Oberster Gerichtshof lässt Bayer zappeln

9

Eine von Bayer ersehnte Grundsatzentscheidung über Rechtsstreitigkeiten um sein Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat wird noch auf sich warten lassen. Der Oberste Gerichtshof in Washington hat jetzt entschieden, einen Glyphosat-Fall nicht direkt anzunehmen. Stattdessen hat er einen sogenannten Solicitor General, eine Art Generalstaatsanwalt im US-Justizministerium, um eine Stellungnahme gebeten, auf deren Basis er dann seine Entscheidung treffen will. Somit bleibt also vorerst die für Bayer enorm wichtige Frage offen, ob der Supreme Court sich mit Glyphosat beschäftigen will.

Für den Konzern ist es schon der zweite Anlauf. 2022 versuchte er erstmals erfolglos, einen Glyphosat-Fall zum Obersten Gerichtshof zu bringen. Auch damals gingen die Richter zunächst einmal den Weg über den Solicitor General. Die damalige Inhaberin dieses Amtes empfahl aber, den Fall abzulehnen, und diesem Rat folgte der Oberste Gerichtshof auch.

Bayer-Vorstandschef: Entscheidung von Supreme Court ist „ermutigender Schritt“

Bayer sieht sich diesmal aber in einer besseren Ausgangsposition. Anders als damals gibt es heute Urteile von Bundesberufungsgerichten, die sich widersprechen. Der Konzern argumentiert deshalb, dass nur der Supreme Court für Klarheit sorgen könne. Aus dem Bayer-Umfeld ist zudem zu hören, dass das Unternehmen auch deshalb optimistischer sei, weil im Gegensatz zu damals die Regierung heute von der Republikanischen Partei kontrolliert wird und Landwirte zu deren Kernwählerschaft zählen. Landwirte sehen Glyphosat als wichtiges und effektives Mittel, um Unkraut auf ihren Feldern kontrollieren zu können.

Der Konzern wertete die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs positiv, Vorstandschef Bill Anderson sprach von einem „ermutigenden Schritt“. Auch der Analyst Thomas Claps von der Beratungsgesellschaft Gordon Haskett beschrieb die Entwicklung als gute Nachricht für Bayer. Er sagte, nach seiner Auffassung sei damit die Wahrscheinlichkeit, dass der Oberste Gerichtshof den Fall annimmt, von 40 auf 55 Prozent gestiegen. Die Börse zeigte sich skeptischer. Der Aktienkurs von Bayer verlor nach der Entscheidung weiter an Wert, im späten Handel notierte er knapp fünf Prozent im Minus.

Mehr als 180.000 Glyphosat-Klagen eingereicht

Die Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat hat sich Bayer in seiner Agrarsparte mit der Übernahme des amerikanischen Wettbewerbers Monsanto eingekauft, die 2016 angekündigt und 2018 vollzogen wurde. Bayer zahlte rund 66 Milliarden Dollar für die Akquisition. Schon bald nach der Übernahme erlitt der Konzern schwere Niederlagen in Rechtsstreitigkeiten mit Klägern, die Monsantos Glyphosat-Herbizide mit Markennamen wie „Roundup“ für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machten. Bayer wurde zu hohen Schadenersatzzahlungen verurteilt. Diese Urteile lockten eine ganze Welle zusätzlicher Kläger an. Bis heute wurden mehr als 180.000 Klagen eingereicht.

Obwohl das Unternehmen die Position vertritt, dass Glyphosat nicht gesundheitsschädlich ist, hat es Vergleiche geschlossen und dafür schon mehr als zehn Milliarden Euro ausgegeben. Rund 114.000 Klagen sind aus der Welt geschafft worden. Damit verbleiben aber noch immer Zehntausende von Klagen, die ein immenses Rechtsrisiko für den Konzern darstellen. Die Glyphosat-Klagen sind ein wesentlicher Grund dafür, warum sich die Bayer-Aktie in den vergangenen Jahren so schlecht entwickelt hat. Bayer wird derzeit an der Börse nur mit etwas mehr als 25 Milliarden Euro bewertet. Das liegt weit unter dem Kaufpreis von Monsanto.

Bayer beruft sich auf Vorrang des Bundesrechts

In den Rechtsstreitigkeiten hat sich nach einer anfänglichen Serie von Niederlagen das Blatt zumindest ein Stück weit zugunsten von Bayer gewendet. Von insgesamt 25 Verfahren hat das Unternehmen 17 gewonnen.

Viele der Kläger haben argumentiert, Bayer hätte vor den gesundheitlichen Gefahren von Glyphosat warnen müssen. Der Konzern hält dem entgegen, dass die US-Umweltbehörde EPA – ebenso wie viele andere Regulierer auf der Welt – Glyphosat als gesundheitlich unbedenklich und nicht krebserregend eingestuft hat. Bayer sieht diese Rechtsstreitigkeiten nicht zuletzt deshalb als Fall für den Supreme Court, weil es hier um die grundsätzliche Frage des Vorrangs von Bundesrecht gehe, in diesem Fall der Einschätzung der Bundesbehörde EPA. Konzernchef Anderson sagte jetzt: „Wenn Gerichte es zulassen, dass Unternehmen auf Basis des Rechts einzelner Bundesstaaten dafür bestraft werden, dass sie sich an Bundesrecht halten, werden Unternehmen wie wir zum bevorzugten Ziel der Klageindustrie.“ Diese Klageindustrie gebe „hunderte von Millionen Dollar aus“, um gegen den Konzern vorzugehen.

Bayer hofft darauf, dass der Oberste Gerichtshof den verbleibenden Klagen weitgehend die Grundlage entzieht. Analyst Claps rechnet damit, dass sich der Solicitor General vier bis fünf Monate Zeit mit seiner Empfehlung nehmen wird. Eine Entscheidung, ob der Oberste Gerichtshof den Fall annehmen wird, werde es dann wohl nicht vor Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres geben. Sollten die Richter sich aber mit dem Fall beschäftigen, sieht Claps eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent, dass sie sich zugunsten von Bayer entscheiden werden.

In dem konkreten Fall, der vor dem Obersten Gerichtshof landen könnte, geht es um einen krebskranken Kläger, dem von einem Gericht im US-Bundesstaat 1,25 Millionen Dollar zugesprochen bekam. Die Geschworenen befanden, das Unternehmen hätte vor einem Krebsrisiko warnen müssen. Bayer scheiterte im Februar dieses Jahres mit einem Berufungsverfahren und entschied schließlich, den Obersten Gerichtshof in Washington anzurufen.

In seiner Mitteilung vom Montag schrieb der Konzern, er hoffe weiterhin darauf, die Rechtsstreitigkeiten bis Ende 2026 „signifikant einzudämmen“. Er verwies dabei auf seine „mehrgleisige Strategie“. Dazu gehöre es auch, „den Vertrieb von glyphosatbasierten Produkten in den USA einzuschränken oder ganz einzustellen“.