Dänemark legte sich am Donnerstag mächtig ins Zeug, um die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft zu feiern. In Aarhus kamen die EU-Kommission und die dänische Regierung zusammen, um die nächsten sechs Monate vorzubereiten.
Ein solches Treffen findet immer statt. Diesmal allerdings wurde es von einem umfangreichen öffentlichen Programm umrankt, zu dem ein „Europäisches Straßenfest“ im Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes gehörte. Bürgernah und dezentral – das war die Botschaft, die davon ausgehen sollte. Die im November bevorstehende Kommunalwahl spielte wohl auch eine Rolle bei der Wahl des Ortes. Die Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und ihre beiden Stellvertreter kommen aus Jütland und haben in Aarhus mehr Rückhalt als im linken Kopenhagen.
Aus europäischer Sicht ist bemerkenswert, wie sehr das einst euroskeptische Land, das den Euro ablehnte und auf allerlei Ausnahmen von den EU-Verträgen bestand, ins Zentrum der Europäischen Union gerückt ist. „Wir sind noch nie so sehr für Europa gewesen“, sagte die Europaministerin Marie Bjerre am Morgen im Gespräch mit Brüsseler EU-Korrespondenten. Im jüngsten Eurobarometer gaben 74 Prozent der befragten Dänen an, dass sie der EU eher vertrauen – der höchste Wert von allen 27 Mitgliedstaaten. Bei 63 Prozent rief die EU ein positives Bild hervor; der EU-Durchschnitt lag 20 Punkte tiefer.
Bis 2030 soll sich die EU selbst verteidigen können
Bjerre, 39 Jahre alt und aus der rechtsliberalen Venstre-Partei, führte den Wandel auf die neue geopolitische Lage zurück: den russischen Krieg gegen die Ukraine und die Gefahr, dass Moskau weitere Staaten ins Visier nimmt. Deshalb tue Dänemark alles, um Kiew zu unterstützen, und „deshalb müssen wir noch mehr für Europa sein, denn allein können wir als Dänen wenig ausrichten, nur als Teil einer starken Allianz“, sagte sie.
Die Politikerin erwähnte in diesem Zusammenhang auch das stark abgekühlte Verhältnis zu den USA, den Zoll- und Handelskrieg und deren Umgang mit der Ukraine. Sie hätte auch Grönland nennen können, den größten Zankapfel. Ihr Fazit: Europa müsse selbst zu einem geopolitischen Akteur werden, zu einer „Großmacht“.
Dazu passt das Motto, das die Regierung für ihre Präsidentschaft gewählt hat: „Ein starkes Europa in einer sich wandelnden Welt“. Vor allem zwei Prioritäten will sie bis Ende des Jahres voranbringen: Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. Sicherheit verstehen sie im umfassenden Sinne. Einerseits soll die EU militärisch so stark werden, dass sie sich im Jahr 2030 selbst verteidigen kann – ein Ziel, das die EU-Kommission ausgegeben und der Europäische Rat übernommen hat. Andererseits dringt Kopenhagen darauf, die irreguläre Migration nach Europa weiter zu senken und die Außengrenzen besser zu sichern – ganz auf der Linie der robusten Politik, mit der sich die Sozialdemokratin Frederiksen einen Namen gemacht hat.
Was die militärische Dimension angeht, nannte Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen die langfristige Unterstützung der Ukraine als „oberste Priorität“. Für dieses Jahr ist vorgesorgt, mit nationalen Beiträgen und einem 50-Milliarden-Kredit der G-7-Staaten. Nun muss jedoch die Planung für 2026 und darüber hinaus erfolgen. Poulsen, ebenfalls aus der Venstre-Partei und zugleich stellvertretender Ministerpräsident, stellte vor diesem Hintergrund das „dänische Modell“ heraus, als er mit den EU-Korrespondenten sprach. Das Land hat schon im Vorjahr 475 Millionen Euro in die ukrainische Verteidigungsindustrie investiert, in diesem Jahr sollen es 1,5 Milliarden Euro werden. Davon werden Artilleriesysteme, Drohnen und Raketen produziert, zu weit geringeren Kosten, als es in EU-Staaten möglich ist.
Die dänische Regierung will „innovative Lösungen“ vorantreiben
Passenderweise erschien auch Selenskyj am Donnerstag in Aarhus; der Besuch war vorher nicht angekündigt worden. Der ukrainische Präsident beriet sich mit den EU-Spitzen und Frederiksen. Nach seinen Angaben könnte die Ukraine Waffen und Munition im Wert von gut 35 Milliarden Euro im Jahr herstellen, doch sind die Anlagen nur zu 60 Prozent ausgelastet. Hier könnten neue Projekte, die über das milliardenschwere SAFE-Programm der EU-Kommission finanziert werden, zu einer höheren Auslastung beitragen.
Dänemark will, wie Poulsen darlegte, auch den umgekehrten Weg gehen und ukrainische Rüstungsunternehmen in Dänemark aufnehmen. Das würde sie vor russischen Angriffen schützen. Eine wichtige Rolle wird auch die Debatte über den neuen EU-Finanzrahmen spielen. Die Kommission will Mitte Juli einen ersten Entwurf vorlegen, Dänemark danach einen ersten Verhandlungsrahmen für die Staaten präsentieren. Für Verteidigung dürfte dann deutlich mehr Geld vorgesehen werden als bisher, womöglich auch ein Posten für die Ukrainehilfe.
Für Migration und Integration ist in der Regierung Kaare Dybvad Bek verantwortlich, ein Sozialdemokrat. Dass ausgerechnet diese Partei für einen unnachgiebigen Kurs steht, hält er nicht für einen Widerspruch. „Die Last der Migration wird üblicherweise den Arbeiterklasse-Vierteln auferlegt“, sagte er den Brüsseler Besuchern. Dort seien der Lohndruck und die kulturellen Konflikte am größten, wie er aus eigener Anschauung wisse. Dass seine Partei besser dastehe als viele andere Sozialdemokraten in Europa, hänge mit ihrem „realistischen Ansatz“ zusammen.
Dänemark setzt nicht nur auf strikte Grenzkontrollen, allerlei Schikanen gegenüber Asylbewerbern und eine restriktive Einbürgerungspolitik. Das Land macht sich schon seit Längerem auch dafür stark, Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU zu verlagern oder dort Rückkehrzentren für abgelehnte Asylbewerber einzurichten.
Die dänische Regierung will solche „innovativen Lösungen“, wie es im EU-Sprech heißt, vorantreiben. Dafür gibt es schon Gesetzesvorlagen: Die Kommission hat eine Abschwächung des Konzepts sicherer Drittstaaten und eine neue Rückführungsverordnung vorgeschlagen, die neue Spielräume eröffnen. Kopenhagen muss jetzt eine gemeinsame Position der Staaten finden, damit die Verhandlungen mit dem EU-Parlament rasch beginnen können.
Dybvad Bek zeigte sich zuversichtlich, dass man dann auch Staaten finden werde, die bereit seien, Europa zu entlasten. Er erwähnte das dänische Abkommen mit dem Kosovo, das den Transfer von 300 ausländischen Straftätern vorsieht, und die Zusammenarbeit anderer Staaten mit Nordafrika. Ob auch Ruanda infrage käme, wie es die Regierung schon einmal vorhatte, wollte er nicht sagen.
Der Tag in Aarhus endete für 300 Festgäste mit einem Dinner im Rathaus der Stadt, bei dem auch das Königspaar anwesend war. Draußen wurde die Ratspräsidentschaft derweil mit Konzerten, Comedy und einer Tanzperformance gefeiert.