Wie Deutschland Einfluss nimmt im Fall Boualem Sansal

11

In Frankreich überwiegt nach dem Berufungsurteil gegen den Schriftsteller Boualem Sansal in Algerien die Hoffnung auf eine Begnadigung und schnelle Freilassung. „Ich hoffe, dass die Affäre einen glücklichen Ausgang nimmt“, sagte Innenminister Bruno Retailleau dem Radiosender France Inter am Dienstag. Er wolle nicht mehr dazu sagen, um den weiteren Verlauf nicht zu belasten. Dem ausschließlich in französischer Sprache schreibenden Schriftsteller mit doppelter Staatsbürgerschaft wird vorgeworfen, die „nationale Einheit“ Algeriens verletzt zu haben.

Das Berufungsgericht in Algier hat am Dienstag die erstinstanzliche Haftstrafe über fünf Jahre sowie eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 3500 Euro gegen Sansal bestätigt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Berufungsverfahren ein deutlich erhöhtes Strafmaß von zehn Jahren Haft gefordert. Die relative Milde der Berufungsrichterin ist in Paris als Zeichen gewertet worden, dass der an Prostatakrebs erkrankte, 80 Jahre alte Intellektuelle am 5. Juli von Präsident Abdelmadjid Tebboune begnadigt werden könnte. Zum algerischen Nationalfeiertag spricht der Präsident regelmäßig Gnadenerlasse aus. Im vergangenen Jahr wurden schwer kranke Häftlinge über 65 Jahre begnadigt.

Der Fall Sansal vergiftet seit November 2024 das französisch-algerische Verhältnis. Ihm wurden Ausführungen im rechtslastigen Medienportal Fron­tières zu Last gelegt, wonach Algerien unter französischer Kolonialherrschaft Gebiete Marokkos einverleibt wurden. Für die Präsidentin seines Unterstützerkomitees in Frankreich, die ehemalige Verfassungsrichterin Noëlle Lenoir, waren diese Äußerungen nur ein Vorwand: „Kaum jemand hat sie vernommen, und wer interessiert sich schon für Grenzstreitigkeiten aus dem Jahr 1830?“ Lenoir sagte, es sei klar, dass Sansals Denken und seine Bücher dem Regime nicht passten. Auch sie formulierte im Gespräch mit der F.A.Z. die vorsichtige Hoffnung auf eine Begnadigung.

Deutschland könnte wichtige Rolle spielen

Sie wies auf die wichtige Rolle der deutschen Diplomatie hin, die diskret den Druck auf das algerische Regime erhöht habe. Deutschland sei ein wichtiger Handelspartner Algeriens, deshalb habe das Wort aus Berlin viel Gewicht. Die gute Absprache sei ein Beispiel funktionierender deutsch-französischer Kooperation. Bei seiner jüngsten Unterredung mit Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) stimmte sich Frankreichs Innenminister Retailleau auch über eine harmonisierte Visa-Vergabepolitik gegenüber Algerien ab. Enttäuscht äußerte sich Lenoir von der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas. Sie habe sich des Falles nicht bemächtigt, obwohl die EU mit dem Assoziierungsabkommen mit Algerien über einen wichtigen Hebel verfüge. Das Unterstützungskomitee hat bei der Ombudsfrau der EU Beschwerde gegen Kallas eingereicht, da diese nichts unternehme.

Frankreichs Innenminister Retailleau war vor dem Berufungsurteil als Hardliner aufgetreten und hatte mit der Aufkündigung aller vertraglich vereinbarten Privilegien gedroht, die Algerien genießt. Außenminister Jean-Noël Barrot versucht hingegen, über diskrete diplomatische Kanäle Einfluss zu nehmen. Barrot bat nicht nur Retailleau um Zurückhaltung. Er erwirkte, dass der rechtsnationale Abgeordnete Eric Ciotti, ein ehemaliger Parteifreund Retail­leaus, seinen Antrag auf eine Aufkündigung des algerisch-französischen Abkommens aus dem Jahr 1968 in der Nationalversammlung zurückzog. Er wolle die Freilassung Sansals nicht kompromittieren, sagte Ciotti.

Die Hoffnung auf eine Freilassung Sansals gründet auch auf der Tatsache, dass die algerische Führung anders als im erstinstanzlichen Verfahren Sansals Anwalt Pierre Cornut-Gentille ein Visum ausgestellt hat. Cornut-Gentille konnte am Montagnachmittag gut eine Stunde mit seinem Mandanten sprechen, wie Sansals Verleger Antoine Gallimard mitteilte. „Sein Anwalt rät Boualem Sansal, das Urteil zu akzeptieren, um auf eine Amnestie hoffen zu können“, sagte Gallimard. Sansals im ersten Prozess bestellter Anwalt François Zimeray hatte keine Einreiseerlaubnis erhalten. Sansal wurde von den Behörden in Algier geraten, einen nichtjüdischen Anwalt zu bestellen.

Derweilen hat die französische Diplomatie einen zweiten Fall zu bewältigen. Der französische Fußballjournalist Christophe Gleizes wurde am Sonntag in Algerien zu sieben Jahren Haft wegen „Verherrlichung von Terrorismus“ verurteilt. Der 36-jährige freiberufliche Reporter arbeitet für die Zeitschriften „So Foot“ und „Society“. Ihm wird zur Last gelegt, über einen kabylischen Fußballklub recherchiert zu haben. Seine Anwälte haben Berufung eingelegt.