Wie sich die Grenzkontrollen auf die Bahn auswirken

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Für verspätete Züge gibt es viele Gründe: Bauarbeiten, Si­gnal­störung, Personalausfall. Seit knapp zwei Monaten lautet die Begründung immer öfter auch: „Pass- und Zollkontrolle“. Matthias Gastel kennt das Problem. Er sitzt für die Grünen im Verkehrsausschuss und ist Obmann für Bahnpolitik. „Wir bekommen immer wieder Klagen von Reisenden zu hören“, sagt er. „Objektive Daten“ zu den Verspätungen liegen ihm aber nicht vor. „Die Bundesregierung ist sehr sparsam damit, Da­ten und Statis­tiken zu den Folgen ihrer Grenzkontrollen zu veröffentlichen.“ Gastel will darum eine parlamentarische Anfrage stellen und sich selbst an der deutsch-französischen Grenze ansehen, welche Auswirkungen die seit dem 8. Mai geltenden, strikteren Einreisekontrollen haben.

Auch auf Anfrage der F.A.Z. konnten weder das Bundesinnenministerium noch die Deutsche Bahn genaue Angaben zum Ausmaß der Verzögerungen machen. Dem Innenministerium liegen nach eigenen Angaben keine Erhebungen zu den Folgen der Kontrollen vor. Die Bahn verweist auf die Pressestelle des Bundespolizeipräsidiums, und auch die lässt wissen, dass Zahlen dazu nicht vorliegen.

Gastel wirft Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vor, die „zusätzlichen Verspätungen billigend für ih­ren Aktionismus“ in Kauf zu nehmen. Die bisher bekannten Zurückweisungen an den Grenzen rechtfertigen aus seiner Sicht den personellen und finanziellen Aufwand nicht. Das Problem der Verzögerungen sei „ganz real“.

Kontrollbeginn in Nachbarländern nicht erlaubt

Im „DB Navigator“ werden sie angekündigt: Wer eine grenzüberquerende Bahn wie den TGV 9561 von Paris nach Frankfurt am Main auswählt, sieht nicht nur einen Hinweis auf die geplanten Passkontrollen. Auch die dafür veranschlagte Verspätungsdauer weist das Reiseportal aus. Der TGV hält für die Kontrollen unweit hinter der französisch-deutschen Grenze, im baden-württem­bergischen Kehl am Rhein.

Dort steigen die für die Identitätsprüfungen zuständigen Beamten der Bundespolizei zu. Reisende ver­lieren hier der App zufolge etwa eine Viertelstunde. Beim „Berlin-Warszawa-Express“, der für den Einstieg der Grenzbeamten in Frankfurt (Oder) stoppt, sind es regelmäßig bis zu zehn Minuten. Bei Dutzenden grenzüberschreitenden Zugverbindungen im ganzen Land treffen die kontrollbedingten Verzögerungen täglich Tausende Bahnfahrer, darunter viele Pendler.

Laut dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, kon­trollieren Bundespolizisten Züge auf zwei Weisen. Bei Regionalbahnen stiegen Be­amte an regulären Haltestellen zu. Die Überprüfung der Fahrgäste geschehe bei „rollendem Betrieb“. Wenn die Kontrollen so vonstattengingen, verzögere sich die Fahrt für Reisende und Pendler „meist nicht besonders“, sagt Teggatz. Für die Beamten gehe es im Anschluss mit einem Zug in entgegengesetzter Fahrtrichtung oder einem Polizeiwagen wieder zurück. Dann begännen sie von vorn.

Bei Fernzügen ist das Teggatz zufolge anders. Die Haltestellen sind in der Regel weiter voneinander entfernt. Die Nachbarländer erlaubten es den Bundesbeamten nicht, „bereits weit auf deren Hoheitsgebiet mit der Kontrolle zu beginnen“, sagt er. Es bleibe „nichts anderes übrig“, als die Züge möglichst rasch nach dem Grenzübertritt zwischenzuparken, damit die Bundespolizisten zusteigen könnten. Das koste zwangsläufig mehr Zeit. Die Deutsche Bahn teilt mit, mittlerweile würden sowohl im Regional- als auch Fernverkehr „die allermeisten Kon­trollen“ bei rollender Fahrt vollzogen, selten „stationär“. Und dennoch: Letztlich entscheide immer die Bundespolizei darüber, wie im Einzelnen kontrolliert werde.

60 Prozent der Züge wegen Grenzsicherung verspätet

Im täglichen Bahnverkehr reicht allerdings ein um wenige Minuten verzögerter Zug aus, damit Reisende den nächsten verpassen. Einem Sprecher des baden-württembergischen Verkehrsministeri­ums zufolge nehmen Anschlusszüge auch auf Verspätungen durch Passkontrollen regelmäßig keine Rücksicht. Die Verzögerungen würden sich sonst „im Netz fortpflanzen“.

Obwohl Zahlen zu den Verspätungen schwer zu bekommen sind, gibt es welche für den Grenzbahnhof Kehl – wo auch der TGV 9561 aus Paris zeitweilig hält. Dort hat das Landesverkehrsministerium seit Inkrafttreten der Grenzkontrollen bis zum 20. Juni die Verspätungen dokumentiert. 60 Prozent davon seien den Einreisekontrollen zuzurechnen; die Verspätungsdauer betrage im Durchschnitt fünfeinhalb Minuten und höchstens fünf­zehn. Bahnausfälle aufgrund der Grenz­kon­trol­len seien nicht festgestellt wor­den. Eine absolute Zahl aller verspäteten Züge nennt das Ministerium nicht.

Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag weiß um die Folgen der Kontrollen für den Bahnverkehr. „Natürlich bringen solche Maßnahmen Unannehmlichkeiten für Reisende und Pendler mit sich“, sagt Björn Simon (CDU). Andererseits seien Überprüfungen auch im Zugverkehr „ein unverzichtbares Instrument, um illegale Migration wirksam einzudämmen“. Die Menschen erwarteten zu Recht, dass der Staat „bei illegalen Einreisen nicht wegschaut“.

Genau das ist die Botschaft, die Dobrindt aussenden wollte, als er gleich nach seinem Amtsantritt im Sinne der von Merz versprochenen „Migrationswende“ verstärkte Kontrollen für den Zugverkehr anordnete. Wann diese enden, ist bislang offen. Das Bundesinnenministerium teilt jedoch mit, Dobrindt habe „wiederholt klargemacht“, dass die verschärfte Grenzsicherung zur Bekämpfung der ungeregelten Zuwanderung nur „vorläufigen Charakter“ habe.