Fraktur: Söder hisst die Regenbogenfahne

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Eine kleine Quizfrage zum Aufwärmen: Wer hat aus Anlass der Feierlichkeiten rund um den Christopher Street Day geäußert „Bei uns kann jeder leben und lieben, wie er möchte“? A) Rainer Langhans, B) Alice Weidel, C) Markus Söder?

Richtig ist natürlich C), das war leicht. Erstens hat Söder das Recht auf freie Liebe schon selbst so oft, wenn auch jeweils nur kurz in Anspruch genommen (Bäume, Bienen, Grüne), dass er nicht nur Chef der CSU, sondern auch des CSD sein könnte. Zweitens konnte der bayerische Ministerpräsident mit dem Hinweis, dass in München, auch vor seiner Staatskanzlei, wieder die Regenbogenflaggen aufgezogen wurden, auf ungewöhnlich elegante Weise Friedrich Merz ans Bein pinkeln. Denn der Kanzler hatte die Entscheidung der Bundestagspräsidentin gutgeheißen, es auf ihrem Dach bei den noch geltenden Farben Deutschlands zu belassen.

Wie Merz die queere Community auf den Fahnenmast jagte

Schon das brachte Merz den Unmut der LSBTIQ*-Gemeinde ein. Auf die Spitze des Fahnenmasts jagte er sie freilich mit der Begründung, der Bundestag sei kein Zirkuszelt, auf dem jeden Tag eine andere Fahne wehen könne. Da brach ein Sturm der Empörung aus in der queeren Community, der selbst noch die Regenbogenflagge vom Dach des Reichstagsgebäudes gefegt hätte, wenn sie dort gehisst worden wäre. Merz wurde belehrt, dass queere Menschen keine Zirkuspferde seien, was er allerdings auch nicht behauptet hatte. Alfonso Pantisano, Queerbeauftragter des Berliner Senats, meinte trotzdem, der Kanzler habe das „rhetorische Pflaster für die nächste zusammengeschlagene Drag Queen, für den nächsten bedrohten CSD-Stand und, wenn es ganz schlimm kommt, auch für den nächsten Toten“ gelegt.

Hat Merz nicht geahnt, in welches Fettfass er da tritt? Nicht gewusst, mit wem er sich anlegt? Und dass der geschmeidige Söder die Gelegenheit nicht verstreichen lassen würde, sich als viel queerer zu präsentieren? Der Kanzler kann froh sein, dass jetzt nicht auch noch die Zirkusleute zu Tode beleidigt sind und ihre Löwen auf ihn hetzen. Auch ein Zirkus ist ja kein Ponyhof, jedenfalls nicht nur. Auch dort muss zwischen den Vorstellungen jede Menge Drecksarbeit geleistet werden, man denke nur an die Hinterlassenschaften der Elefanten.

Der Zirkus und die Politik haben Gemeinsamkeiten

Rein architektonisch betrachtet, stimmt es zwar, dass das Reichstagsgebäude kein Zirkuszelt wie etwa das Tipi am Kanzleramt ist, auch wenn die Foster-Kuppel durchaus an manche Unterkünfte auf Campingplätzen erinnert. Dass die Politik und das Zirzensische aber rein gar keine Gemeinsamkeiten hätten, lässt sich unserer Meinung nach schwerlich behaupten. Selbstredend würden wir niemals so weit gehen und das Parlament Reichsaffenhaus nennen, wie es angeblich unser letzter Kaiser getan haben soll. Doch manche Auftritte im Bundestag hätten es schon verdient, in das Programm von „Stars in der Manege“ aufgenommen zu werden.

Und es wären ja noch ganz andere Nummern möglich, wie sie uns etwa die Filibuster im Kapitol vorführen. Dort hat Hakeem Jeffries jetzt mit gut acht Stunden zwar einen neuen Rekord im Repräsentantenhaus aufgestellt. Und doch blieb er damit noch weit hinter Cory Booker, der im Senat 25 Stunden lang redete. Beiden gelang es freilich nicht, den Elefantenbullen im Weißen Haus aufzuhalten, der zum Unabhängigkeitstag nicht nur sein schönes großes Gesetz durchdrückte, sondern den Amerikanern auch noch stolz drei Alligatoren präsentierte, die bei der Bewachung seines schönen großen Abschiebeknasts in Florida helfen. Insassen, die dennoch die Flucht wagen wollten, riet Trump, nicht geradeaus zu laufen, sondern im Zickzack – damit, so meinte er, steigerten sie ihre Chancen, den Reptilien zu entkommen, um ein Prozent.

Fröhlicher als Trump hätte das auch ein römischer Imperator nicht sagen können, bevor im Circus Maximus oder im Kolosseum die Bestien losgelassen wurden. Verglichen mit Trumps Äußerungen war der Ausflug unseres Kanzlers in die Zirkuswelt ziemlich harmlos. Gewundert hätte es uns gleichwohl nicht, wenn im Zuge der in allen Farben des Regenbogens aufflammenden Empörung über Merz gefordert worden wäre, dass er in die schönen großen Zelte von Alligator Alcatraz abgeschoben werden müsse.