Ganz die Alten, aber anders

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Will die AfD wirklich gemäßigt auftreten? So hatte es die Bundestagsfraktion am Wochenende zwar beschlossen. Doch schon bei der Pressekonferenz zu den Beschlüssen klang die Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel anders. Und das nicht versehentlich – die Fraktion verbreitete die pfeffrigsten Sentenzen in einem Video auf ihrem offiziellen Telegram-Kanal, eingeleitet mit den Worten: „Alice Weidel zieht über die Loser-Parteien her!“, dazu ein Emoji, das Tränen lacht.

Weidel wirft der Regierung „Wählerbetrug“, ja, „Lug und Trug“ vor: Die versammelten „Loser-Parteien“ müssten „eigentlich alle zurücktreten“, aus Reue darüber, „dass die Leute in diesem Land so unglaublich verarscht werden“. Die SPD verglich sie wegen deren Absicht, ein Verbotsverfahren gegen die AfD anzustrengen, mit Hitler.

Das klingt nicht nach Mäßigung. Etwas transparenter wurde die neue Strategie, als der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner seine Interpretation am Montag skizzierte. Er war Teilnehmer des sitzungswöchentlichen Pressegesprächs seiner Fraktion im Bundestag. Auf die Frage der F.A.Z., ob er künftig disziplinierter auftreten wolle – Brandner ist berüchtigt für aggressive Polemik, die ihm im Plenum schon viele Ordnungsrufe eingetragen hat –, antwortete Brandner, die AfD stehe in Umfragen bei 20 bis 25 Prozent, „weil wir so sind, wie wir sind“. Man lasse sich nicht beeindrucken durch Statistiken zu Ordnungsrufen, diese seien ein „Kampfinstrument der Kartellparteien“.

Zugleich räumte er ein, auch geschliffene Diamanten könne man noch glatter polieren. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann, der neben Brandner saß, beeilte sich zu ergänzen, dass beim Begriff Kartellparteien „Kartell“ nicht in der Bedeutung von Drogenkartell gemeint sei, sondern – wie in der Ökonomie üblich – die Absprache von Wettbewerbern beschreibe. Auch er wies darauf hin, dass die AfD-Abgeordneten eigentlich alles richtig machten, dies aber noch perfektionieren könnten.

Die Partei will zwei Signale zugleich senden

Die Partei will also zwei Signale zugleich senden: dass sie anders als die anderen Parteien sei und dass sie anschlussfähig für die anderen Parteien sei. Während Ersteres vor allem ihre bisherigen Wähler beruhigen soll, will sie mit Letzterem unionsnahe Wähler umwerben und die Union unter Druck setzen.

Während Weidel also etwa die Parole ausgibt, eigentlich müssten alle Regierungsparteien zurücktreten, lehnte Baumann am Montag auf Nachfrage ab, den Rücktritt von Unionsfraktionschef Jens Spahn wegen der Maskenaffäre zu fordern, wie es etwa die Linke tut. Die Faktenlage erfordere die Möglichkeit, nachzufragen, sagte Baumann diplomatisch, deshalb wolle man einen Untersuchungsausschuss.

Das ist auffällig zurückhaltend angesichts der Heftigkeit, mit der die AfD sonst gern Fehlentscheidungen aus der Corona-Zeit als Versündigung am Volk geißelt. Spahn wiederum trat in der Vergangenheit wiederholt für einen pragmatischeren Umgang mit der AfD ein. Aus Sicht mancher in der AfD könnte Spahn ihnen noch nützlich werden, wenn es in Zukunft einmal um eine Kooperation oder gar Koalition mit der Union gehen sollte.

Ziel der AfD ist es daher nicht, auf Widersprüche zu verzichten, sondern die widersprüchlichen Signale im für die Partei günstigsten Verhältnis auszubalancieren, um auf diese Weise mehr neue Wähler zu gewinnen, als alte zu verlieren. So fiel etwa auf, dass in dem Positionspapier mit dem Titel „Sicherheit für Deutschland“, das die Fraktion am Wochenende beschloss, der Begriff „Remigration“ fehlt. Dabei beschreibt der erste und wichtigste Punkt namens „Innere Sicherheit für Deutschland“ ziemlich genau das, was in der Partei mit dem Begriff verbunden wird.

Die Taktik ist riskant

Mehrere AfD-Politiker versicherten daraufhin, dass ihre Partei sich keineswegs vom Konzept der „Remigration“ verabschiede. „Die Inhalte bleiben – nur die Kommunikation wird breiter gedacht“, beruhigte etwa der rechtsextreme Bundestagsabgeordnete Lars Schieske seine Follower in einem Video. Andere rechtsextreme AfD-Politiker aus seiner Region – Südbrandenburg – hatten auch früher schon argumentiert, „Remigration“ solle nicht auf Wahlplakaten stehen, die meisten Leute könnten damit nichts anfangen. Schlimmstenfalls könnten Bürger das Fremdwort missverstehen und denken, man fordere irgendwas mit Migration und nicht das Gegenteil.

Doch die Taktik ist riskant. Gerade weil das Bewährte in maßvollerem Ton vorgetragen werden soll, fürchten manche, dass die Partei es dabei übertreiben könnte. Im Versuch, sich noch besser zu verkaufen, könnte sie zu angepasst werden, mutmaßen manche. Sie fürchten, dass ihre Partei für eine schnellstmögliche Regierungsbeteiligung ihre Ideale verrät. Das führt zu einer Polarisierung in der AfD. Am Wochenende etwa reagierte der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke auf die Debatte um „Remigration“, indem er ein Foto postete, das ihn bei der Lektüre des Buches „Remigration“ des Identitären Martin Sellner zeigt.

Im zugehörigen Posting behauptet er, die darin unterbreiteten Vorschläge blieben in ihrer Radikalität hinter so mancher Wahlkampfforderung des späteren CDU-Bundeskanzlers Friedrich Merz zurück. Sellner halte als „Till Eulenspiegel einer aggressiven Obrigkeit“ den Spiegel vor, sein „sonniges Gemüt“ mache ihn sympathisch. Und schließlich postuliert Höcke: „Wer sich distanziert, verliert.“ In der Parteiführung herrscht eher die Ansicht vor, man dürfe sich vom Vorfeld – zu dessen einflussreichsten Aktivisten Sellner zählt – nicht treiben lassen.

Spiegel dieses Konflikts ist auch die Distanzierung des umstrittenen Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah von manchen seiner früheren Positionen, die er unlängst in einem viel beachteten Streitgespräch mit seinem Verleger Götz Kubitschek zum Ausdruck brachte. Krahs Position der strategischen Geschmeidigkeit („Der Held ist der, der gewinnt, und nicht der, der auf die Fresse kriegt“, wie er bei einem anderen Auftritt formulierte) wird vom neurechten Vorfeld als lauwarm kritisiert.

Dabei spielen neben inhaltlichen Fragen – etwa der danach, was genau unter „Remigration“ zu verstehen sei – auch stilistische eine entscheidende Rolle. Krah etwa wird vorgeworfen, dass er kürzlich mit dem Portal „Correctiv“ gesprochen habe, das Anfang 2024 über das Potsdamer Treffen von Rechtsextremen berichtet hatte. Sein Argument, er rede mit jedem, fand wenig Anklang.

Wie, um diesen Teil der Partei zu beruhigen, widersprach Weidel dann am Montagnachmittag auch der Aussage, man wolle sich mäßigen. „Wir brauchen uns nicht mäßigen“, sagte sie im Bundestag bei einem Pressestatement. Ihre Partei vertrete „Positionen, die sehr vernünftig sind“, und wieder: „Ich sehe keinen Anlass zur Mäßigung.“ Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla, der neben ihr stand, beeilte sich zu betonen, dass die AfD sich „nicht anpassen“ werde.

Nur wenige Sekunden zuvor hatten die Parteichefs allerdings angekündigt, ihrer Fraktion in der gleich beginnenden Sitzung vorschlagen zu wollen, demnächst den CDU-Kandidaten fürs Bundesverfassungsgericht mitzuwählen. Dieser braucht eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Die AfD will ihm dazu verhelfen, denn er mache „einen vernünftigen Eindruck auf uns“, wie Weidel sagte.