Ein harter Tag für Lars Klingbeil

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Als das Ergebnis für Lars Klingbeil bekanntgegeben wird, ist erst nichts zu hören, dann ein leichtes Raunen. 65 Prozent der Delegierten haben ihn zum Parteivorsitzenden gewählt, nur 65 Prozent. Das ist kein „ehrliches Ergebnis“, wie Klingbeil es erwartet hatte, das ist ein desaströses Ergebnis.

Klingbeil sagt das auch gleich auf der Bühne. Er hätte sich ein besseres Ergebnis gewünscht. Und er hätte gehofft, dass manche Redner ihren Unmut vorher angekündigt hätten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war die Debatte erstaunlich ruhig verlaufen. Bärbel Bas, die neben Klingbeil kandidiert hatte, bekommt ein Ergebnis, das der Debatte entspricht: 95 Prozent. So wirkt Klingbeils Wahlausgang noch mieser. Aber woran lag es, dass so viele Delegierte Klingbeil ihre Stimmen verweigerten?

Klingbeil hatte deutlich gemacht, dass er um die Bedeutung der Rede weiß, mit der er sich am Freitagnachmittag darum bewarb, wiedergewählt zu werden. Ihm war klar, dass nicht alle Parteifreunde es gut finden, dass der Vorsitzende, unter dessen Führung die SPD ein 16,4-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl eingefahren hat, nicht nur Vorsitzender bleiben will, sondern nach der Wahl nach dem Fraktionsvorsitz griff und kurz darauf noch Vizekanzler und Bundesfinanzminister geworden ist.

Klingbeil schlägt selbstkritische Töne an

Er spüre die Anspannung im Saal, hatte Klingbeil gesagt. „Ich bin auch angespannt.“ Der Vorsitzende gab zu, selbst Fehler gemacht zu haben. So sei es den Sozialdemokraten nicht gelungen, früh gegen den Verlust vieler Arbeitsplätze im Land angegangen zu sein. Dafür bekam Klingbeil Applaus. Allerdings hat er mit dieser Selbstkritik viele Delegierte nicht überzeugen können, das wird einige Stunden später klar.

Doch habe die SPD Verantwortung nach der Wahl übernehmen wollen, verteidigte Klingbeil die Regierungsbeteiligung der SPD. Das Präsidium habe entschieden, dass Partei- und Fraktionsvorsitz in eine Hand komme, damit die SPD „auf Augenhöhe mit Friedrich Merz“ über eine Koalition mit der Union verhandeln könne. „Ich hatte damals das Gefühl, zwei Möglichkeiten zu haben, wie ich als Vorsitzender mit diesem Wahlergebnis umgehen kann“, sagte Klingbeil. „Entweder ich höre auf oder ich gehe jetzt voll in die Verantwortung für die SPD.“ Erkennbar hat er sich für Variante zwei entschieden.

Nur kurz kam Klingbeil zunächst auf das heikle Thema Krieg und Militär zu sprechen. Man müsse Diplomatie und Militärisches zusammendenken. Anschließend nannte er einen sozialdemokratischen Dauerbrenner nach dem anderen bis dahin, dass er sich über eine stärkere Belastung von Menschen mit großen Einkommen gefreut hätte.

Das umstrittene Manifest

Dann, als er schon eine halbe Stunde gesprochen hatte, wurde er konkret. „Im Jahr 2025 eine Friedenspartei zu sein, bedeutet etwas anderes als in den Achtzigerjahren“, sagte Klingbeil. „Putin ist nicht Gorbatschow.“ Er nannte den Namen Rolf Mützenich nicht, aber die Stoßrichtung war doch klar. Der frühere Fraktionsvorsitzende, den Klingbeil von seinem Posten verdrängt hat, ist geprägt von der Friedenspolitik, die aus einer Zeit stammt, als der russische Präsident Gorbatschow und nicht Putin hieß.

Am Parteitag nahm Mützenich nicht teil, wohl aus Ärger. Klingbeil versprach am Freitag, die Ukraine weiter unterstützen zu wollen. „Einen anderen Weg als diesen wird es mit mir als Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Ukraine-Politik nicht geben.“ Klingbeil bekam schließlich kräftigen Applaus, die Delegierten standen auf. Nur ein Teil der Anspannung schien zu diesem Zeitpunkt von ihm abgefallen zu sein.

Die Parteitagsregie hatte einen Aufprallschutz eingebaut für die Themen, die vorab als kritisch eingestuft worden waren. Erster Redner war Stephan Weil, der langjährige, gerade aus dem Amt geschiedene Ministerpräsident von Niedersachsen. Mit dem Aufruf, die Delegierten sollten sich vor der „oberflächlichen Personalisierung von Problemen“ hüten, schien er Schuldzuweisungen an einzelne Verantwortliche im Keim ersticken zu wollen.

Minutenlanger Beifall für Scholz

Der in der Partei beliebte Weil setzte auch gleich zu Beginn den Ton zur Bewertung des früheren Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der saß in den Reihen der Delegierten, eingerahmt von seiner Frau und dem früheren Vorsitzenden Franz Müntefering. Die Verabschiedung durch die Genossen ist erst für den Samstagmorgen angesetzt. Aber vorab sagte Weil schon mal, Scholz habe sich „riesige Verdienste um Deutschland und die SPD“ erworben. Minutenlanger Beifall.

Dann erweiterte Weil das Lob auf Rolf Mützenich. Sein Eindruck sei, Mützenich sei immer schmaler geworden in jüngster Zeit. Der Beifall für den einstigen Fraktionschef, der der prominenteste Unterzeichner des „Manifestes“ von Friedenspolitikern ist, blieb deutlich hinter dem für den Zeitenwendekanzler zurück. Es war im Saal kein Furor zu spüren gegen die beschlossene Aufrüstungspolitik. Auch nicht während Klingbeils Rede.

Man hatte zur Sicherheit noch einen zweiten Aufprallschutz eingebaut. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, sprach direkt nach Weil. Wenige Stunden zuvor hatte die Mindestlohnkommission vorgeschlagen, die Lohnuntergrenze in zwei Schritten bis zum Jahr 2027 auf 14,60 Euro zu erhöhen. Das liegt deutlich unter dem von der Parteispitze seit langem ausgerufenen Ziel von 15 Euro. Fahimi warb trotzdem für den Kompromiss, weil die Forderungen nach einer deutlichen Erhöhung und einem Medianlohn von mehr als 60 Prozent erreicht seien. Arbeitsministerin Bärbel Bas hatte sich vorher schon hinter das Ergebnis gestellt. In der Partei war die Sache in den folgenden Stunden kein Thema.

Wo waren denn aber die kritischen Stimmen? Die nicht einverstanden sind mit Klingbeil und Co.? Auftritt Philipp Türmer. „Nach dem 23. Februar ist unser größter Feind die Normalität“, setzte der Juso-Chef in der Aussprache an. Die Partei erlebe womöglich die größte Krise in ihrer langen Geschichte. Und ausgerechnet jetzt erwarte die Parteiführung einen großen Vertrauensvorsprung. Türmer sprach, wie ein Juso-Vorsitzender sprechen muss: laut, wütend, anklagend. Türmer sprach über einen Evergreen der Sozialdemokratie: die Verteilungsfrage. Die müsse endlich laut gestellt werden. Er erinnerte daran, dass der erste sozialdemokratische Bundeskanzler, Willy Brandt, ein Flüchtling war. Aber der Juso-Vorsitzende setzte damit keinen neuen Ton, belebte den Parteitag nicht spürbar.

Denn sofort fand die Debatte zurück zu tapferen Durchhalteparolen und Geschlossenheitsappellen. „Wir stehen noch“, fasste das Tim Klüssendorf zusammen, der am Freitag offiziell zum Generalsekretär gewählt werden soll. Seine Aufgabe wird es in den nächsten Monaten und Jahren sein, nicht nur das verheerende Wahlergebnis vom Februar aufzuarbeiten, sondern auch ein neues Grundsatzprogramm auf den Weg zu bringen.

Merz kann sich freuen

Sollte der Bundeskanzler zwischendurch mal den SPD-Parteitag eingeschaltet haben, dürfte er mit Zufriedenheit festgestellt haben, dass er von dieser SPD nichts zu fürchten hat. Stunde um Stunde verging, ohne dass auch nur ein kritisches Wort über Friedrich Merz zu hören war. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, die erst am Morgen vom Bundestag und unter Schmerzen der SPD-Fraktion beschlossen wurde, fand nur am Rande statt. Ist das Ausdruck von Professionalität, Realitätsverweigerung oder Mattheit?

Bärbel Bas versuchte es mit den sozialdemokratischen Schlagern Sozialstaat, Solidarität und Arbeitnehmerrechte. Als sie in ihrer Bewerbungsrede sagte, die Deutschen seien nicht faul, diese Unterstellung sei ein Schlag ins Gesicht der 46 Millionen Arbeitnehmer, klatschten die Delegierten aus vollem Herzen. Bas erwähnte nicht, wem sie diese Unterstellung zuschreibt. Die SPD hat nun zwei Parteivorsitzende, die beide auch Teil des Kabinetts Merz sind, und so reden sie auch.

Bas’ Rede wurde regelmäßig durch Zwischenapplaus unterbrochen, auch gleich zu Beginn, als sie feststellte, dass sie 1988 in die SPD eingetreten ist. Bas flogen an diesem Tag die Herzen zu. Dass das in der SPD auch ganz schnell in andere Gefühle umschlagen kann, weiß sie wohl auch. Nicht ohne Grund wird sie in ihrer Rede darauf hingewiesen haben, dass ihrer Vorgängerin Saskia Esken übel mitgespielt worden sei. Und dass eine Partei, die Solidarität in der Gesellschaft verlange, erst einmal solidarisch mit den eigenen Leuten sein müsse. Sie bezog das wohl auf sich. Aber am Ende des Tages war es Klingbeil, dem die Solidarität der eigenen Leute fehlte.

Wie solidarisch ist Ralf Stegner? Mit dem „Manifest“, zu dessen Unterzeichnern er gehörte, regte er die Partei ziemlich auf. Es gab aber auch Unterstützung in der Partei. Auch er vermochte es am Freitag nicht, mit seiner vergleichsweise konkreten Anklage gegen den Kurs der Parteiführung die Genossen bemerkbar zu bewegen. Er sprach von Massenaufrüstung, das Friedensthema dürfe man nicht den Parteien an den Rändern überlassen. Auch darin liege ein Grund für das Wahldebakel. Es müsse darüber geredet werden, ob die Wehrpflicht richtig sei. Die SPD hat offensichtlich einigen Redebedarf.