Was Künstliche Intelligenz mit Arbeit und Löhnen machen wird, darüber gehen die Prognosen ziemlich durcheinander. Wird sie Arbeitsplätze kosten? Löhne drücken? Oder manche Arbeit sogar noch wertvoller machen? Und nicht nur die Prognosen gehen durcheinander, auch die Realität. Vor vier Jahren hätte niemand gedacht, dass der nächste große IT-Fortschritt ausgerechnet die Programmierer unter Druck bringen würde. Andere verdienen jetzt sogar mehr Geld als vorher. Und mit der Arbeit ist es genauso.
Studien haben schon lange gezeigt, dass manche Arbeitnehmer inzwischen tatsächlich weniger arbeiten, weil sie Teile ihrer Aufgaben jetzt von der Künstlichen Intelligenz erledigen lassen. Andere arbeiten nicht weniger Stunden, schaffen in der gleichen Zeit aber mehr. Und manche lassen sich sogar zu mehr Stunden als vorher verführen, gerade weil sie in der gleichen Zeit mehr schaffen und Arbeitsstunden so gesehen wertvoller werden.
Kann die Mittelschicht profitieren?
In den vergangenen Monaten hat sich eine Unterscheidung durchgesetzt: Verbessert die neue Technik die Arbeit der Menschen oder ersetzen die neuen Möglichkeiten die Menschen? Meistens denkt man dann: Je mehr Arbeit der Menschen ersetzt wird, desto eher geraten ihre Arbeitsplätze unter Druck. Das Ziel ist dann, mit den Computern die Arbeit möglichst zu verbessern. Dann gerät die Arbeit der Menschen nicht unter Druck, und sie verdienen sogar mehr Geld. Jetzt müsste man nur noch wissen, wie das genau geht: mit neuer Technik die Arbeit zu verbessern. Da kommt David Autor ins Spiel.

Am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erforscht er seit Jahren, wie neue Technik die Arbeit verändert. Er hat zum Beispiel festgestellt, dass es einzelne Unternehmen sind, die in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren die Gehälter ungleicher gemacht haben. „Superstar“-Firmen mit wenig Konkurrenz, zum Beispiel Google und Apple, haben nicht nur selbst viel Geld verdient, sondern auch ihre Mitarbeiter gut bezahlt – besser, als es die anderen Firmen tun konnten. Seit Künstliche Intelligenz bekannt geworden ist, hat Autor sich ein Ziel vorgenommen: „KI bietet eine einzigartige Chance, die Relevanz, Reichweite und den Wert menschlicher Expertise zu steigern.“ Und davon könne die Mittelschicht wieder profitieren.
Technik betrifft die Berufe unterschiedlich
Nun hat er sich mit Neil Thompson zusammengetan, der am MIT das Institut für Digitalwirtschaft leitet. Die beiden haben das Schicksal der Amerikaner in der Digitalisierung der vergangenen Jahrzehnte noch mal neu untersucht. Und sie können zeigen: Es kommt gar nicht darauf an, wie viel von der Arbeit die Computer übernehmen – sondern welche.
Die beiden vergleichen die Arbeit von Buchhaltern und Lageristen. Beide Berufe sind schon in den vergangenen Jahren durcheinandergewirbelt worden. Immer mehr Arbeit davon hat der Computer übernommen: bei Buchhaltern das Aufschreiben von Buchungen, die Prüfung von Kontoauszügen und die Darstellung der Ergebnisse in Grafiken. Die Lageristen mussten einst Lagerbestände mit den Listen vergleichen, Inventarlisten anlegen und auch mal einen Preis ausrechnen. All diese Aufgaben konnte neue Technik übernehmen. Doch die Berufe haben sich ganz unterschiedlich entwickelt.
Mehr Gehalt für Buchhalter, weniger für Lageristen
Zwar wurden mit der Zeit weniger Buchhalter eingestellt, aber ihre Gehälter stiegen überdurchschnittlich. Den Lageristen ging es anders: Bei ihnen sanken die Löhne, dafür wurden mehr von ihnen eingestellt.
Um das zu verstehen, haben sich die beiden Forscher genau angesehen, wie sich die Aufgaben in den beiden Berufen über die Jahre verändert haben. Die amerikanische Bundesregierung finanziert eine große Datenbank, die zu allen Berufen erfasst, welche Aufgaben dort wirklich erledigt werden müssen. Das sah 2018 nicht mehr so aus wie 1977.
Selbst ähnliche Aufgaben wurden nicht mehr unbedingt gleich genannt. Deshalb ließen die Forscher eine Künstliche Intelligenz ermitteln, welche Aufgaben von 2018 im Kern denjenigen von 1977 entsprachen und welche sich wirklich geändert hatten.
Höhere Anforderungen an die Expertise
Dann ermittelten sie wiederum, wie viel Ausbildung man für die Tätigkeit brauchte. Dazu machten sie sich den Effekt zunutze, dass Berufsstände mit viel Spezialwissen oft viele eigene Fachwörter haben, mit denen sie schnell gebräuchliche Gedanken zusammenfassen können, von denen Laien aber wenig Ahnung haben. So konnten sie solide ermitteln, welche Aufgaben besonders viel Expertise voraussetzen.
Schließlich setzten Autor und Thompson alles zusammen: Hatte die Technik die simplen, aber nervigen Tätigkeiten ersetzt? Das war in den vergangenen 40 Jahren bei den Buchhaltern der Fall, aber auch bei Onlinehändlern und bei Fotografen. Oder fielen jetzt gerade die Aufgaben weg, für die man am meisten können musste – wo man auf der Höhe seines Schaffens war? Wenn die Anforderungen an die Expertise kleiner wurden, dann sanken die Löhne, aber es gab mehr Arbeitsplätze. Wenn die Anforderungen an die Expertise dagegen wuchsen, dann sank zwar die Stellenzahl, aber im Gegenzug gingen die Löhne und Gehälter ein Stück nach oben.
Mehr Arbeitsplätze als vorher
Über Künstliche Intelligenz kann nun jeder genau so nachdenken. Wie schafft man es, dass die Künstliche Intelligenz genau die unangenehmen Aufgaben übernimmt, für die man die Ausbildung nicht gebraucht hätte und die im Prinzip auch jeder andere übernehmen könnte? Wer jetzt an die Reisekostenabrechnung denkt, hat den Sinn der Frage kapiert. Es geht um Aufgaben, die jeder loswerden will – und daran hat nicht nur jeder selbst ein Interesse, es ist auch für die Leute in diesem Berufsstand im Weiteren ziemlich nützlich.
Denn wenn die langweiligen Teile des Tages ersetzt werden, dann ist das gut für die Gehälter und gut für die Leute, die schon im Beruf sind. Für Einsteiger wird es dann wahrscheinlich schwieriger. Erstens fehlt ihnen anfangs die Erfahrung für einen Beruf, in dem es dann umso mehr auf lange gesammelte Expertise ankommt. Zweitens braucht man in dem Beruf in nächster Zeit sowieso weniger Leute.
Und dann gibt es die anderen: die, deren Job bald von jedem gemacht werden kann, weil der Computer die schwierigen Teile übernimmt. Dort machen die Jobs dann bald auch alle, die Löhne sinken, aber immerhin gibt es in diesen Berufen mehr Arbeitsplätze als vorher.