Seit der amerikanische Präsident Donald Trump im Frühjahr damit begonnen hat, regelmäßig mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu telefonieren, hat Moskau seine Drohnen- und Raketenangriffe auf die Ukraine ausgeweitet. In der Nacht auf Freitag, bald nach dem sechsten Telefonat der beiden, fand die nach ukrainischen Angaben größte solche Attacke seit dem Beginn des Großangriffs 2022 statt. Wieder war die Hauptstadt Kiew das Hauptziel, mehr als 20 Personen wurden dort demnach verletzt. Moskau folgt erklärtermaßen der Devise, gleichzeitig zu verhandeln und Krieg zu führen. Beides, um zu siegen.
Dieses Mal offenbarten die Schilderungen des Telefonats jedoch eine zu früheren Gesprächen ungewohnte Diskrepanz: hüben Moskauer Zufriedenheit, drüben Unmut Trumps.
Gemeinsam gegen sexuelle Minderheiten
Zunächst skizzierte Jurij Uschakow wie sonst auch eine gute Gesprächsatmosphäre. Folgt man Putins außenpolitischem Berater, redete Trump zunächst über den Erfolg seines großen Gesetzespakets im Kongress. Putin wünschte Trump demnach weiteren Erfolg und beglückwünschte die USA zum Unabhängigkeitstag am Freitag und habe dann über eine russische Rolle in der amerikanischen Staatswerdung Ende des 18. Jahrhunderts und im Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert sowie über „historische Wurzeln“ einer Verbundenheit beider Länder gesprochen.
Auch eine neue Idee habe Putin erwähnt. Und zwar den „Austausch von Kinoproduktion, die traditionelle Werte fördert, die uns und der Trump-Regierung nahestehen“. Unter solchen „Werten“ versteht Moskau vor allem, sexuelle Minderheiten zu bekämpfen, deren Vertreter in Russland als „Extremisten“ verfolgt werden können. Trump habe gesagt, „diese Idee imponiere ihm“.
Derlei Exkurse dienen dem Kreml dazu, Trump für Putin einzunehmen, mit dem Ziel, die Ukraine weiter zu schwächen. „Je weniger Raketen aus dem Ausland in die Ukraine kommen, desto näher rückt das Ende der speziellen Militäroperation“, hatte Putins Sprecher Dmitrij Peskow vor dem Telefonat gesagt. Anlass waren neue Meldungen über wegen angeblichen Eigenbedarfs ausgesetzte US-Waffenlieferungen für Kiew, auch im Bereich der überlebenswichtigen Luftabwehrraketen. Anfang März hatte Peskow die damalige Aussetzung der US-Militärhilfe für Kiew als „besten Beitrag zum Frieden“ gelobt.
Russland will die freie Ukraine zerstören
Uschakow zufolge war die neue Aussetzung nun kein Thema. Zunächst sprachen Putin und Trump demnach in ihrem „fast einstündigen“ Telefonat über Iran. Offenbar vermied Putin es wieder, Trump wegen der US-Militärschläge gegen Atomanlagen seines „strategischen Partners“ zu kritisieren: Außerhalb der Ukraine unterlässt der Kreml alles, was Trump verstimmen könnte.
Erst dann kam Uschakow auf die „ukrainische Problematik“ zu sprechen. Trump habe „neuerlich die Frage nach einer baldigen Beendigung der Kampfhandlungen gestellt“, Putin habe Trump über die Verhandlungen mit Kiew unterrichtet und sich bereit erklärt, den Prozess fortzusetzen. „Unser Präsident hat auch gesagt, dass Russland die aufgestellten Ziele erreichen wird, das heißt, die allen bekannten Grundursachen zu beseitigen“, die „zur gegenwärtigen scharfen Konfrontation“ geführt hätten, referierte Uschakow. Mit dieser Formel umschreibt der Kreml mindestens das Ziel, die Eigenständigkeit einer um annektierte Gebiete geschrumpften Restukraine zu beenden, bisweilen zusätzlich auch den Rückzug der NATO aus Ost-, Mittel- und Nordeuropa. „Von diesen Zielen rückt Russland nicht ab“, sagte Uschakow.
Dann wurde es Uschakow zufolge wieder atmosphärisch: Die Präsidenten hätten Interesse daran geäußert, „eine Reihe wirtschaftlich aussichtsreicher Projekte zu verwirklichen, unter anderem im Energiebereich und in der Erforschung des Weltalls“. Das Gespräch sei „wie immer auf einer Wellenlänge“ gewesen, „offen, sachlich und konkret“, bald würden die Präsidenten ihren Austausch fortsetzen, schloss Putins Berater.
Trumps Enttäuschung nach dem Gespräch
Von einem möglichen Gipfel der beiden, einer Idée fixe der vergangenen Monate, war nun keine Rede. Dazu sollte die Aussicht auf ein Ergebnis eines Treffens bestehen. Doch womöglich reichen Putins Kriegsziele auch Trump zu weit.
Dieser äußerte sich nach dem Gespräch spät und nicht wie sonst über seine Plattform Truth Social, sondern vor Journalisten. Er sei „nicht glücklich“, sagte Trump. „Wir haben über vieles gesprochen, auch über Iran und die Ukraine.“ Er sei „sehr enttäuscht“ über das Gespräch, weil er nicht glaube, dass Putin „dabei“ sei. „Ich sage nur, ich glaube nicht, dass er aufhören will, und das ist schade“, sagte Trump mit Blick auf den Angriffskrieg. „Ich habe keinerlei Fortschritt mit ihm gemacht“, sagte er über Putin, ließ aber nicht erkennen, ob er nun Bestrebungen im Kongress gutheiße, mit neuen Sanktionen Druck auf Putin aufzubauen.
Über die Aussetzung der Waffenlieferungen für Kiew sagte Trump, diese sei nicht vollständig, machte aber vor allem seinem Vorgänger Vorwürfe: Man arbeite mit den Ukrainern, „und wir versuchen, ihnen zu helfen“, doch habe Präsident Joe Biden „unser ganzes Land ausgeleert, als er ihnen Waffen gab, und wir müssen sichergehen, dass wir genug für uns selbst haben“.