Parteitag der SPD: Vorwärts nimmer, rückwärts immer!

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Die Teilnehmer des Parteitags haben den Zustand der Sozialdemokratie sehr anschaulich beschrieben, indem sie nicht den Mut fanden, auf offener Bühne auch nur ein kritisches Wort gegenüber ihrem Parteivorsitzenden zu äußern – aber in geheimer, in diesem Fall feiger Wahl meinten, Lars Klingbeil demütigen zu können.

Was die Delegierten mit ihrem Verhalten erreichen wollten? Das weiß Klingbeil nicht, das wissen die Nein-Sager vermutlich nicht einmal selbst. Die 64,9 Prozent schwächen den Parteivorsitzenden und Vizekanzler, das steht fest. Dem Mann, der trotz des 16-Prozent-Ergebnisses vom Februar irrwitzig viele sozialdemokratische Inhalte in die Koalition mit der Union gerettet hat, wird von vielen eigenen Leuten misstraut.

Die Abstrafungsaktion ist gleichzeitig Ausdruck einer Rat- und Ideenlosigkeit der gesamten Partei. Matthias Miersch, der Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Klingbeil-Unterstützer, fasste den Zustand der SPD unfreiwillig in diesem Satz zusammen: „Zusammenhalt und Zukunft sind die grundlegenden Werte in diesem Land.“ Über den Satz kann man eine Weile nachdenken. Und ist dann trotzdem nicht schlauer.

Nur noch drittstärkste Kraft

Würde vielleicht ein Manifest der SPD guttun? Etwa eines, das nicht oberflächliche historische Ableitungen für die Realität im Jahr 2025 bereithält, sondern sich eben diese Realität anschaut? Stattdessen war das Bejubeln der alten Garde – Olaf Scholz, Saskia Esken, Hubertus Heil – der emotionale Höhepunkt des Parteitreffens. Vorwärts nimmer, rückwärts immer! Als die Figuren der Vergangenheit auf der Bühne beklatscht wurden, war im Hintergrund das Parteitagsmotto zu lesen: „Veränderung beginnt mit uns.“ Das grenzt schon an Fake News. Die Frage ist ja nicht die, ob es die deutsche Sozialdemokratie überhaupt noch braucht. Natürlich tut es das! Aber einfach nur zu existieren reicht in stürmischen Zeiten auch nicht.

Beispiel Sozialstaat und Mindestlohn. Lange wurde auf dem Parteitag darüber diskutiert, ob 14,60 Euro minimaler Stundenlohn für die SPD in Ordnung seien, wo man doch 15 Euro gefordert habe. Dass die Gewerkschaften als die Arbeitnehmervertreter schlechthin die 14,60 Euro für angemessen halten, spielte kaum eine Rolle. Ebenso wenig kümmert sich die „Arbeiterpartei“ um folgende Fragen: Was ist heute gute Arbeit? Welche Folgen hat der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für Arbeitnehmer, die einfachen Tätigkeiten nachgehen? Welche Wählergruppen will man wie ansprechen? Und wo bleibt die Erkenntnis, dass man als stärkste Regierungspartei ziemlich viel falsch gemacht haben muss, um aus der vorgezogenen Bundestagswahl als nur noch drittstärkste Kraft hervorzugehen.

Klingbeil, der in seiner Rede es zumindest wagte, aus der missglückten Vergangenheit neue Schlussfolgerungen für die Zukunft abzuleiten, wurde von den Delegierten abgestraft. Bärbel Bas flogen die Herzen dagegen zu, weil sie sich für kaum ein sozialdemokratisches Klischee zu schade war. Mit ihr werde es keinen sozialen Kahlschlag geben, versprach sie. Es wäre gut, wenn es mit ihr auch eine große Sozialstaatsreform gäbe.

Denn die SPD braucht beides: eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den Fragen, die ihr wichtig sind. Und gleichzeitig eine Politik, die sozialdemokratische Handschrift im Alltag erlebbar macht. Auch Klingbeil dürfte noch bemerken, dass sein Diktum von den Baggern, die nun endlich rollen müssten, alleine nicht ausreichen wird, um die SPD wieder über 20 Prozent zu bringen.

AfD-Verbot als Selbstvergewisserung

Eine der zentralen Fragen auf diesem Weg wird auch der Umgang mit der AfD sein. Die SPD will den Versuch eines Parteienverbots unternehmen. Ihr ist es ernst, weil sie von den Nationalsozialisten einst selbst verboten wurde. SPD-Politiker geben aber auch ganz ehrlich zu, dass das Verbot der eigenen Selbstvergewisserung dient. Auch hier nimmt die SPD die intellektuelle Abkürzung und drückt sich vor politischen Antworten. Eine Auseinandersetzung mit dem veränderten Zeitgeist findet nicht statt. Dabei hat die SPD 1,7 Millionen Wählerstimmen an die Union verloren und 700.000 an die AfD. Nicht nur von rechts gerät die SPD unter Druck, sondern auch von links. Die Linkspartei wird die Verteilungsfrage immer radikaler stellen können als eine Volkspartei.

All diesen Fragen muss Parteichef Klingbeil sich nun stellen. Er hat die brutale Kurzschlusshaftigkeit der Parteifreunde am eigenen Leib erfahren. Aber: Gewählt ist gewählt. Seine Kritiker bis Gegner haben mit ihrem Protest keine politischen Forderungen verbunden – das macht es Klingbeil leichter, auf seinem richtigerweise eingeschlagenen Kurs zu bleiben. Es wird sich nun zeigen müssen, ob er weiterhin genug Autorität hat, die Kompromisse mit der Union in seiner Fraktion und seiner Partei durchzusetzen.