das Renditedreieck des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zeigt für 1954 ein Plus von 83 Prozent für deutsche Aktien. Die USA kamen damals „nur“ auf rund 50 Prozent. Deutsche Aktien zeigten sich hernach nur im Jahr 1985 noch stärker. Seit der Dax vor 37 Jahren eingeführt wurde, liegt der Rekord bei 47 Prozent Plus in den Jahren 1993 und 1997. Zum Halbjahr liegen wir nun bei einem Plus von knapp 20 Prozent.

Geht da noch mehr? Unbändige Euphorie gibt es jedenfalls nicht. Für Mittwoch war ein großes Fest auf dem Frankfurter Börsenparkett geplant mit dem ersten größeren Börsengang seit Springer Nature Anfang Oktober. Doch die Berliner Autodoc stieß mit ihrem Angebot nicht auf ausreichendes Interesse und sagte kurzfristig ab. Für das Unternehmen bedauerlich, für die Lage am Aktienmarkt ein gutes Zeichen: Das Geld wir nicht mit so leichter Hand ausgegeben wie zuletzt 2021.

Die Zeiten erinnerten fast schon an die Dotcom-Euphorie der Jahrtausendwende, als vielen Unternehmen ohne großes Zutun eine Menge Geld anvertraut wurde. Damals folgte ein bitteres Jahr 2022. Derzeit ist die Ausgangslage besser. Die Zinsen sind nicht im negativen Bereich wie damals. Die vor vier Jahren aufkommende Inflation ist weitgehende zurückgedrängt. Doch an der Börse kann der Wind sich schnell drehen. Und vielleicht will dann das Geld – angeblich scheu wie ein Reh – doch plötzlich wieder unbedingt nach New York. Hatten wir schon erwähnt, dass Streuung der beste Schutz für solche Stimmungswechsel an den Börsen ist?