Obst, Gemüse, Nüsse und Kräuter: Wer schafft es, 30 verschiedene Pflanzen pro Woche zu essen? Hinter dieser Challenge steckt die Wissenschaft eines gesunden Darms. Was bringt das tatsächlich?
Viel hilft viel? Beim Essen muss es wohl eher heißen: Vielfalt hilft viel – auch bei gesunder Pflanzenkost. Das legt eine Studie aus den USA nahe. Auch Christian Sina, Professor für Ernährungsmedizin an der Universität zu Lübeck, bestätigt im NDR-Gesundheitsmagazin Visite: “Bislang haben wir immer gesagt, die Menge ist das Entscheidende. Und das ist neu an dieser Studie: dass die Abwechslung bei den Ballaststoffen das Entscheidende ist.”
Kurz gesagt geht es darum, viele verschiedene Ballaststoffe zu essen – und die stecken in Gemüse, Obst, Nüssen, Kräutern und anderen Pflanzen. Hülsenfrüchte wie Bohnen und Erbsen zählen auch dazu. Ob frisch oder tiefgekühlt sei dabei egal, so der Ernährungsmediziner. Sogar Kaffee und Tofu liefern pflanzliche Ballaststoffe.
Darmbakterien spiele wichtige Rolle
Die Vielfalt an Ballaststoffen nützt dem Mikrobiom – also den vielen kleinen Bakterien, die im Darm zuhause sind und dort nicht nur für eine gute Verdauung sorgen. “Durch ein möglichst breites, diverses Mikrobiom können Magen-Darm-Infektion verhindert werden”, erklärt Internist und Gastroenterologe Sina.
Und all diese Bakterien brauchen Nahrung, am besten in Form von Ballaststoffen. Der Clou: Die Bakterien machen daraus andere Stoffe, wie beispielsweise kurzkettige Fettsäuren. Die wiederum helfen dem Immunsystem, verschiedene Typen von Abwehrzellen im Gleichgewicht zu halten.
Kommt dieses Gleichgewicht aus dem Lot, kann das zu Entzündungen oder Krankheiten führen, so Sina. “Das Darmmikrobiom hat Einfluss auf Autoimmunerkrankungen, chronische Entzündungserkrankungen bis hin zu neurologischen Erkrankungen. Wir wissen, die Darm-Hirn-Achse spielt eine große Rolle. Auch darauf können unsere Darmmikroben einwirken”, erklärt er. “Und hier gilt ganz allgemein: Je diverser, desto besser.”
Forschung mit Lücken, aber dennoch belastbar
Die wissenschaftliche Grundlage für die Empfehlung, möglichst verschiedene Pflanzen zu essen, liefert das “American Gut Project” (Amerikanisches Darmprojekt). Daran haben mehr als 11.000 Menschen aus den USA, Großbritannien und Australien teilgenommen.
Der britische Wissenschaftler Tim Spector vom King’s College in London hat 2018 aus den Daten geschlussfolgert, dass eine Person, die 30 verschiedene Pflanzen pro Woche isst, ein gesünderes Mikrobiom hat als jemand, der nur auf zehn Pflanzen pro Woche kommt.
Übrigens: Es wurde nicht untersucht, wie es mit 20, 25 oder 29 Pflanzen pro Woche aussieht. Das bedeutet, die 30 ist eher ein grober Wert, merkt Ernährungswissenschaftler Sina an. Zugleich ändere es jedoch nichts an der Tatsache, dass unser Körper von einer vielfältigen Ernährung profitiert.
Pflanzen bringen eigenes Mikrobiom mit
Weltweit befassen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen mit den Zusammenhängen zwischen Ernährung und dem individuellem Darm-Mikrobiom. Bahar Razavi ist Professorin für Boden- und Pflanzenmikrobiom an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie zeigt in ihrer Forschung, dass auch Pflanzen ein Mikrobiom haben – pflanzliche Lebensmittel bringen also selber Bakterien, Viren und Pilze mit. Und 2023 lieferten Genomanalysen deutliche Hinweise, dass dieses Pflanzenmikrobiom ebenfalls Einfluss auf die Darmgesundheit hat.
“Wir wissen, dass, wenn wir Pflanzen essen, dann nehmen wir auch Teile ihres Mikrobioms auf. Und einige kommen auch lebend im Darm an – wenn auch nicht alle. Aber schon einfache Zellwände oder Hormone aus den Bakterien, die auf diese Weise in unseren Körper kommen, reichen aus, um unser Mikrobiom zu beeinflussen.” Razavi erklärt, dass Pflanzen je nach Boden, Dünger, Wetter und Umweltverschmutzung ganz unterschiedliche Mikroorganismen haben. Damit könnte auch der Gesundheitswert einer Pflanze von deren Wuchsbedingungen abhängen. Ob und wie das bei der 30-Pflanzen-Challenge einen Unterschied macht, ist allerdings noch nicht untersucht.
Wie viel ist genug?
Es gibt keine genaue Definition, wie viel von einer Pflanze gegessen werden muss, damit sie zu den 30 pro Woche zählt. Einige Ernährungsfachleute gehen nach Gewicht, aber es gibt auch Punktesysteme für die 30-Pflanzen-Challenge. Dabei zählen alle Obst- und Gemüsesorten, Vollkorngetreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse, Kerne und Samen pro Portion einen Punkt, Kräuter und Gewürze bringen einen Viertelpunkt.
Ernährungsmediziner Sina vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein rät zu gesundem Menschenverstand und betont: Wichtig sei nicht, ein genau definiertes Ziel zu erreichen, sondern sich möglichst vielfältig zu ernähren.