In die Wirtschaft gewechselt, im Staatsdienst geblieben

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Florian Stegmann war Chef der Staatskanzlei von Winfried Kretschmann und so etwas wie der Schattenwirtschaftsminister der grün-schwarzen Landesregierung. Dass die Art und Weise, wie er aus der Regierung ausschied, nicht den hehren moralischen Grundsätzen der Grünen entsprach, bestreiten selbst einige seiner Parteifreunde nicht. Mitte Januar hatte der Ministerpräsident angekündigt, Stegmann in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Zur Begründung wurde ein schwerer Krankheitsfall in der Familie genannt. Ende Januar entließ Kretschmann ihn formal und berief als Nachfolger den Spitzenbeamten Jörg Krauss.

Schon bei der Versetzung Stegmanns in den einstweiligen Ruhestand wurde kritisch angemerkt, dass in einem solchen Fall eine zeitweilige Beurlaubung der richtige Weg gewesen wäre, denn jeder andere Beamte müsse diesen Weg auch gehen. Stegmann, promoviert im Umweltstrafrecht und Mitglied der Grünen, war nicht nur Chef der Staatskanzlei, sondern trug seit 2021 auch den Ministertitel. Er wurde nach B10 besoldet, das sind etwa 15.700 Euro im Monat.

Die Meinungen über den Staatskanzleichef waren immer geteilt: Seine Befürworter lobten seine hohe Effizienz, er habe die Pandemie gut gemanagt sowie die Themen KI und Unternehmensansiedlungen im Land sehr weit vorangebracht; seine Kritiker warfen ihm einen Mangel an politischem Gespür und Verständnis für die grüne Partei sowie einen autoritären Führungsstil vor. Mails an Mitarbeiter fielen schon mal so aus: „Bitte RÜ“ – das hieß, als nachgeordneter Beamter musste man sich schnell „zur Rücksprache“ melden. In der grünen Landtagsfraktion war man immer der Meinung, Stegmanns Auftritt – gern mit teurem „Hermès-Gürtel“ – sowie seine ostentative Nähe zur Wirtschaft hätten nie hundertprozentig zur „grünen DNA“ gepasst.

Verbunden mit dem Unternehmen, das er einst förderte

Eine Beurlaubung im Januar, so wird im Staatsministerium argumentiert, hätte zu dem Problem geführt, dass Kretsch­mann einen neuen Staatskanzleichef hätte berufen müssen, sodass man bei einer Rückkehr Stegmanns zwei Amtschefs gehabt hätte. Eine andere Verwendung wäre für Stegmann nicht denkbar und auch nicht vorgesehen. Ganz überzeugend ist das nicht, weil der von Kretschmann schließlich berufene Nachfolger Jörg Krauss, ein ehemaliger Polizeibeamter mit grünem Parteibuch, aus dem Ruhestand zurückgeholt wurde. Er hätte bei einer Rückkehr Stegmanns seinen Platz wohl schnell wieder geräumt. Weil man die Position des Staatskanzleichefs jedoch nicht einen Tag lang unbesetzt lassen kann, wäre eine Beurlaubung durchaus mit Risiken verbunden gewesen.

Fragwürdig wurde das Vorgehen des Regierungschefs erst, als Stegmann Anfang Mai ankündigte, zum 1. Juni Generalbevollmächtigter und Chief Operating Officer (COO) der Beratungsgesellschaft Christ Capital in Berlin zu werden. Die Gesellschaft gehört zur Christ Group des früheren SPD- und späteren FDP-Politikers Harald Christ. Problematisch ist das aus mehreren Gründen: Stegmann hat das Heidelberger KI-Start-up Aleph Alpha über mehrere Jahre gefördert und den von dem Unternehmen entwickelten KI-Assistenten F13 in der Landesverwaltung eingeführt.

Das von Jonas Andrulis gegründete Unternehmen, in dem auch ein Sohn Wolfgang Schäubles beschäftigt ist, wird von einem Konsortium unterstützt, an dem nicht nur Bosch und SAP beteiligt sind, sondern eben auch die Christ-Gruppe – die Muttergesellschaft der Firma, bei der Stegmann jetzt beschäftigt ist. Von Mai 2022 bis März 2025 gab es mehr als zehn Kontakte zwischen der Landesregierung und Aleph Alpha sowie dem Gründer Andrulis. An vielen Treffen nahm auch Stegmann teil, die persönlichen Verbindungen waren offenbar eng. „In der Entwicklungs-, Test- und Erprobungsphase des Prototyps gab es projektbedingt eine Vielzahl geschäftlicher Kontakte und regelmäßigen fachlichen Austausch“, heißt es in einer Antwort des Staatsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der FDP zum Fall Stegmann.

Sind dienstliche Interessen beeinträchtigt?

Aleph Alpha wurde durch das Programm „Start-up BW Pro Tect“ und das Innovationsförderprogramm „Invest BW“ mit 470.456 Euro gefördert. Die Christ-Gruppe wiederum war in diesem Jahr Sponsor einer vom „Handelsblatt“ veranstalteten KI-Konferenz in Heilbronn. Außerdem ist die Christ-Gruppe für verschiedene Unternehmer der Schwarz-Gruppe, wie ein Sprecher mitteilte, „kommunikativ und politisch beratend“ tätig. Das heißt: Stegmann wechselte zu einem Unternehmen, das mit den Heilbronner KI-Projekten eng verbunden ist.

Thorsten Masuch, Professor für Öffentliches Recht mit einer Spezialisierung auf Beamtenrecht an der Hochschule Harz, hat angesichts des Wechsels des Staatskanzleichefs erhebliche Bedenken: „Auch nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sind dienstliche Interessen zu wahren. Die private Verwertung von Amtswissen in der neuen Tätigkeit kann problematisch sein. Maßgeblich ist also, ob ein Interessenkonflikt besteht oder sich zumindest abzeichnet.“ Eine Beschäftigung sei deshalb zu untersagen, wenn eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen vorliege.

Nach Informationen der F.A.Z. soll Stegmann wenige Wochen vor seinem Wechsel zu der Berliner Firma bei BWI International, der Ansiedlungsagentur des Landes, nach Adressen wichtiger Firmen gefragt haben. Stegmann soll BWI-Geschäftsführer Ulrich Kromer von Baerle angerufen und um Adresslisten gebeten haben. Auf Anfrage der F.A.Z. sagte von Baerle, dass er sich an einen solchen Anruf und eine solche Bitte Stegmanns nicht erinnern könne. Das Staatsministerium teilte hierzu mit: „Das Staatsministerium hatte hiervon keine Kenntnis.“ Die Firma Christ Capital in Berlin teilte auf Anfrage mit, Stegmann habe alle seine Aufsichtsratsmandate „zu Ende Mai“ niedergelegt, um „etwaige Interessenkonflikte“ zu vermeiden. „Es gibt zudem nachlaufende beamtenrechtliche Pflichten, deren Wahrung selbstverständlich auch in seinem derzeitigen Arbeitsverhältnis mit Christ Capital gewährleistet sind.“

Private Gründe für den einstweiligen Ruhestand? Nicht vorgesehen

Masuch sieht noch ein weiteres Pro­blem. Seiner Rechtsauffassung nach hätte die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand nie erfolgen dürfen: „Problematisch ist, dass es nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht möglich ist, jemanden aus rein familiären Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen – es muss entweder das Vertrauensverhältnis gestört sein oder ein politischer Farbenwechsel vorliegen.“ Private Gründe für die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sehe das Gesetz nicht vor.

„Zum Jahresanfang, als es um einen schweren Krankheitsfall ging, wäre eine Beurlaubung ohne Bezüge möglich gewesen.“ Zum jetzigen Zeitpunkt sei diese nicht mehr möglich, weil es nicht im Interesse des Landes liege, dass ein ehemaliger Spitzenbeamter in der Privatwirtschaft tätig sei. „Das heißt, dass sich das Dilemma eigentlich nur lösen ließe, wenn der in den einstweiligen Ruhestand versetzte, ehemalige Chef der Staatskanzlei um seine Entlassung bitten würde.“

Die F.A.Z. fragte Stegmann, ob die Entlassung aus dem Landesdienst für ihn aufgrund der komplexen Problemlage in Betracht komme. Der Sprecher von Christ and Company ließ die Frage unbeantwortet und verwies an die Staatskanzlei, die wiederum mitteilte, dass sie hierzu „aus Gründen des Personaldatenschutzes“ keine Auskunft geben könne. Einige Juristen in der Landesverwaltung lästern über die Entscheidung, Stegmann in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen – das sei „freie Rechtsschöpfung“. Einige erinnern auch daran, dass es Stegmann gewesen sei, der den ehemaligen Bevollmächtigen des Landes beim Bund, Volker Ratzmann (Grüne), dazu gedrängt habe, sich aus dem Landesdienst entlassen zu lassen. Kretschmann hatte Ratzmann 2020 zunächst ebenfalls in den einstweiligen Ruhestand versetzt, nachdem dieser zu DHL gewechselt war.

Die Frage nach dem Tatbestand der Untreue

Ohne Antwort vonseiten der Villa Reitzenstein wie auch der Firma Christ and Company blieb auch die Frage, welche Bezüge Stegmann derzeit noch erhält. Nach dem Gesetz hat der frühere Staatskanzleichef Anspruch auf gekürzte Ruhestandsbezüge sowie Pensionsansprüche.

Die Höhe hängt vom Gehalt ab. Erhält Stegmann ein sehr hohes Gehalt, könnten diese auch bei null liegen. Würde er statt 15.700 Euro – wie zuletzt als Chef der Staatskanzlei – nun beispielsweise 10.000 Euro erhalten, hätte er Anspruch auf die Hälfte des Differenzbetrags, also etwa 2850 Euro. Sollte das Land Stegmann in dem Fall, dass er später einer schlechter bezahlten Tätigkeit nachgeht, Bezüge zahlen müssen, könnte nach Auffassung von Masuch wegen der unrechtmäßigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand eventuell sogar der strafrechtliche Tatbestand der Untreue vorliegen, weil dem Land ja dann ein vermeidbarer Nachteil entstünde.

Die Kontakte zwischen der grün-schwarzen Landesregierung und dem Start-up Aleph Alpha waren stets eng, mehr als zehnmal hat man sich getroffen. Deshalb stellt sich die Frage, ob Stegmann seine neue Tätigkeit auch ohne diese Kontakte gefunden hätte: „Ein Zusammenhang zwischen einer Förderung im Rahmen von Invest BW und einer späteren beruflichen Tätigkeit von Herrn Dr. Stegmann besteht nicht“, teilte das Staatsministerium hierzu mit. Die Förderung sei gerechtfertigt gewesen, um Aleph Alpha so erfolgreich zu machen wie ChatGPT oder Perplexity.

Zweifel gibt es mittlerweile auch daran, ob die Implementierung von F13 auf den Rechnern der Landesverwaltung überhaupt ein Erfolgsmodell ist. Das Tool soll das Verfassen von Vermerken vereinfachen. In der Landesverwaltung ist F13 derzeit für 20.000 Mitarbeitende verfügbar, über die Plattform „Schule­BW“ kann es von bis zu 100.000 Lehrkräften genutzt werden. Laut Landesregierung gibt es täglich zwischen 2500 und 4000 Nutzeranfragen. Einige Beamte lästern freilich über „Flop13“ und greifen in der Praxis eher zu Alternativen wie ChatGPT.