In der derzeitigen Weltlage ist der Moment gekommen, um Europas Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, doch auf Frankreich kann man dabei nur bedingt zählen. Diese Diagnose war auf den diesjährigen „Rencontres Economiques“ in Aix-en-Provence weit verbreitet. Durch die Bank beklagten die Wirtschaftsvertreter auf der als „Davos Frankreichs“ geltenden Konferenz die festgefahrene innenpolitische Lage.
In Kombination mit dem desaströsen Zustand der Staatsfinanzen schränke das Frankreichs Handlungsfähigkeit erheblich ein, ohne dass Besserung in Sicht sei. In Wirtschaftskreisen ist von „drei verlorenen Jahren“ die Rede mit Blick auf die Parlamentsauflösung im vergangenen Juli, die fragmentierte Mehrheitsverhältnisse hervorgebracht hat, und die für 2027 angesetzten Präsidentschaftswahlen, auf die vorgezogene Parlamentswahlen folgen könnten.
Minister Eric Lombard beschönigt nichts
Der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Eric Lombard bemühte sich bei seinem Auftritt in Aix gar nicht erst, die Dinge zu beschönigen. Mit Blick auf die beginnende Haushaltsdebatte appellierte er an die politische Klasse, den Ernst der Lage zu begreifen. „Es ist entscheidend, dass wir unser Haushaltgleichgewicht wiederherstellen“, sagte Lombard. Der Schuldendienst verschlinge mit 67 Milliarden Euro schon im diesjährigen Haushalt mehr Geld als die Verteidigung, und in drei Jahren gingen voraussichtlich 100 Milliarden Euro für Zins und Tilgung drauf. Das Geld fehle für Investitionen.
„Wenn wir die Schulden nicht stabilisieren, werden wir unsere Souveränität verlieren“, mahnte Lombard. Besorgt zeigte er sich über die Entwicklung am Anleihemarkt. Dort kann Frankreich sich inzwischen kaum noch günstiger Geld leihen als Europas traditionelles Sorgenkind Italien. Das wird in Paris als Signal gewertet, wie sehr die Kreditwürdigkeit gelitten hat.
Steuererhöhungen nicht von vornherein ausschließen
Die französische Regierung sucht unter Hochdruck nach Einsparmöglichkeiten im Umfang von 40 Milliarden Euro, um die Neuverschuldung von 5,4 Prozent der Wirtschaftsleistung in diesem auf 4,6 Prozent im kommenden Jahr zu senken. Die Zeit drängt. Am 15. Juli will Premierminister François Bayrou die Eckdaten des neuen Haushalts präsentieren, ehe nach der Sommerpause der Gesetzesentwurf stehen muss. Anschließend steht die Haushaltsdebatte im Parlament an. Sie verspricht – wie schon im vergangenen Jahr – explosiv zu werden.
Die oppositionellen Rechtspopulisten um Marine Le Pen haben schon deutlich gesagt, dass sie keine Steuererhöhung akzeptieren und nicht davor zurückschrecken werden, der Regierung ihr Misstrauen auszusprechen. Zusammen mit den Stimmen der oppositionellen Linksparteien könnte der in Umfragen immer unbeliebtere Bayrou so wie sein Vorgänger Michel Barnier gestürzt werden. In der französischen Wirtschaft hält man ein solches Szenario für zunehmend wahrscheinlich. Was das etwa für die Steuergesetzgebung hieße, ist ungewiss.
Lombard bekräftigte in Aix seinen Willen, den Haushalt über die Ausgaben- statt über die Einnahmenseite zu sanieren. Das dürfe nicht durch Steuererhöhungen erfolgen. Frankreichs Staatsausgaben lägen mit rund 57 Prozent der Wirtschaftsleistung zehn Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt. „Das ist nicht haltbar“, sagte Lombard.
Doch nicht einmal das Regierungslager tritt in dieser Frage geschlossen auf. 40 Milliarden Euro an Haushaltskonsolidierung „allein durch Einsparungen bei den öffentlichen Ausgaben zu erreichen, ist unrealistisch“, sagte Yaël Braun-Pivet, die Präsidentin der Nationalversammlung von der Präsidentenpartei, der Zeitung „Les Échos“. Man dürfe Steuererhöhungen nicht von vornherein ausschließen.