Mancher mag es etwa respektlos finden, die Altkanzlerin mit einem Murmeltier zu vergleichen. Aber die zwar nicht täglichen, sich aber doch wiederholenden Äußerungen der politischen Ruheständlerin Angela Merkel zur Migrationspolitik ihres Nachnachfolgers im Kanzleramt, Friedrich Merz, erinnern doch an den Film aus dem Jahr 1993, in dem ein solch possierliches, zur Familie der Hörnchen gehörendes Nagetier täglich grüßt.
Dieses Mal saß Merkel mit einer Gruppe von fünf Geflüchteten in einem syrischen Restaurant in Berlin beisammen und diskutierte über Asylpolitik. Organisiert hatte das der WDR zur Vorbereitung eines Beitrags, der an Merkels Entscheidung vor fast zehn Jahren erinnert, als die damalige Kanzlerin sich Anfang September entschied, eine große Zahl Asylsuchender nicht in das Land zurückzuschicken, in dem sie zuerst den Boden der Europäischen Union betreten hatten, sondern nach Deutschland zu lassen. Jetzt, ein Jahrzehnt später, sagte sie: „Wenn jemand an der deutschen Grenze ,Asyl’ sagt, dann muss er erstmal ein Verfahren bekommen – meinetwegen direkt an der Grenze, aber ein Verfahren.“
Das war erstens eine Bekräftigung ihres Kurses von damals und zweitens Kritik am Vorgehen ihres CDU-Parteifreundes Merz und dessen zur CSU gehörendem Innenminister Alexander Dobrindt. Die bemühen sich schließlich seit Tag eins der Merzschen Kanzlerschaft um die Einlösung eines ihrer wesentlichen Wahlversprechen, das die Zurückweisung von Personen, die außer dem Asylbegehren nichts vorweisen können, was ihnen die Einreise nach Deutschland erlauben würde, beinhaltet. Sie sollen eben nicht in Deutschland oder an dessen Grenze ein Asylverfahren bekommen.
Eine freundliche Rechtsbelehrung des Kanzleramtschefs
Die Bundesregierung reagierte gelassen auf die Äußerungen von Merkel, die sich seit der Veröffentlichung ihrer Memoiren Ende vorigen Jahres gelegentlich zu den Migrationsplänen von Merz äußert. Dessen Kanzleramtschef Thorsten Frei ließ Merkel am Montag im ZDF eine freundliche Rechtsbelehrung zuteil werden. Im Artikel 16a des Grundgesetzes, auch im Paragrafen 18 des Asylgesetzes stehe etwas anderes. „Wenn jemand irgendwo in Europa bereits Asyl bekommen hat, wenn jemand durch sichere Länder in Europa zu uns gekommen ist, dann haben wir es natürlich mit niemandem zu tun, der auf der Flucht ist, sondern dann haben wir es mit Menschen zu tun, die aus sicheren Ländern kommen.“
Regierungssprecher Stefan Kornelius sagte am Montag, er habe mit Bundeskanzler Merz nicht über Merkels Einlassungen gesprochen, „aber ich glaube, dass die Äußerung der Altkanzlerin, was Integration betrifft, auf breite Zustimmung stößt“. Damit könnte er auf die Bemerkung Merkels gezielt haben, es werde zu oft „über Menschen gesprochen, die zu uns kamen, aber vielleicht nicht oft genug mit Menschen, die zu uns kamen“. Das wirkte wie ein Ausweichmanöver von Kornelius, weil es den Kern des Streits zwischen Merkel und Merz umging.
Auf den wiederum hatte der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts am Wochenende gezielt. Andreas Korbmacher hatte mit Hinweis auf eine Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts von Anfang Juni, als die Zurückweisung dreier Somalier als rechtswidrig bezeichnet worden war, gesagt, wenn es zu weiteren Entscheidungen dieser Art kommen sollte, würden Kanzler und Innenminister sicherlich überlegen müssen, inwieweit sie ihre Auffassung noch aufrechterhalten könnten. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte dazu am Montag lediglich, an der Einschätzung des Hauses habe sich nichts geändert.