War er gut genug vorbereitet?

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Vor den russischen Waffen ist das Gedränge der Minister groß. Johann Wadephul, nicht eben groß gewachsen, scheint darin unterzugehen. Im Innenhof des Rathauses von Lemberg zeigen die Ukrainer die Trümmer. Auf Tischen liegen Antriebsteile von Drohnen, Metallfetzen von Kurzstreckenraketen, ein Soldat erklärt. Es ist der 9. Mai, Wadephul ist noch keine 72 Stunden Außenminister und mit anderen europäischen Außenministern zu einem Solidaritätsbesuch in die Westukraine gereist. Nun muss er sich recken, um etwas zu sehen. Die Wichtigsten stehen ganz vorne und prüfen vor den Kameras der Journalisten, was ihnen vorgeführt wird. Wadephul bleibt ruhig. Schiebt sich nach vorn, Schritt für Schritt in die zweite Reihe, entdeckt eine Lücke, und dann steht er vorne. Ohne dass es aufgefallen wäre und ohne Irritationen. Genau da, wo er hinwollte.

Jetzt, da der Christdemokrat Wadephul auch in Berlin in der ersten Reihe angekommen ist, in dem Amt, in das er wollte und fast unbemerkt strebte, gibt es aber ausgerechnet in der Union Irritationen. War Wadephul etwa nicht gut genug vorbereitet auf sein Amt – oder seine Partei nicht auf die außenpolitische Realität in der Regierung? Oder geht es um etwas anderes?

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Seit acht Wochen ist Johann Wadephul Außenminister, der erste aus der CDU seit fast 60 Jahren. Die Erwartungen waren groß, Auswärtiges Amt und Kanzleramt in CDU-Hand, von der Außenpolitik aus einem Guss hat man in der Partei geträumt. Ein Außenkanzler und ein loyaler Fachpolitiker an seiner Seite. Doch dann gab es Kritik am Außenminister. Da war die Äußerung von ihm zum neuen Fünfprozentziel für Verteidigung, die in Berlin viele überraschte, der schärfere Ton gegenüber der israelischen Regierung wegen des Vorgehens im Gazastreifen, da waren Formulierungen zum amerikanischen Angriff auf Iran, die nicht zum Kanzlerkurs oder zur Realität zu passen schienen. Meist folgte die Kritik aus der Union ohne klaren Absender, Zitate ohne Namen. So köchelte es, zumindest auf kleiner Flamme – bis der Kanzler in seiner letzten Regierungserklärung dem Außenminister „besonders herzlich“ dankte für „seine intensiven diplomatischen Bemühungen in den letzten Tagen und Wochen“.

Die ganze Wucht der Weltlage

Knapp zwei Monate nach seinem Besuch in Lemberg ist Wadephul wieder auf dem Weg in die Ukraine. In der Nacht zu Montag sitzt er in einem Sonderzug. Start ist in Polen, wenige Stunden später, am Montagmorgen, wird der Zug in den Bahnhof von Kiew einfahren. Draußen, hinter den schweren Vorhängen des Salonwagens, zieht die Ukraine vorbei. In der Nacht davor hat es landesweit schwere Luftangriffe der Russen gegeben. Es wird der Antrittsbesuch des Außenministers in der ukrainischen Hauptstadt.

Wadephul hat in den ersten Wochen in seinem Amt die ganze Wucht der Weltlage erlebt. Den russischen Angriffskrieg, den Gazakonflikt, die israelischen Angriffe auf Iran und den sensiblen Umgang mit dem alten Verbündeten Amerika, an dem so viel hängt – auch die eigene Sicherheit. Bei der feierlichen Übergabe des Amtes strahlte Wadephul auf der Bühne des Weltsaals vor seinen Diplomaten eine unbändige Vorfreude aus. In den ersten Tagen nach der Amtsübergabe reiste er nach Paris, Warschau, Lemberg, Tel Aviv, Jerusalem, Ramallah und London, es ging meistens um Konflikte und Sorgen. Das alles ist zu wahr, um schön zu sein. Und dann die Kritik in der Heimat.

Immerhin ist die Stimmung gut: Wadephul zu Besuch bei Marco Rubio im State Departement
Immerhin ist die Stimmung gut: Wadephul zu Besuch bei Marco Rubio im State DepartementEPA

Zuletzt hat es Irritationen gegeben, weil Wadephul nach dem israelischen Angriff auf Iran erst gesagt hatte, dass die Amerikaner nicht eingreifen würden. Als sie es – kurz nach einem Gespräch von Wadephul und den Ministern aus Paris und London mit dem iranischen Außenminister – doch taten, sagte der deutsche Ressortchef, dass es jetzt „bedauerlicherweise“ diese militärische Aktion gegeben habe, „die wohl notwendig war aus Sicht der USA“. Das musste nicht als Kritik an dem amerikanischen Einsatz gemeint sein. Eher sprach Enttäuschung daraus, dass die eigene Diplomatie nicht weit genug geführt hat. Das wird durch den Kontext deutlich. Dass man es anders verstehen kann, ist ein Problem. Zumal vorher aufgefallen war, wie zurückhaltend Wadephul sich zum israelischen Angriff selbst geäußert hatte – während der Kanzler von der „Drecksarbeit“ sprach, die Israel erledige.

„Als Außenminister muss ich mit allen Außenministern in der Welt jederzeit reden können – egal, wie unterschiedlich unsere Auffassungen sind“, sagt Wadephul im Zug. „Den Bundeskanzler und mich eint, trotz unterschiedlicher Jobbeschreibung, dasselbe Ziel“, sagt er auch. „Wir sprechen uns eng und vertraulich ab.“ Aus dem Kanzleramt kommt keine Kritik. Wadephul und Merz telefonierten oft, auch hier wird vom engen Austausch gesprochen. „Das Diplomatische“ sei die Aufgabe Wadephuls, heißt es.

Wadephul ist ein leiser Typ

Für Wadephuls Erfolg als Außenminister ist das der kritischste Punkt: Kann er ein enges Verhältnis zum Kanzler halten? Denn zum einen haben seine Worte bei seinen Gesprächspartnern in der Welt vor allem Gewicht, wenn diese davon ausgehen können, dass Wadephul ausspricht, was der Kanzler denkt. Bei Annalena Baerbock war klar, dass das Verhältnis zum Kanzleramt schwierig und am Ende nur der Kanzler entscheidend war. Über zwei deutsche Außenpolitiken wurde im Ausland geklagt.

Zum anderen leitet sich Wadephuls politisches Gewicht im Inland vor allem vom Kanzler ab. Wadephul ist ein leiser Typ. Das unterscheidet ihn von vielen seiner Vorgänger im Außenministerium, die noch dazu oft Führungsfiguren ihrer Parteien waren. Das Auswärtige Amt galt lange als mächtiges und sehr öffentlichkeitswirksames Ressort, woraus die Gepflogenheit des kleinen Koalitionspartners entstand, hier einen seiner Topleute zu platzieren. Ob Hans-Dietrich Genscher, Joschka Fischer, Frank-Walter Steinmeier, Guido Westerwelle oder Annalena Baerbock – meist waren es Minister, die von ganz oben kamen oder nach ganz oben wollten. Wadephul spielt hingegen in der obersten Führungsetage der CDU keine Rolle. Ein Konkurrent des Kanzlers ist er nicht.

Einer spricht, der andere hört zu: Wadephul mit Netanjahu
Einer spricht, der andere hört zu: Wadephul mit Netanjahudpa

Auch als die Ampelkoalition zerbricht und die Kanzlerschaft von Merz näher kommt, wartet Wadephul in der zweiten Reihe. Er bleibt ruhig, strebt fast unbemerkt nach vorne. Als man von Boris Pistorius deutliche Zeichen wahrzunehmen meint, dass er im Falle einer Koalition mit der SPD gerne Verteidigungsminister bleiben wolle, sieht Wadephul die Lücke. Er spricht auch mit Merz darüber, dass man nach so langer Zeit mal wieder nach dem Außenministerium greifen könnte. Einst ist Wadephul in der schleswig-holsteinischen Landespolitik durch Höhen und Tiefen gegangen, seit 2018 war er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender zuständig für Außenpolitik. In der öffentlichen Wirkung scheint er im Gedränge der selbst- und sendungsbewussten Außenpolitiker seiner Partei unterzugehen. In der Fraktion selbst erarbeitet er sich einen guten Ruf als zugänglicher und gut vernetzter Außenpolitiker. Eher zurückhaltend in seinen Positionen. Und von 2022 an erwirbt er sich das Vertrauen des neuen Vorsitzenden. Dass Merz bei Gesprächen seine Meinung einholt zur Außenpolitik, heißt es lange schon. Merz macht im Wahlkampf schon seinen außenpolitischen Anspruch deutlich. Und sichert seiner Partei das Ministerium.

Dass Wadephul Minister wird, ist nicht ausgemacht. Immerhin nimmt Merz ihn auf seine Kiew-Reise im Wahlkampf mit, bei der Münchner Sicherheitskonferenz ist er an seiner Seite. Erst an einem Freitag, drei Tage bevor Merz ihn offiziell bei einem kleinen Parteitag präsentiert, bekommt Wadephul den erlösenden Anruf. Zusammen hatte er mit seinem jetzigen Büroleiter zwar den Übergang vorbereitet, jetzt erst können sie aber loslegen und Personalentscheidungen festzurren. So bleibt nicht viel Zeit in einem Haus, das so viele Jahrzehnte nicht mehr von einem CDU-Minister geleitet worden ist.

Wadephul Ende Juni beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar in der Ukraine
Wadephul Ende Juni beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar in der UkraineImago

Formt das Auswärtige Amt den Minister? Oder schafft es der Minister, das Amt zu formen? Diese Frage stellt sich bei allen Ministerien, aber das Auswärtige Amt ist eine besondere Herausforderung. Es sei, als springe man auf einen fahrenden Zug auf, sagt jemand, der es wissen muss. Kaum angekommen, geht es auf Reisen. In der Union hört man schon jetzt, dass man von Wadephul eine überzeugende Antwort auf diese Frage erwartet.

Unter hohem Druck

Wadephul erlebt den Druck schon daran, dass er bei den Terminplanungen seine Leute daran erinnern muss, doch Zeit für einen Snack zur Mittagszeit einzuplanen. Das klappt einigermaßen. Auf Reisen beweist Wadephul, dass er die Dossiers kennt und viele Akteure, er weiß, wie das außenpolitische Geschäft läuft. Als Israel den Iran angreift, ist Wadephul in Kairo und muss seine geplanten Stationen in Libanon und Israel streichen. Stattdessen schreibt er in Kairo Kurznachrichten und vereinbart Gespräche mit anderen Außenministern, weiter geht es nach Riad und Doha. Ohnehin strahlt Wadephul eine erstaunliche Ruhe aus, auch wenn mal etwas nicht klappt wie geplant. Beim Antrittsbesuch in Jerusalem und seinem mit Spannung erwarteten Presseauftritt mit dem israelischen Außenminister ist das Mikrofon kaputt, die Übersetzerin hört ihn nicht. Immer wieder muss Wadephul ansetzen und lächelt darüber hinweg. Er wird auch hier Kritik äußern. Aufregung provoziert das noch nicht.

Die erste Äußerung, die Aufsehen erregt, ist bewusst ausgesprochen. Bei einem Treffen der NATO-Außenminister im türkischen Antalya sagt er, man folge Trumps Einschätzung, dass fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung notwendig seien. Im Kanzleramt mag man zwar zunächst etwas über den Zeitpunkt und die nicht ganz präzise Kommunikation irritiert gewesen sein – die Aufschlüsselung der fünf Prozent für das heimische Publikum ist 3,5 Prozent für den klassischen Wehretat, 1,5 für verteidigungsrelevante Infrastruktur. Die Richtung aber stimmte. Wadephul sagt: „Meine klare Priorität war es in diesem Moment, vor den versammelten NATO-Alliierten das Zeichen zu setzen, dass Deutschland notwendige Verantwortung übernimmt.“ Am Ende sei es gelungen: „Der NATO-Gipfel hat das Fünfprozentziel beschlossen – weil wir es für unsere Sicherheit brauchen.“ In Berlin heißt es, auch der Kanzler habe den Vorstoß als hilfreich empfunden. Dadurch sei eine Gewöhnung an die Zahl möglich geworden.

Riad statt Tel Aviv: Wadephul blieb in der Region, musste aber mit dem saudischen Außenminister Faisal bin Farhan vorlieb nehmen.
Riad statt Tel Aviv: Wadephul blieb in der Region, musste aber mit dem saudischen Außenminister Faisal bin Farhan vorlieb nehmen.dpa

Dieser Punkt provoziert die SPD. Die Äußerungen zu Israel wiederum erregen vor allem die CSU – während Wadephul vom Koalitionspartner in diesem Punkt gelobt wird. Bei seinem ersten Besuch in Israel spricht Wadephul die dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen auch intern an. Er reist mit der Zusage ab, dass sich bald etwas ändert. Das passiert so nicht. Stattdessen wird Wadephul bei vielen Gesprächen mit anderen Außenministern auf die Lage in Gaza und die deutsche Haltung angesprochen. Er spricht mit dem Kanzler, Ende Mai beginnen dann beide, Israels Vorgehen im Gazastreifen kritischer zu kommentieren. „Wenn wir die Notlage in Gaza nicht so ehrlich ansprechen, wie der Bundeskanzler und ich es getan haben, verlieren wir jede Glaubwürdigkeit und damit Einfluss bei unseren Partnern“, sagt Wadephul im Zug. Wadephul nutzt aber ein Wort, das nicht nur in der CSU für Entsetzen sorgt: Er lehne eine „Zwangssolidarität“ Deutschlands mit Israel ab.

In der Opposition hatte auch Wadephul die Ampelkoalition für ihre zögerliche Haltung bei der Unterstützung Israels kritisiert. Jetzt merkt die CSU in mehreren internen Runden an, dass sie eine Änderung des Kurses gegenüber Israel nicht mitträgt. Man glaubt, der Punkt sei angekommen. Da gibt Wadephul ein Interview, in dem er zwar Selbstverständliches sagt zur Prüfung von Rüstungsexporten an Israel. In der CSU sieht man darin jedoch eine weitere Andeutung eines Kurswechsels. Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Hoffmann, kritisiert Wadephul offen: Sanktionen wären „das Ende der Staatsräson gegenüber Israel“. Wadephul telefoniert mit dem Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn und schlägt vor, sich im Fraktionsvorstand zu erklären. Das läuft nach Aussage von mehreren Teilnehmern harmonisch ab. Spahn sagt den Abgeordneten in der Fraktionssitzung, man solle sich nicht in einen Streit über Waffenlieferungen treiben lassen. Wadephul sagt: „Das Wort ‚Zwangssolidarität‘ würde ich so nicht wieder benutzen.“ Er mache aber auch klar, dass man der Realität Rechnung tragen müsse, was die Lage in Gaza angeht. „Gerade Parteien mit einem C im Namen dürfen bei der katastrophalen humanitären Lage nicht wegschauen.“ Mit Hoffmann spricht er jetzt regelmäßig. „Der Bundeskanzler und ich sind immer auf einer Linie“, sagt Wadephul im Zug. „Aber womöglich ist es einfacher, mich als Außenminister zu kritisieren als den Bundeskanzler.“

„Ich kann nicht der Zuspitzer sein“

Nachdem der Zug in Kiew angekommen ist, verbringt Wadephul mit dem ukrainischen Außenminister viel Zeit und wird auch vom Präsidenten empfangen. Er hört, wie schwierig die Lage ist. In der Unionsfraktion wird einhellig betont, Wadephul sitze sicher im Sattel, „über jeden Zweifel erhaben“. Bitte weitergehen, nichts passiert hier. Als Erklärung dafür, dass der Außenminister nicht „jederzeit das richtige Wording“ finde, bringt einer aus der Unionsfraktion vor, Wadephul stehe noch nicht seit zwanzig Jahren in der ersten Reihe.

Aber wenn Wadephul zum Wahlkampfversprechen der Union, Aufnahmeprogramme aus Afghanistan zu stoppen, jetzt sagt, dass man rechtlich verbindliche Zusagen einhalten werde, sagen selbst Leute, die es mit ihm gut meinen, dass man prüfen müsse, auf welcher Grundlage und von wem diese Zusagen gegeben wurden. Andere erregen sich anonym. Und Alexander Dobrindt, der CSU-Innenminister, reist nicht nur nach Israel zu Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten und dem Außenminister, sondern verkündet, dass er für Abschiebungen nach Afghanistan direkte Vereinbarungen mit den Taliban anstrebe – eine Form der Aufwertung, die man im Auswärtigen Amt vermieden hat. Andere fordern eine Abkehr von der bisherigen Iran-Politik. Die Wucht der Heimat.

„Ich kann nicht der Zuspitzer sein – das ist nicht die Aufgabe des Außenministers“, sagt Wadephul. „Das muss vielleicht auch die CDU wieder lernen, nachdem sie 60 Jahre den Außenminister nicht gestellt hat.“ Wadephul ist in der ersten Reihe angekommen. In Umfragen ist er zu einem der beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen. Alle schauen jetzt ganz genau hin, vor allem in München.