Ein Ladenbesitzer, 65, aus Teheran, der mit seiner Familie nach Bandar Anzali geflohen ist
Das Leben normalisiert sich allmählich. Viele Leute sind auf dem Weg zurück nach Teheran, um wieder arbeiten zu gehen. Manche warten noch ein, zwei Tage, weil sie Sorge haben, dass der Waffenstillstand nicht hält. Ich denke, wenn nichts passiert, wird nächste Woche alles wieder normal sein. Ich fahre heute oder morgen zurück nach Teheran. Meine Frau und meine Kinder bleiben noch hier. Sie hatten darauf bestanden, Teheran zu verlassen.
Aus Respekt für sie bin ich mit ihnen gefahren. Sobald ich zu Hause bin und wieder richtiges Internet habe, will ich in den Fangruppen nachsehen, was es Neues von Manchester United gibt. Das ist mir wirklich wichtig. Dann werde ich die Pflanzen in unserem Haus gießen und versuchen, unseren Laden wieder in Gang zu bekommen. Wir hatten die ganze Zeit geöffnet, für Leute, die dringend etwas brauchen, aber mit verkürzten Öffnungszeiten bis mittags.
Noch ist es zu früh, um mit Gewissheit zu sagen, ob sich das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Regime durch den Krieg verschlechtert, verbessert oder entspannt hat. Ich gehe nicht davon aus, dass es im Vergleich zu vor dem Krieg einen drastischen Wandel geben wird. Die Grundeinstellung der Leute hat sich nicht verändert. Wer gegen das Regime war, ist es auch weiterhin. Wer es unterstützt, tut es auch weiterhin.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Aber man merkt, dass die Leute, ganz unabhängig von ihren politischen Überzeugungen, Ruhe suchen. Sie wollen die Kriegsstimmung hinter sich lassen. Was die Staatsmedien uns jetzt erzählen, war vorhersehbar. Sie reklamieren immer den Sieg für Iran und behaupten, nichts Bedeutendes sei passiert. Aber die Leute in meinem Umfeld sagen etwas anderes. Sie haben erwartet, dass die iranische Luftabwehr in der Lage ist, Angriffe abzufangen und zurückzuschlagen.
Aber in der Praxis war die Reaktion schwach. In Teheran haben die Leute erlebt, dass über ihren Köpfen israelische Kampfflugzeuge flogen, ohne abgeschossen zu werden. Das hat sie überrascht. Auf der anderen Seite waren sie beeindruckt, dass Iran mit seinen Raketen so viele Ziele in Israel treffen konnte. Manche glauben sogar, das sei der Grund, warum Israel sich auf einen Waffenstillstand eingelassen hat.
Einige Leute hatten die Hoffnung, dass dieser Konflikt zu einem Regimewechsel führen könnte. Als das nicht passiert ist, waren sie enttäuscht oder sogar deprimiert. Diese Erwartungen hatten mit einer realistischen Analyse ohnehin nichts zu tun. Aber ich glaube, dass die Führung an einen Punkt kommen wird, an dem sie erkennt, dass die alten Strategien nicht mehr funktionieren und dass Veränderungen unausweichlich sind.
Ich glaube, die Gruppe um Präsident Massud Peseschkian wird stärker werden. Sie werden versuchen, mit der Welt ins Gespräch zu kommen und die internationalen Spannungen abzubauen. Wenn man sich zum Beispiel die Entschuldigung an Qatar nach dem Raketenangriff auf den amerikanischen Stützpunkt ansieht, sieht man, dass der Wandel vielleicht schon im Gange ist. So etwas haben wir noch nie gesehen: Iran entschuldigt sich offiziell bei einem arabischen Land!

Ich erwarte auch, dass die sozialen Kontrollen gegenüber jungen Leuten, vor allem Frauen, gelockert werden. Denn diese Dinge haben das Land viel gekostet, und sie wollen die Kosten reduzieren. Ich denke, die Gruppe, die man Reformer nennt, wird in der Gesellschaft aktiver werden. Iraner sind ein Volk, das Veränderungen ohne Gewalt und mit möglichst geringen Kosten will. Das haben sie über viele Jahre durch ihre Wahlbeteiligung gezeigt. Nur die jüngsten Parlaments- und Präsidentenwahlen haben sie boykottiert, weil sie sich nicht vertreten fühlten. Wenn das Lager der Reformer lauter wird, könnten sich die Leute ihnen wieder zuwenden.
Der Oberste Führer ist über 80, es könnte also sein, dass er bald stirbt. Ich sehe derzeit niemanden mit genügend Autorität, der ihn ersetzen könnte. Vielleicht wird es eine kollektive Führung, eine Art Rat geben. Ich hoffe, dass jemand wie Peseschkian Teil davon wäre und der Einfluss der Kriegstreiber schwinden würde. Sie sind zwar laut, aber repräsentieren nur eine kleine Minderheit.
Die meisten Leute wollen Stabilität, normale Beziehungen mit der Welt und dass die Wirtschaft sich verbessert. Nach Khameneis Tod wird sich das Land in diese Richtung bewegen – in Richtung einer rationalen Außenpolitik, ohne kriegerische Rhetorik.

Das Atomprogramm hat uns nichts gebracht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Kosten höher sind als der Nutzen. Jetzt haben wir Milliarden investiert, ohne wirklich etwas erreicht zu haben. Es hat dem rechten Lager in Amerika und Israel einen Vorwand gegen uns geboten und dazu geführt, dass internationale Allianzen gegen uns geschmiedet und Sanktionen verhängt wurden. Unzählige Probleme wurden durch etwas geschaffen, das wir gar nicht brauchen. Wenn es wirklich um Medizintechnik ginge, hätten wir das angereicherte Uran auch importieren können.
Ein Manager, 53, in Teheran
Für mich hat sich durch den Krieg nicht viel verändert, weil ich ein sorgloser Mensch bin. Für das iranische Volk hat sich aber viel geändert. Nach 30 Jahren wurden die Menschen erstmals wieder an den Krieg erinnert. Die Angst, dass jederzeit Krieg ausbrechen kann, ist wieder da. Die Menschen trauen dem Waffenstillstand nicht. Es muss erst ein Monat vergehen, bis die Normalität zurückkehrt.
Krieg hat viele Auswirkungen. Er macht die Menschen konservativ. Sie fangen an, Vorräte anzulegen und Dinge zu sammeln. Sie bringen ihr Leben in Ordnung. Die verschiedenen Generationen gehen unterschiedlich damit um. Menschen in meinem Alter haben in diesem System praktisch ihr Leben verloren und wollen jetzt nur noch Frieden. Meine Generation akzeptiert, dass die Islamische Republik bestehen bleibt, wenn es eben so ist, aber wir erwarten wirkliche Reformen. Es muss soziale Sicherheit geben.
Die Generation Z will, dass die Islamische Republik verschwindet. Aber wenn diese Generation ernsthafte Reformen spürt und sieht, dass dieses System mit der Welt zusammenarbeitet, könnte sie auch anfangen, an die Vision der Systemreformer zu glauben.

Wir brauchen vor allem Wirtschaftsreformen. Die Monopolstellung der Revolutionsgarde muss enden. Sie müssen vor allem die Förderung und den Verkauf von Öl an die Regierung übertragen, damit die Sanktionen aufgehoben werden können. Die Dinge bewegen sich in diese Richtung. Immerhin hat die Revolutionsgarde in den vergangenen zwölf Tagen fast hundert ihrer Kommandeure verloren. Wenn das Geld für die Ölverkäufe an die Regierung geht, verliert die Revolutionsgarde ihre finanzielle Macht und ist gezwungen, mit der Politik zu kooperieren. Das könnte indirekt zu politischen Veränderungen führen. Das System muss Monarchisten und Reformern erlauben, an den Wahlen teilzunehmen.
Das Atomprogramm hat nichts mit Nationalstolz zu tun. Es ist Khameneis persönlicher Stolz. Hätten sie die gleiche Summe für ein Raketenabwehrsystem ausgegeben, wären uns diese Dinge nicht passiert. Sie hätten ein leistungsfähigeres Raketenarsenal aufbauen können. Sie haben mehr als eine Milliarde Dollar für das Atomprogramm bezahlt.
Im Grunde haben wir das Geld weggeworfen. Wir wissen, dass die militärische Stärke der Islamischen Republik nur in ihren Raketen liegt. Wir haben seit 40 Jahren kein Flugzeug mehr gekauft, nicht einmal zivile und schon gar keine Kampfflugzeuge. Wir hatten nur das Luftabwehrsystem S-300, das uns Russland gegeben hat.
Der frühere Geheimdienstchef Ali Younesi hat schon vor vier Jahren gesagt, dass der Mossad die Islamische Republik unterwandert hat und die Führer um ihr Leben fürchten müssten. Wenn ich mich nicht irre, gibt es in Iran 13 oder 15 Geheimdienste. Sie arbeiten nebeneinander her. Zum Beispiel kann der Geheimdienst der Revolutionsgarde Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums festnehmen. Sie denken und handeln ideologisch. Sie behaupten zum Beispiel, eine bestimmte Frau habe ihr Kopftuch abgelegt oder jemand habe etwas getwittert. Die Revolutionsgarde fürchtet innere Gefahren, weil sie weiß, dass sie im Land keine Unterstützer hat.

Die Menschen haben verstanden, dass die Islamische Republik nachrichtendienstlich sehr schwach ist. Aber sie haben Angst vor der Repression. Der wichtigste Grund, warum es in Iran so viele Spione gibt, ist die Korruption. Das Militär hat sich an den Geschmack des Geldes gewöhnt. Ich bin überzeugt, dass 90 Prozent der israelischen Drohnen von der Revolutionsgarde selbst gegen Geld ins Land geschmuggelt wurden.
Nur 15 Prozent der iranischen Bevölkerung sind für die Islamische Republik, der Rest ist dagegen. Das sieht man an den Wahlen. Etwa 50 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. Bei der letzten Wahl haben 25 Millionen Menschen gar nicht gewählt. 30 Prozent der Wähler sind Leute wie ich, die für Präsident Peseschkian gestimmt haben, obwohl sie gegen das System sind, nur um den Gegenkandidaten der Hardliner zu verhindern.
Nazanin Matinnia, Journalistin in Teheran
Zwölf Tage Stress und Angst während des Krieges haben psychische und emotionale Traumata hinterlassen. Eines Krieges, von dem sie sagten, die Menschen seien nicht das Ziel, was sie dann aber doch waren. Die Straßen von Teheran sind noch immer leerer als sonst. Die Stadt, die normalerweise voller Verkehr und Bewegung ist, ist merkwürdig still.
Die Menschen wollen glauben, dass der Waffenstillstand tatsächlich das Ende des Krieges markiert. Aber die sporadischen Geräusche von Luftabwehr, widersprüchliche Nachrichten und neue Drohungen aus Israel machen es ihnen schwer, zur Normalität zurückzukehren. Viele Menschen bleiben in den sicheren Städten außerhalb Teherans. Die Geschichten und Posts auf Instagram handeln noch immer vom Krieg, von Schmerz und Leid.
Ein mit mir befreundeter Sportler hat am Morgen nach dem Waffenstillstand auf Instagram geschrieben, dass er in der Nähe seines Tennisplatzes Teile einer Bombe gefunden hat. Seine Überschrift: „Eine Erinnerung an zwölf harte Tage“. Eine Freundin postete ein Foto ihres Hauses und schrieb: „In dem Moment, als ich die größte Angst meines Lebens hatte, wurde mir klar, wie sehr ich mein Zuhause und mein Leben liebe, und dass ich weder sterben noch mein Land verlieren will.“

Meine Journalistenfreunde veröffentlichen Berichte über normale unschuldige Menschen, die im Krieg getötet wurden. Eine große Teheraner Zeitung brachte Fotos von 120 getöteten Zivilisten auf die Titelseite. In einer anderen Zeitung lief die Geschichte einer Frau, die am Tag des Angriffs auf das Evin-Gefängnis Formalitäten für die Freilassung ihres Mannes erledigen wollte, und deren Leichnam später gefunden wurde.
Ein Autor postete ein Foto seiner Ex-Frau auf Instagram und berichtete, die Mutter seiner Kinder habe das Haus für einen kurzen Spaziergang verlassen und sei nie wieder nach Hause gekommen. Es gibt viele Geschichten wie diese, viele Familien trauern um ihre Liebsten. Mein Journalistenkollege verlor seinen Bruder, dessen Frau und Tochter bei einem Angriff. Die Leiche seines Bruders wurde erst Tage nach dem Vorfall gefunden.
Es sind die gleichen Leute, die jahrelang versucht haben, durch Bürgerrechtsbewegungen den Weg für Reformen und Entwicklung zu ebnen. Schon vor dem Krieg standen sie wegen der Sanktionen unter großem wirtschaftlichen Druck. Durch den Krieg ist alles noch Schlimmer geworden. Viele Geschäfte mussten in diesen zwölf Tagen schließen und haben Verluste erlitten. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen und die Ungewissheit über die Zukunft hat zugenommen.
Die Schäden, die durch die Angriffe entstanden sind, müssen repariert werden. Die wirtschaftliche Lage ist die Hauptsorge der Menschen. Aber es gibt noch andere Probleme. Eine Freundin von mir wurde wenige Tage vor dem Angriff operiert, um die erste Phase der Behandlung gegen Eierstockkrebs zu durchlaufen. Sie wartet nun auf die Laborergebnisse, um die Chemotherapie zu beginnen. Doch das Krankenhaus wurde im Krieg beschädigt, und das Labor hat geschlossen. Nun macht sie sich neben dem Stress einer schweren Krankheit noch Sorgen um den Verlauf ihrer Behandlung.

Trotz aller Härten habe ich in diesen Tagen Menschen gesehen, die unabhängig von ihren politischen Überzeugungen solidarisch zusammengehalten haben. Menschen, die ein tiefes Verständnis für Leben und Heimat gezeigt haben und eine große Resilienz. Junge Leute, die in Teheran geblieben sind, haben älteren Menschen, die ans Haus gefesselt waren und keine Möglichkeit hatten, Teheran zu verlassen, ihre Hilfe angeboten.
Freunde mit Internetzugang haben während der Internetblockade jene, die außerhalb Irans leben, mit Informationen über ihre Familien versorgt. Leute in sicheren Gebieten im Norden haben jene unterstützt, die gefährliche Gebiete verlassen mussten. Ein Gefühl der Einheit hat die Menschen verbunden und das Konzept von Heimatland hat eine neue Bedeutung bekommen. In der Krise hat sich gezeigt, dass die meisten Iraner einfach nur ein sicheres und friedliches Leben wollen.
Die Rückkehr in ein normales Leben ist für viele wie die Erholung von einer schweren Krankheit. Aber das Leben wartet nicht. Drei Tage nach dem Waffenstillstand kämpfen sich die Leute zurück in die Normalität. Man sieht es in der Freude über die kleinen Versammlungen nach dem Schweigen der Waffen, an den Schlangen vor den wiedereröffneten Cafés und Restaurants, an Instagram-Posts über Hochzeiten und Verlobungen, an den üblichen Witzen, die im Internet zirkulieren, an den Sporttreibenden bei ihren täglichen Übungen und an den Solidaritätsbotschaften in den sozialen Netzwerken. Die Resilienz und Standhaftigkeit, die sich in den vergangenen Tagen gezeigt hat, wird in Erinnerung bleiben.