Die Europäische Kommission rückt von ihrem bisherigen Klimakurs ab. Sie will das EU-Klimaziel für 2040 von bisher 90 Prozent aufweichen. Das geht aus einem Entwurf für das Klimagesetz zum 2040er-Ziel hervor, das Klimakommissar Wopke Hoekstra am Mittwoch vorstellen will. Der Entwurf liegt der F.A.Z. vor. Die Kommission hält darin zwar an dem Anfang 2024 ausgerufenen Ziel von 90 Prozent verglichen mit 1990 fest. Sie will den EU-Staaten von 2036 an aber erlauben, sich bis zu drei Prozent CO2-Einsparungen durch Gutschriften für hochqualifizierte, von den Vereinten Nationen zertifizierte Projekte in Drittstaaten anrechnen zu lassen.
Die Kommission reagiert damit auf den wachsenden Widerstand unter den Mitgliedstaaten gegen zu ehrgeizige Ziele. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte das Ziel für 2040 noch am vergangenen Donnerstag auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs thematisiert. Unterstützt vom polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, wollte er durchsetzen, dass der Vorschlag ganz verschoben wird. Damit konnte er sich zwar nicht durchsetzen. In der folgenden Debatte habe sich aber gezeigt, dass nur eine kleine Zahl an Staaten ein striktes Klimaziel unterstütze, hieß es anschließend. Nur drei hätten sich ausdrücklich dafür ausgesprochen.
Vorschlag der Kommission entspricht weitgehend deutscher Linie
Auch Deutschland spricht sich für ein flexibles Ziel aus. Union und SPD vereinbarten, dass Berlin kein Ziel unterstützt, das dem Land mehr abverlangt als das deutsche Zwischenziel für 2040. Dieses beträgt 88 Prozent. Die Koalition hat zudem gefordert, dass Deutschland sich den CO2-Abbau durch „hochqualifizierte, zertifizierte und permanente Projekte“ von bis zu drei Prozentpunkten in außereuropäischen Partnerländern anrechnen lassen kann. Der Kommissionsvorschlag liegt also weitgehend auf der deutschen Linie. Er könnte sich bis Mittwoch noch ändern. Das sei aber unwahrscheinlich, heißt es in Brüssel.
Ob der Vorschlag ausreicht, um die Gegner strikter Ziele zufriedenzustellen, ist unklar. Das Klimagesetz muss aber noch von Europaparlament und Ministerrat beraten und angenommen werden. In diesem Verfahren könnten die EU-Institutionen noch weitere Änderungen vereinbaren, um den Staaten noch mehr Flexibilität im Erreichen des 2040er-Ziels zu verschaffen.
Die Anrechnung von Gutschriften für Projekte aus Drittstaaten ist umstritten. Immer wieder ist es zu Betrugsfällen und zur Mehrfachanrechnung von Projekten gekommen. Die EU hatte die Anrechnung solcher Projekte deshalb vor Jahren abgeschafft. In der letzten internationalen Klimakonferenz in Baku vereinbarten die Staaten aber die Einführung eines neuen Mechanismus, um verlässliche internationale Gutschriften zu ermöglichen. Auf diesen „Artikel-sechs-Gutschriften“ baut die Kommission nun auf. Als „Rechentricks, Luftbuchungen und Ablasshandel“ bezeichnete der EU-Abgeordnete Michael Bloss (Grüne) die Pläne. Bernd Weber von der Denkfabrik Epico sprach indes von einem pragmatischen und ökonomisch sinnvollen Ansatz. Der Teufel stecke aber im Detail.