Trump spaltet die deutsche Autobranche

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Für die Vorstandssitzung in der vergangenen Woche hatte sich Volkswagen -Chef Oliver Blume einen beinahe symbolträchtigen Ort ausgesucht. Die oberste Führungsriege von VW tagt immer mal wieder außerhalb des Wolfsburger Stammsitzes, um auch andere Standorte im weltumspannenden Fabriknetz des Autokonzerns besser kennenzulernen. Und dieses Mal trafen sich die Vorstände in Chattanooga, Tennessee. VW hat dort seit etwa einem Jahrzehnt ein Werk, die Vereinigten Staaten gelten im Management nach wie vor als Hoffnungsmarkt, trotz allem Ärger über Trumps Protektionismus, den aktuellen Zollstreitigkeiten und den laufenden Handelsgesprächen.

Zum Reiseprogramm der Top-Manager aus Wolfsburg gehörte deshalb auch ein Abstecher ins rund 500 Kilometer entfernte Blythewood, South Carolina. Dort baut VW eine neue Fabrik für die wiederbelebte Traditionsmarke Scout. Wenn die Planspiele Realität werden, über die sich Konzernstrategen derzeit den Kopf zerbrechen, könnte das Management bei einem seiner nächsten Besuche in Amerika womöglich noch einen dritten Standort ansteuern. Die Konzernmarke Audi prüft den Aufbau eines eigenen Werks – aus demselben Grund, der im Moment die ganze Automobilbranche umtreibt. Wenn sich Amerika dauerhaft mit höheren Zöllen abschottet, braucht die Marke mit den vier Ringen eine Produktion vor Ort.

Irgendwo in den Südstaaten könnte sie liegen, in Alabama, South Carolina oder Tennessee, wo Volkswagen schon heute produziert und auch die deutschen Konkurrenten Mercedes und BMW große Fabriken betreiben. Die Südstaaten punkten mit einem etablierten Netz an Zulieferern. In Wolfsburg geht man zudem davon aus, dass die Gouverneure der Bundesstaaten bereit sind, hohe Subventionen lockerzumachen. Doch lohnt sich eine Investition von vier bis fünf Milliarden Euro auf lange Sicht wirklich?

Audi würden Importzölle am härtesten treffen

Der Aufsichtsrat des VW-Konzerns wird auf seiner Sitzung am Freitag darüber noch nicht entscheiden. Einen aktuellen Informationsstand zur Lage in Amerika werden die Kontrolleure wohl erhalten, wie aus Konzernkreisen verlautet. Im Zentrum der Sitzung dürfte aber das Chinageschäft stehen, das nach langer Durststrecke vom nächsten Jahr an wieder mehr Gewinn einbringen soll.

In Amerika ist hingegen noch vieles ungewiss: Vertreter der EU verhandeln unter Hochdruck mit der Regierung in Washington über ein Handelsabkommen, bevor Trump nach Ablauf seiner 90-Tage-Frist in der kommenden Woche endgültig hohe Importzölle verhängen könnte. Und selbst wenn die politischen Weichen dann gestellt sind, könnte sich eine Entscheidung über das neue Audi-Werk noch bis in den August oder September ziehen. Im Moment sei alles „völlig offen“, heißt es hinter den Kulissen.

Allerdings leidet kaum ein anderer deutscher Automobilhersteller so stark unter der Zollpolitik Washingtons wie Audi. Anders als Mercedes und BMW verfügt die VW-Tochtergesellschaft nicht über eine Produktion in den Vereinigten Staaten, sondern nur über eine Fabrik in Mexiko. Und auf die Zölle, die den Audi-Export aus mexikanischer Produktion nach Amerika verteuern, kann das Unternehmen kurzfristig kaum reagieren.

Autochefs verhandeln auf eigene Faust

Je länger der US-EU-Zollstreit andauert, umso mehr verfestigt sich der Eindruck, dass sich die Automobilbranche im Geschäft mit Amerika von jeglicher Planungssicherheit verabschieden kann. Die Politik setzt den Rahmen, und Europas Hersteller treten alles andere als geschlossen auf. Schon im April war das ganz offen zutage getreten. Am Gründonnerstag soll VW-Chef Blume in Washington gewesen sein, um mit Handelsminister Howard Lutnick und dessen Entourage über Investitionen und Ausnahmen vom Zollregime zu verhandeln. Einen Tag später, am Karfreitag, liefen dann BMW-Chef Oliver Zipse und Mercedes-Chef Ola Källenius im Weißen Haus auf, um persönlich mit Trump zu sprechen.

Blume, so ist zu hören, war da schon wieder mit anderen Themen beschäftigt, und VW schickte Kjell Gruner zum gemeinsamen Termin mit dem Präsidenten, den Chef der Volkswagen Group of America. Das sei ein ranghoher Konzernvertreter gewesen, heißt es rückblickend von VW. Man solle in das Treffen nicht zu viel „hineingeheimnissen“. Aber es blieb der Eindruck, dass die Wolfsburger lieber auf eigene Faust unterwegs sind.

Und tatsächlich wagte sich Blume noch am gleichen Tag, dem Karfreitag, im Interview mit der F.A.Z. als erster Chef eines deutschen Autokonzerns aus der Deckung. Er stellte öffentlich Investitionen in Aussicht. „Wir haben Amerika einiges anzubieten“, sagte Blume, und lobte die „konstruktiven Gespräche“ mit der Regierung in Washington.

Neues Werk in Amerika wäre Erfolg für Trump

In den Zentralen von BMW und Mercedes in München und Stuttgart sieht man das mit einigem Unbehagen. Sollte Audi tatsächlich ein Werk in Amerika bauen, könnte der langjährige Nachteil des VW-Konzerns – die eher geringe Präsenz in den Vereinigten Staaten – am Ende sogar zu einer Art Trumpfkarte werden. Mercedes fertigt schon seit drei Jahrzehnten in Tuscaloosa, Alabama, und reagiert auf die Zollandrohungen nun mit der Produktion eines weiteren Stadtgeländewagens vor Ort, des Modells GLC. BMW besitzt seit 1994 in Spartanburg, South Carolina, ein großes Werk, das jedes Jahr rund 400.000 Autos baut und mehr als die Hälfte davon exportiert. Das entspricht einem Exportvolumen von zehn Milliarden Dollar für die amerikanische Handelsbilanz. Zusammen mit Mercedes bestreitet BMW nach eigenen Angaben wertmäßig 85 Prozent aller amerikanischen Autoexporte. Aber beeindrucken solche Zahlen Präsident Donald Trump?

Dagegen dürfte die Aussicht auf einen Werksneubau von Audi mit Tausenden von Arbeitsplätzen dem selbst ernannten Dealmaker im Weißen Haus noch mehr gefallen. Es wäre ein Symbol für den Erfolg seiner Zollandrohungspolitik. Und genau vor einer solchen Symbolpolitik graut es den Audi-Konkurrenten BMW und Mercedes. Denn ihre Werke sind voll ausgebaut, viel mehr geht nicht. Allenfalls die weitere Ansiedlung irgendwelcher Komponenten wäre noch möglich, doch dafür müssten BMW und Mercedes ihre Lieferanten ins Boot holen. Auf importierte Komponenten hat Trump Ende April ein Dekret mit einem „kurzfristigen“ Zollausgleichsmechanismus erlassen. Und den Bau eines Komponentenwerks will die amerikanische Regierung subventionieren. „Sollte ein deutscher Autohersteller an uns herantreten, sind wir sofort dabei“, sagte ein Vorstand eines großen Zulieferers.

Industrieabkommen zwischen EU und den USA – für alle die beste Lösung

Am liebsten wäre es den BMW- und Mercedes-Managern, wenn ein Industrieabkommen zwischen der EU und den USA abgeschlossen würde. „Die aktuellen Verhandlungen sollten dazu genutzt werden, bereits länger bestehende Handelshemmnisse zu beseitigen und damit beide Wirtschaftsräume zu stärken. Davon würden auch die Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks profitieren“, sagte ein Konzernsprecher von BMW.

Ob die Zollschranken wirklich auf beiden Seiten fallen, ist jedoch fraglich. Als BMW-Chef Zipse und Mercedes-Chef Källenius vor Ostern bei Trump im Weißen Haus vorsprachen, wollten sie erreichen, dass ihr „amerikanischer Footprint“ in der Frage von Zöllen angerechnet wird. Konkret: Die für den Export in Amerika hergestellten Autos sollen mit dem Import verrechnet werden. Audi hingegen sähe es gern, wenn die Neuinvestitionen zählen. Aber klar ist: Trump ist unberechenbar, und die EU-Kommission wird versuchen, alle Interessen Europas unter einen Hut zu bekommen. „Wir wissen nicht was nächste Woche passiert“, heißt es im Umfeld des BMW-Konzerns.

Der Verband der Automobilindustrie, kurz VDA, eigentlich das Sprachrohr der Branche in Deutschland, kann die Interessengegensätze seiner Mitglieder nicht beheben. So bleibt dem VDA nichts anderes übrig, als ganz allgemein auf Risiken des Protektionismus zu verweisen und auf eine zügige Einigung zu dringen. Eine Verlängerung der Verhandlungen, wie zuletzt von Frankreich ins Spiel gebracht, wäre „fatal“ für die Branche, sagte VDA-Präsidentin Hildegard Müller der F.A.Z. „Wir brauchen rasche, pragmatische Lösungen.“ Schon jetzt träfen neue Zollaufschläge die deutsche Automobilindustrie extrem hart, jeden Tag entstünden damit hohe Zusatzkosten.

Wie Trump zu beeindrucken ist, hat dagegen der koreanische Wettbewerber Hyundai gezeigt. Zwei Wochen bevor Blume, Zipse und Källenius in Washington waren, kündigte der Hyundai-Vorsitzende Euisun Chung an, mehr als 20 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten zu investieren. Zwar hatte der Hyundai-Vorstand den Großteil dieses Investments schon vor Trumps Amtsantritt beschlossen, dennoch bezeichnete der US-Präsident das Milliardenvorhaben als den „jüngsten Erfolg“ seiner Agenda. Trump versprach den Koreanern, dass sie „keine Zölle zahlen“ müssten – und forderte andere Hersteller auf, es wie Hyundai zu machen.