Bis zum 9. Juli bleiben weniger als zwei Wochen. Dann endet die von US-Präsident Donald Trump ausgerufene Zollpause für die EU. Wenn sich beide Seiten bis dahin nicht auf einen Deal geeinigt haben oder die Frist noch einmal verlängert wird, wie der amerikanische Finanzminister Scott Bessent im Sender „Fox News“ am Freitag andeutete, drohen Zölle von 50 Prozent auf fast die gesamte Einfuhr aus der EU. Das gilt es auf jeden Fall zu vermeiden, darin zeigten sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Brüssel einig.
Die zentrale Frage ist, wie das gelingen kann. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte Anfang der Woche beim Tag der Industrie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) sein Unbehagen über die Verhandlungen der EU-Kommission geäußert. Die verhandele zu kompliziert. Nach dem Gipfel wollte er das nicht als Kritik verstanden wissen, wiederholte aber: „Lieber jetzt schnell und einfach, als langsam und hoch kompliziert.“ Darin seien sich alle einig gewesen. „Unsicherheit ist das Schlimmste für die Wirtschaft“, pflichtete ihm EU-Ratspräsident António Costa bei.
Merz schwebt eine vorläufige Einigung vor, wie sie die Briten mit den USA erzielt haben. Viel mehr erwartet auch die Kommission nicht mehr. Schon seit einer Weile gilt ein umfassender Deal, der alle oder auch nur die meisten Streitpunkte ausräumt, als unrealistisch. Selbst der als Trump-Hardliner geltende, französische Präsident Emmanuel Macron gestand am Donnerstag ein, dass die EU vielleicht – wie die Briten – mit einem Basiszoll von zehn Prozent leben müsse. „Der niedrigste Zoll, wenn möglich null, wäre das Beste“, sagte er. „Aber wenn es zehn Prozent sind, sind es eben zehn Prozent.“
Ein neuer „Zweiseiter“ aus Washington
Merz glaubt ebenfalls nicht daran, dass Trump auf alle Zölle verzichten will. Will der doch mit den Einnahmen seine Steuerreform finanzieren. In der Kommission wird hinter vorgehaltener Hand schon seit langem gesagt, ein Basiszoll von zehn Prozent sei kaum zu vermeiden. Offiziell hieß es aber immer noch, die EU sei ein anderes Kaliber als Großbritannien und strebe deshalb an, dass Trump alle Sonderzölle streiche.
Ein vorläufiger Deal gilt als das beste zu erreichende Szenario. So groß der Optimismus auch ist, dass das in Reichweite ist, weil es auch in den USA Appetit auf eine schnelle Einigung gebe; sicher ist das nicht. Die USA schickten zwar am Donnerstag einen neuen Vorschlag nach Brüssel. Die Rede ist von einem „Zweiseiter“. Inwieweit der sich als Basis für eine Einigung eignet, ist unklar. Die Details sind unbekannt. Merz sagte, was genau die Kommission mit der Trump-Regierung aushandele, sei den Staats- und Regierungschefs nicht mitgeteilt worden. Dabei fand die Debatte in kleinster Runde statt. Die Chefs mussten ihre Handys vorher abgeben. Alle Berater mussten den Raum verlassen.
Es sickerte aber durch, dass die Forderungen zu asymmetrisch seien, um von der EU akzeptiert werden zu können. Auch im Falle einer Einigung werde ein großer Teil der US-Zölle bestehen bleiben. Dennoch verlange die Trump-Regierung im Gegenzug einseitige Zollsenkungen von der EU. Auch stelle sie inakzeptable Forderungen zu Agrar- und Fischereiprodukte und habe zu weitreichende Ideen zur Wirtschaftssicherheit, wie der „Bloomberg“ berichtet. Mit letzteren dürfte ein gemeinsames Vorgehen gegen China gemeint sein.
Für Merz geht es vor allem um einzelne Sektoren
Merz geht es wie vielen anderen Staats- und Regierungschefs vor allem darum, die Belastung für die heimische Industrie so schnell wie möglich zu senken. Die Zölle kosteten diese täglich viel Geld, betonte er. Das liegt daran, dass die von Trump ausgerufene Zollpause keine komplette ist. Trump hat damit nur den Zoll auf die Einfuhr von 20 Prozent auf den neuen „Basiszollsatz“ von zehn Prozent gesenkt. Für Autos, Stahl und Aluminium gilt nach wie vor der höhere Satz von 25 Prozent.
Die zentrale Frage ist, welche Zölle EU wegverhandeln kann. Für Merz geht es vor allem um die Zölle auf einzelne Sektoren. Er nennt konkret die Pharmabranche, Chemie, Maschinenbau, Aluminium, Stahl und Autos, die er von Zöllen verschonen will. Das entspräche zu einem gewissen Grad dem US-Deal mit Großbritannien. Der senkt die Zölle für britische Autos auf zehn Prozent, wenn auch nur für 100.000 Fahrzeuge. Im Gegenzug mussten die Briten auch akzeptieren, dass die meisten anderen Produkte weiter mit zehn Prozent belegt werden.
Ein Entwurf umfasste Waren im Wert von 95 Milliarden Euro
Die Europäische Kommission ist indes skeptisch, ob die EU die Zölle auf Sektoren wie die Autobranche wegverhandeln kann. Dazu sei das Thema Autos für Trump zu wichtig, heißt es dort. Die „Financial Times“ zitierte am Donnerstagabend sogar Kommissionsmitarbeiter, die Merz Dringen auf eine Befreiung der Autobranche von den Zöllen als „wahnhaft“ bezeichneten. Die Gespräche zwischen der Kommission und der US-Regierung haben sich zumindest bisher offenkundig auf den Zoll von 20 Prozent konzentriert, den Trump Anfang April auf alle EU-Einfuhren angekündigt und später auf 50 Prozent zu erhöhen angedroht hat, nicht aber die Autozölle von 25 Prozent.
Die Zölle verursachen für die Autoindustrie hohe Kosten. „Wir haben einmal grob überschlagen, dass den deutschen Herstellern im Exportgeschäft aus Deutschland mit den USA im Monat April Zusatzkosten in Höhe von rund einer halben Milliarde Euro entstanden sein dürften“, sagte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, der F.A.Z.
In den Verhandlungen geht es allerdings um mehr als reine Zölle. Für die USA waren von Anfang an auch EU-Standards, Digitalsteuern und ihnen unangenehme Gesetze, wie die EU-Digitalgesetz oder das EU-Lieferkettengesetz Teil der Verhandlungsmasse. Trump bezeichnet diese als nicht-tarifäre Handelshemmnisse. Die EU hat Zugeständnisse etwas bei dem Gesetz für digitale Märkte (DMA), gegen das die amerikanischen Digitalkonzerne Sturm laufen, lange Zeit als „rote Linie“ bezeichnet. Inzwischen aber gibt es Signale, dass sie zumindest bereit ist, über die konkrete Umsetzung zu reden, solange die Gesetze selbst nicht verändert werden.
In welchem Rahmen und wie das genau geschehen soll, ist unklar – ebenso ob mündliche Zusagen oder die Schaffung von Gremien dazu ausreichen würden, um Trump zufriedenzustellen. In der Kommission heißt es, diese Fragen seien innerhalb den 90 Tagen der Zollpause schwierig zu klären. Am Rande des EU-Gipfels wurde allerdings von einigen der Eindruck erweckt, dass es Trump am Ende weniger um die Digitalgesetze gehe als um sein „altes Thema“, mehr Autos in der EU zu verkaufen. Dort müsse die EU ansetzen.
Die nächste schwierige Frage ist, wie die EU nach einem Scheitern der Verhandlungen oder auf einen unausgeglichenen Deal reagiert. Industriekommissar Stéphane Séjoruné hatte vor einigen Tagen ins Spiel gebracht, die EU müsse auch im Fall eines unausgeglichenen Deals darüber reden, das mit Gegenzölle auszugleichen. Macron stellte sich am Donnerstag hinter seinen Landsmann: Die EU können auf keinen Fall eine Situation akzeptieren, in der ihre Waren von Zöllen belegt würden, ohne gleichwertige Gegenzölle zu erheben.
Die Kommission bereitet momentan eine Liste mit Produkten vor, auf die sie – zusätzlich zu den derzeit nur ausgesetzten Stahl-Gegenzöllen – Zölle erheben könnte. Ein Entwurf umfasste Waren im Wert von 95 Milliarden Euro, darunter Bourbon-Whiskey und Boeing-Flugzeuge. Wie lang die endgültige Liste ausfällt, ist offen. Die Kommission stößt aber bei den EU-Staaten offenbar auf einigen Widerstand. Viele wollten eine Eskalation des Handelskonflikts unbedingt vermeiden, heißt es dort. Es gebe wenig Appetit auf zu harte Schritte.