Das Verbot der AfD scheint – allen Beteuerungen zum Trotz, es sei am besten, sie inhaltlich zu bekämpfen – zum Allheilmittel gegen den Rechtspopulismus erklärt zu werden. Kein anderes Land geht diesen Weg. Erklärt wird der deutsche Sonderweg damit, dass die Radikalisierung der AfD unaufhaltsam und ihre Attraktivität ungebrochen sei. Sie sei nunmehr gesichert rechtsextremistisch, wie der Verfassungsschutz festgestellt habe. Damit sei ein Punkt erreicht, so auch der Tenor auf dem SPD-Parteitag, an dem keine „taktischen Spielchen“ mehr erlaubt seien und die Glaubwürdigkeit der wehrhaften Demokratie auf die Probe gestellt werde.
Nicht nur im Falle der SPD ist diese Haltung allerdings kein Resultat von Stärke, sondern von Schwäche. Die SPD braucht das Verbotsverfahren, um sich daran aufrichten zu können. Ähnlich ist es bei den Grünen und der Linkspartei. Es spielt für sie deshalb auch keine große Rolle, ob ein Verbotsverfahren erfolgreich endet oder scheitert. Das Verfahren ist für sie die Fortsetzung der Brandmauer mit anderen Mitteln. Was gesichert rechtsextremistisch ist, soll keinen Platz haben in der deutschen Demokratie, nicht einmal in der Opposition, schon gar nicht als Teil einer Regierung.
Auch das Gutachten hat seine Schwächen
Für das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz, auf das sich dieses Urteil stützt, gilt aber dasselbe wie für die Befürwortung des Verbots. Es hat seine Schwächen. Die geringste ist noch, dass eine führungslose Behörde einer SPD-Ministerin in letzter Sekunde die Munition lieferte, die ihre Partei braucht, um jeden Versuch im Keim zu ersticken, die Brandmauer zur AfD abzutragen. Die größte Schwäche besteht darin, dass das Gutachten beim besten Willen nicht genug Munition liefern konnte. Für eine Beobachtung reicht es, für ein Verbot aber nicht, und man fragt sich, was eine Bund-Länder-Kommission, wie sie die SPD vorschlägt, über das hinaus sammeln sollte, was das Bundesamt auf mehr als tausend Seiten zusammengetragen hat.
Die eindeutige Verfassungsfeindlichkeit der AfD kann der Verfassungsschutz allein deren Volksbegriff entnehmen. Aus ihrem ethnischen Volksbegriff leitet sich eine Staatsangehörigkeit erster und zweiter Klasse ab, das ist gegen das Grundgesetz. Es gibt nicht „echte“ und „unechte“ Deutsche. Die Verfassungsschützer (wie ihre politischen Vorgesetzten) weichen indes der Frage aus, warum das Grundgesetz sehr wohl Volkszugehörigkeit auch ethnisch definiert. Eine Auseinandersetzung mit der AfD müsste damit anfangen und mit dem Hinweis, dass ethnische Vorstellungen nicht per sehr extremistisch sind, aber so enden, wenn sie nicht (wie das Grundgesetz) der Abrundung von Gleichheit und Gemeinschaft dienen, sondern der Diskriminierung.
Viele Belege für diskriminierenden Volksbegriff
Das aber tut die AfD. Das Bundesamt sammelte dafür zahlreiche Belege. Schwachpunkt ist aber die mangelhafte Trennschärfe: Ist es extremistisch, wenn alteingesessene Deutsche und solche mit Migrationshintergrund verglichen werden, was jeder, auch der Verfassungsschutz, tun muss, um die Wirklichkeit zu beschreiben? Wie weit dürfen da Polemik, Vorurteil und Pauschalisierung gehen? Vieles von dem, was das Bundesamt zusammengetragen hat, ist unerträglicher geistiger Müll, macht aber Halt vor dem Abgrund von Menschenrechtsverletzungen. Es lohnte sich auch hier, um dem Müll etwas entgegenzusetzen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie viel Heterogenität eine Gesellschaft verträgt, wie viel Homogenität sie braucht.
Für ein Verbot wären aber die anderen beiden Kriterien, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, mindestens ebenso wichtig. In beiden Fällen muss der Verfassungsschutz passen. Zwar tut die AfD alles, um das Vertrauen in Institutionen zu untergraben („Kartellparteien“, „DDR 2.0“, „Zensur“). Es bleibt also der Verdacht auf Extremismus, von „gesichert“ kann aber nicht die Rede sein. Dazu sind die Vorwürfe zu vage, und die Äußerungen, die gesammelt wurden, konzentrieren sich über viele Seiten auf einen einzigen Namen: Björn Höcke.
Geschriebenes und Gesprochenes in der AfD
Das Gutachten kann gut erklären, warum Geschriebenes im AfD-Kosmos nur die halbe Wahrheit ist. Gesprochenes offenbart die ganze Wahrheit. Dazu gehört, dass der AfD an Haupt und Gliedern die Bereitschaft fehlt, sich mit dem Vorwurf des Extremismus ernsthaft auseinanderzusetzen. Ein Verbotsverfahren wird daran kaum etwas ändern.
Ändern würde sich etwas anderes. Das Verfahren wäre mit einer Radikalisierung derer verbunden, die zur Rettung der Demokratie antreten, dafür aber ein autoritäres Gesicht zeigen müssen. Über die Voraussetzungen eines AfD-Verbots wird viel diskutiert, über die Folgen nicht. Geleerte Parlamente, Verhaftungen, Berufsverbote, Konfiszierungen – das soll der Demokratie guttun?
Mit Ach und Krach konnte der Verfassungsschutz einen gesicherten Rechtsextremismus feststellen. Ein deutscher Sonderweg, der daraus abgeleitet wird, schadet dieser Demokratie mehr, als dass er ihr hilft.