In der Affäre um die Beschaffung von Corona-Schutzmasken durch den früheren Gesundheitsminister Jens Spahn setzt die Opposition jetzt auch die heutige Amtsinhaberin Nina Warken und Bundeskanzler Friedrich Merz (alle CDU) unter Druck. Die Grünen fordern einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss und werfen Warken vor, die Aufklärung zu verzögern.
„Warken wird nun nicht nur selbst zum Teil des Skandals, sondern neben Spahn zum wachsenden Glaubwürdigkeitsproblem von Bundeskanzler Friedrich Merz“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, am Samstag der F.A.Z. „Das Masken-Debakel ist längst kein Problem von Jens Spahn mehr, es ist wie eine chronische Sickerblutung ein wachsendes Glaubwürdigkeitsproblem für die gesamte Union gegenüber Bürgern und Steuerzahlern.“
Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bundestag, den Dahmen verlangt, fehlt den Grünen und der Linken die Mehrheit, wenn sie nicht die AfD mit ins Boot holen wollen. Deshalb appellieren sie an Union und SPD, sich im Sinne der Wahrheitsfindung daran zu beteiligen.
Klarversion des gesamten Textes aufgetaucht
Dahmens Vorwürfe beziehen sich darauf, dass Warken im internen Ermittlungsbericht der Aufklärungsbeauftragten Margaretha Sudhof (SPD) zu den Maskenkäufen Schwärzungen hat vornehmen lassen, bevor sie das Papier wie gefordert an den Haushaltsausschuss des Bundestags weitergab. Jetzt ist die Klarversion des gesamten Textes aufgetaucht, sie liegt auch der F.A.Z. vor.
Für Dahmen zeigt die Reinfassung, dass Spahns eigenes Haus den Minister wiederholt dazu aufgefordert habe, wegen mangelnder Qualität und ausbleibender Lieferungen Schadensersatzforderungen gegen zwei an der Maskenabwicklung beteiligte Unternehmen geltend zu machen: den Logistiker Fiege aus dem Münsterland nahe von Spahns Wahlkreis sowie gegen das Schweizer Handelsunternehmen Emix.
„Was das brisant macht: Die relevanten Fußnoten waren zuletzt von Ministerin Nina Warken geschwärzt worden“, so Dahmen. „Wer Warkens parteipolitische Schwärzungen nun nachträglich verteidigt, schützt nicht den Rechtsstaat, sondern versucht Verantwortungslosigkeit und Intransparenz zu decken.“
Der unveränderte Bericht zeige eindeutig: „Wie schon im Fall Fiege entschied Spahn sich auch bei Emix gegen die Empfehlungen des eigenen Hauses. Obwohl Emix hundertfach überteuert lieferte, obwohl der Reingewinn des Unternehmens offenbar in dreistelliger Millionenhöhe war und obwohl davon zweistellige Millionenbeträge an Provisionen an Parteifreunde in der Union flossen.“
Vorwurf der Vetternwirtschaft gegen Spahn bislang nicht belegt
Den Vorwurf der Vetternwirtschaft gegen den heutigen Unions-Fraktionsvorsitzenden Spahn haben die Grünen bisher nicht belegen können, er wird auch im Sudhof-Bericht so nicht erhoben. Dennoch sagt Dahmen: „Spahn hat die Interessen von Staat und Steuerzahlern hinter den Schutz von wirtschaftlichen Netzwerken im eigenen Umfeld gestellt.“
Spahns Sprecher sagte der F.A.Z. dazu am Samstag: „Herr Dahmen stellt die Dinge wie so oft verzerrt dar und konstruiert nicht belegte Vorwürfe.“ Die genannten Verträge, deren Abwicklung sowie etwaige Vergleiche seien von der zuständigen Fachabteilung und von Anwaltskanzleien betreut worden, nicht von Spahn. „In dem Bericht von Frau Sudhof ist eine Entscheidung des damaligen Ministers zur Frage des Schadensersatzes beziehungsweise eines Vergleichs im Fall Emix auch nicht erwähnt“, stellte der Sprecher klar. Er bezog sich auf Vorwürfe, Emix sei in der Frage der Qualitätsmängel und der gezahlten Preise zu gut weggekommen. „Herrn Spahn ging es einzig und allein um die effektive, rasche und unbürokratische Bewältigung der damaligen Notsituation.“
Spahns Sprecher wies auch Lügenvorwürfe gegen seinen Chef zurück. Diese beruhten auf falschen, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten. Dabei ging es um die Frage, ob und wann der damalige Minister von Bedenken der Ministerialbürokratie zur Maskenbeschaffung erfahren hatte.
Der Sprecher stellte jetzt klar, dass Spahn stets gesagt habe, dass es solche Zweifel im Gesundheitsministerium gegeben habe. Bestritten habe er aber, Warnungen aus dem Bundesinnen- und dem Verteidigungsministerium erhalten zu haben. Diese Aussagen seien in der Berichterstattung fälschlich vermengt worden. Im Übrigen habe der Politiker seit dreieinhalb Jahren keinen Zugang mehr zu den Akten und könne sich nur aus der Erinnerung äußern.
Dutzende Gerichtsverfahren zur Maskenbeschaffung anhängig
Ein Sprecher der heutigen Bundesgesundheitsministerin lehnte eine Stellungnahme zu Dahmens Vorwürfen ab. Er verwies auf Warkens frühere Begründung für die Schwärzungen. Am Donnerstag hatte sie in Berlin gesagt, zum einen sei der Bericht von Sudhof selbst als Verschlusssache eingestuft worden. „Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass es Persönlichkeitsrechte gibt, Rechte Dritter, Interessen des Bundes, aber auch laufende Prozesse. Nach diesen Maßgaben sind insgesamt die Schwärzungen vorgenommen worden.“
Zu der Maskenbeschaffung sind Dutzende Gerichtsverfahren anhängig. Viele Händler haben gegen den Bund geklagt, weil dieser sie aufgrund angeblicher Qualitätsmängel oder Lieferverzögerungen nicht bezahlt hatte. Die Klagesumme wird auf 2,3 Milliarden Euro plus Zinsen und Verfahrenskosten beziffert. Der Bund steht auch selbst in rechtlichen Auseinandersetzungen mit Emix.
Erwähnt werden in Sudhofs Gutachten fünf Lieferverträge mit Emix aus dem März, in denen der TÜV bis zu 48 Prozent der Masken beanstandet hatte. Das Unternehmen gestand hingegen nur eine Fehlerquote von bis zu 32 Prozent ein. Dem Report zufolge setzten sich die Schweizer in dem Vergleich gleich doppelt durch: Sie mussten lediglich den von ihnen zugestandenen mangelhaften Anteil nachliefern, und sie bekamen dafür vom Bund auch noch den ursprünglichen Stückpreis von bis zu 7,08 Euro brutto bezahlt.
„Stückpreise von über 7 EUR sind schwer nachvollziehbar“
Das bemängelte Sudhof als überteuert: „Im Lichte der Marktlage im Mai 2020 erschließt sich jedenfalls nicht, inwiefern der Emix-Vergleich die Interessen des Bundes angemessen abbildet“, kritisiert der Bericht. „Stückpreise von über 7 EUR sind vor diesem Hintergrund schwer nachvollziehbar.“ Das Schweizer Unternehmen hatte der F.A.Z. dazu mitteilen lassen: „Zu der nach umfangreichen Verhandlungen abgeschlossenen Klarstellungsvereinbarung äußern wir uns vertragsgemäß nicht.“
Ähnlich undeutlich bleiben die Vorgänge rund um ein Berliner Unternehmen, über das verschiedene Presseorgane jetzt berichten. Die F.A.Z. hatte bereits im Juni geschrieben, dass der Gesellschaft vom Bund fast 18 Millionen Euro als „Abgeltung“ auf unklarer Basis zugestanden worden seien. Sudhof schrieb: „Eine entsprechende Gegenleistung oder Rechtsgrundlage (wie zurechenbare Kosten aus Verzugsschaden o.ä.) erschließt sich aus der Liste jedenfalls nicht.“
Ärger gibt es auch darüber, dass der Sudhof-Bericht nahelegt, dass das Gesundheitsministerium bei der Maskenbeschaffung möglicherweise gegen die sogenannte Preisverordnung für öffentliche Aufträge verstieß. Danach könnte gelten, dass „Rechtsgeschäfte, die gegen den Höchstpreisgrundsatz verstoßen, in Bezug auf den unzulässigen Preis nichtig sind“.
Eventuell sei der von Spahn gewählte offene Beschaffungsweg für die Maskeneinkäufe (Open-House-Verfahren), dem die meisten Klagen gelten, aufgrund der Preisverordnung „dem öffentlichen Auftraggeber nicht gestattet gewesen“. Zwar sei die Preisvorgabe von 4,50 Euro je Maske vom Bund selbst erfolgt. Das öffentliche Preisrecht schütze aber sogar dann den staatlichen Auftraggeber davor, überhöhte Preise zu zahlen, wenn er sie selbst festgelegt habe.
„Am Ende einer Preisprüfung [könnte] das Ergebnis stehen, dass die von der Klägerseite bisher erwarteten Gewinne sich nicht realisieren lassen“, schreibt Sudhof, die promovierte Juristin ist und Staatssekretärin im Bundesjustizministerium war. So betrachtet, käme das Ministerium in den Millliardenklagen möglicherweise mit einem blauen Auge davon – ausgerechnet weil es bei der Preisfestsetzung juristisch schlampig gearbeitet hatte.
Klägeranwälte weisen diese Interpretation scharf zurück. „Sollten die Gerichte dem planwirtschaftlichen Ansatz der Preisverordnung tatsächlich folgen, wäre die Bundesrepublik endgültig auf dem Niveau einer Bananenrepublik, bei der die Bundesrepublik erst den Preis vorgibt und sich dann auf dessen Unwirksamkeit beruft“, sagt Rechtsanwalt Christoph Partsch, dessen Berliner Kanzlei in den Maskenprozessen rund 20 Kläger vertritt. „Das wäre zumindest treuwidrig, wie bereits das Landgericht Bonn und einige Senate des Oberlandesgerichts Köln geurteilt haben.“