Frankreich ist Vorreiter beim Thema Hitzeschutz

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Frankreich hat vor mehr als zwanzig Jahren den ersten nationalen Hitzeschutzplan beschlossen. Die frühe Einsicht war einem traurigen Umstand geschuldet. Bei der bis dahin intensivsten und längsten Hitzewelle vom 2. bis 17. August 2003 starben annähernd 20.000 Menschen. 87 Prozent der Hitzeopfer waren über 70 Jahre alt, so die Statistik. Der Schock saß tief. Eine parlamentarische Untersuchungskommission legte das kollektive Versagen offen und schlug Verbesserungen vor. Die Maßnahmen zum Hitzeschutz konzentrierten sich auf die Risikogruppen älterer und kranker Menschen. Inzwischen sind die Kinder mehr in den Fokus gerückt. Es werden ebenso entschlossene bauliche Nachrüstungen an Kindergärten und Schulen wie an Altenheimen und Krankenhäusern gefordert.

2004 beschloss die Regierung unter Premierminister Jean-Pierre Raffarin, einen Feiertag zu streichen, um daraus einen sogenannten Solidaritätstag zu machen. Bis 2008 wurde am Pfingstmontag gearbeitet, um mit den Einnahmen Hitzeschutz- und Autonomiehilfen für ältere und behinderte Menschen zu finanzieren. Seither wurde die Regel gelockert, der Solidaritätstag kann auch an beliebigen anderen Feiertagen im Mai stattfinden. Französische Pflege- und Altenheime wurden besser isoliert, vielfach mit Sonnenschutz und Klimaanlagen nachgerüstet. Alle Einrichtungen müssen laut Gesetz mindestens einen klimatisierten Gemeinschaftsraum bereithalten.

Zudem sind Einrichtungen für alte oder behinderte Menschen seit 2004 gesetzlich verpflichtet, Hitze-Krisenpläne zu erstellen und einzuüben. Dazu zählt etwa die Möglichkeit, kurzfristig mehr Personal zu mobilisieren, um die Betreuung während Hitzewellen sicherzustellen. Alle Rathäuser sind verpflichtet, ein Verzeichnis alleinstehender Menschen über 65 Jahre anzulegen, die zu Hause leben, damit sie im Fall einer Hitzewelle Hilfe erhalten können. Frankreich hat nicht so strenge Datenschutzauflagen wie Deutschland. In den Départements, in denen derzeit die Alarmstufe Rot herrscht, darunter der Großraum Paris, sind Krisenzellen in den Rathäusern im Einsatz. Sie rufen die alleinstehenden Senioren an, erkundigen sich nach ihrem Befinden und bieten Hilfe an.

DSGVO Platzhalter

Paris wird begrünt und entschleunigt

Zum zentralen Hitzeschutzplan zählt auch ein festgelegtes Warnsystem in vier Stufen, das in enger Abstimmung mit dem nationalen Wetterdienst aktiviert wird. Bei der höchsten Alarmstufe Rot wird – wie derzeit – in den betroffenen Départements ein Krisenstab eingesetzt, der alle Akteure des Zivilschutzes, der Polizei sowie Vertreter der Gebietskörperschaften umfasst. Doch gibt es weiterhin Kritik an den Gesundheitsstrukturen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Notärzte, Marc Noizet, begrüßt zwar, dass es in Frankreich ein leistungsfähiges Überwachungssystem gebe. Aber der Mangel an Betten und Personal führe dazu, dass das Krankenhaussystem nicht in der Lage wäre, eine extreme Hitzewelle zu bewältigen, warnt Noizet. Auch der Vorsitzende der Vereinigung der Altenheimleiter, Pierre Roux, meint, dass die Verbesserungen der vergangenen zwei Jahrzehnte zwar unverzichtbar gewesen seien, es aber für echte Hitzekrisen an zusätzlichem Personal fehle.

Eine Vorreiterrolle im langfristigen Hitzeschutz nehmen die Kommunen ein. Städte wie Lyon, Bordeaux, Grenoble oder Straßburg haben in den vergangenen Jahren neue Grünflächen erschlossen und baumbestandene, schattige „Kühlinseln“ errichtet. Als exemplarisch gilt die Transformation der Hauptstadt Paris, die allerdings weiterhin auch scharf kritisiert wird. Die scheidende Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat seit 2014 die autogerechte Stadt entschlossen zurückgebaut. Ehemalige Parkplätze und Straßen wie etwa die frühere Uferschnellstraße an der Seine wurden begrünt und „entschleunigt“.

Das Ziel der Netto-Null-Versiegelung

Von den versprochenen 170.000 zusätzlichen Bäumen wurden nach Angaben des Rathauses 113.000 gepflanzt. Verkehrsknotenpunkte wie an der Porte Maillot oder steinerne Plätze wie die ­Place de Catalogne am Bahnhof Montparnasse sind mit Bäumen und Büschen neu gestaltet worden. Diese „urbanen Wälder“ sollen ebenso wie neue, Hitze abweisende Straßenbeläge zur Abkühlung der Stadt beitragen. Unter Hidalgos Regie wurden 1400 sogenannte Kühlinseln in der Stadt ausgewiesen, die teils mit Sprühnebelanlagen und Wasserspendern ausgestattet sind. Die 21 Parkanlagen der Stadt bleiben während der Hitzewelle auch nachts geöffnet.

Frankreich sieht sich als Vorreiter bei der Entsiegelung. Das unter Präsident Emmanuel Macron beschlossene Klimagesetz vom 22. August 2021 schreibt das Ziel einer Netto-Null-Versiegelung bis 2050 vor. Jedes Jahr soll dieselbe Fläche, die durch Bebauung versiegelt wird, andernorts entsiegelt werden. Die parteiübergreifende Initiative „Paris bei 50 Grad Celsius“ hat weitere Vorschläge unterbreitet, darunter die massive Begrünung der Parkbuchten, den Ersatz von Asphalt durch durchlässige Böden und die Umgestaltung von Schulen.

In vielen Schulhöfen wurden bereits Betonböden entfernt und durch baumbestandene Rasenflächen ersetzt. Aber die natürlichen Schattenspender gefallen nicht allen. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen hat einen großen „Klimaanlagen“-Plan gefordert: Aufgrund der steigenden Temperaturen müssten alle öffentlichen Gebäude und Schulen mit Kühlsystemen nachgerüstet werden. Ähnlich wie in Deutschland sind in Frankreich Klimaanlagen wenig verbreitet.